Thema:
Atombomben
Atombomben in Deutschland: Das falsche Spiel der Bundesregierung
Unterwasser-Atombombenexplosion Foto: Wikimedia Commons
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In den letzten Wochen wurde viel über die Rückkehr des Kalten Krieges
gesprochen. Altes Blockdenken, alte Feindbilder – ausgelöst durch einen
schmutzigen Konflikt mitten in Europa. Und plötzlich ist auch wieder
von atomarer Abschreckung und Aufrüstung die Rede. Nicht irgendwo in
Russland oder Amerika, sondern mitten in Deutschland, in einem kleinen
Dorf in der Eifel. Seit Jahrzehnten lagern dort Atombomben der US-Armee,
streng bewacht und gehütet wie ein Staatsgeheimnis. Eigentlich sollten
die Waffen längst abgezogen werden; das hatte die Schwarz-Gelbe
Bundesregierung versprochen und auch die SPD – allerdings bevor sie an
die Regierung kam. Jetzt scheint plötzlich alles ganz anders.
Elke Koller will uns an einen Ort führen, der bis heute ein
Staatsgeheimnis birgt. An den Lärm der Kampfjets hat sie sich in all den
Jahren gewöhnt. Womit sich Elke Koller jedoch nicht abfinden will ist,
dass irgendwo hier, am Bundeswehrfliegerhorst Büchel in der Eifel, noch
heute bis zu 20 Atomwaffen aus dem Kalten Krieg liegen. Seit Jahren
kämpft sie gegen die Bomben in Sichtweite Ihres Hauses.
Elke Koller: „Der Bundestag hat ja mit großer Mehrheit beschlossen,
dass die Atom-waffen aus Deutschland verschwinden sollen, die
US-Atomwaffen. Und jetzt passiert genau das Gegenteil. Ja, jetzt bin ich
natürlich total überrascht, frustriert und fühle mich auch
verschaukelt.“
Um diese Atombomben geht es. US-Waffen vom Typ B61. Ihre maximale
Sprengkraft hat ein Vielfaches der Hiroshima-Bombe. Amerikanische
Atombomben auf deutschem Boden; für den Einsatz mit deutschen Kampfjets:
ein Relikt aus dem Kalten Krieg. Einst sollten die Bundeswehr-Piloten
damit die Panzertruppen des Warschauer Paktes stoppen, mit Atomschlägen,
auch auf ostdeutschen Boden. Der Kalte Krieg ist über 20 Jahre vorbei.
Die Bomben in Büchel sind noch immer da.
Hans Kristensen, Federation of American Scientists (Übersetzung
MONITOR): „Diese Waffen könnten sie morgen abziehen. Das würde absolut
gar nichts ändern an der Sicherheitslage für die NATO. Das ginge auch
ganz schnell per Lufttransport. Und auch die atomare Abschreckung für
Europa wäre weiter gesichert. Durch die nuklearen Langstreckenwaffen,
die es weiter gibt.“
Massenvernichtungswaffen, die militärisch längst überflüssig sind.
Das bestätigen auch Militärs. Und so forderten vor Jahren bereits alle
Partien im Bundestag, raus mit den letzten Atombomben aus Deutschland.
Und auch die Kanzlerin besiegelte dieses Ver-sprechen. 2009 im
Schwarz-Gelben Koalitionsvertrag. Das Signal: Man meine es ernst mit dem
Abzug. Doch wie ernst war es der Kanzlerin wirklich? Eine geheime
Depesche der US-Botschaft in Berlin über ein vertrauliches Gespräch der
Amerikaner mit dem Sicherheitsberater der Bundeskanzlerin. Es geht um
das Vorhaben, die letzten Atom-waffen aus Deutschland abzuziehen. Laut
Papier hat Merkels Sicherheitsberater dabei erklärt:
Zitat:
„… die Kanzlerin distanziere sich von dem Vorhaben. Er
betonte, dass ihnen dies von Außenminister Westerwelle aufgezwungen
worden sei.“
Merkel setzte sich durch. Die Bomben blieben. Die SPD ätzte. Bis die
Sozialdemokraten selbst mit Merkel einen Koalitionsvertrag
unterzeichneten. Der macht den Abzug der Bomben plötzlich abhängig von
erfolgreichen Abrüstungsgesprächen mit Russland. Ein schneller Abzug?
Vertagt! Und im Gegenteil: Vor wenigen Tagen erst stellte der
US-Kongress die Weichen für das größte und teuerste Atomwaffenprogramm
der Amerikaner seit Jahrzehnten. Es geht dabei auch um die taktischen
US-Atombomben. Um Bomben, wie die in Büchel. Um Bomben, die in wenigen
Jahren ans Ende ihrer technischen Lebensdauer kommen. Jetzt sollen sie
für Milliarden saniert werden. Sanieren statt abrüsten? Edmond Seay war
für die USA bei der NATO zuständig für Abrüstungsfragen. Er und andere
Experten warnen. Es geht um noch viel mehr. Es geht um die Entwicklung
einer Atombombe mit ganz neuen Fähigkeiten.
Edmond Seay, Berater für Sicherheitspolitik: „Da wird unter anderem
eine Präzisions-steuerung eingebaut in die alten unlenkbaren Bomben. Das
wären die ersten atomaren Präzisionsbomben in Europa. Das ist eine
enorme Veränderung. Die US-Regierung hat eigentlich zugesichert, mit dem
Programm keine neuen Nuklear-Fähigkeiten schaffen. Das ist ein klarer
Verstoß dagegen.“
Neue nukleare Fähigkeiten unter dem Deckmantel eines Sanierungsprogramms?
Ein Dokument der US-Regierung: Die Tabelle zeigt Komponenten der
alten Atomwaffen, die erneuert werden sollen, und warum. In fast allen
Punkten geht es um Performance, um verbesserte Leistung. Eher selten um
Aging, also altersbedingte Sanierung. Modernisierte US-Atomwaffen mit
ganz neuen Fähigkeiten, bald auch hier in den unterirdischen Bunkern in
Büchel und anderswo in Europa? Das birgt auch politischen Sprengstoff.
Hans Kristensen, Federation of American Scientists: „Die russischen
Generäle werden sagen, schaut, man kann der NATO nicht trauen. Die
modernisieren ihre Atomwaffen, obwohl sie von Abrüstung der taktischen
Nuklearwaffen in Europa reden. Das passt in das politische Spiel, das
längst wieder läuft.“
Die alten Muster des kalten Krieges? Befeuert auch durch die
Modernisierung alter, eigentlich überflüssiger Bomben in Deutschland?
Die Bundesregierung beteuert, es würden „weder neue Waffen noch neue
militärische Fähigkeiten“ geschaffen. Im Übrigen handele es sich um ein
„nationales Programm der USA“. Daher gebe es mit Amerika darüber auch
„keine Verhandlungen“. Zur Erinnerung: Es geht um Atombomben auf
deutschem Boden, für die die Bundeswehr deutsche Kampfjets und Piloten
einsatzbereit hält. Ein rein amerikanisches Programm? Keine
Verhandlungen mit den USA?
Ein Dokument des amerikanischen Rechnungshofes: Es beschreibt, wie
die USA zentrale Fragen des Waffenprojektes lösten, nicht allein,
sondern gemeinsam mit „certain NATO allies“ – mit bestimmten
NATO-Verbündeten. Für Experten steht fest: Das sind die Länder, in denen
die Bomben liegen. Neben Deutschland sind das die Niederlande, Belgien,
Italien und die Türkei. Insgesamt rund 200 US-Atombomben in Europa.
Also wurde doch mit Deutschland verhandelt?
Hans Kristensen, Federation of American Scientists: „Wenn Sie mit den
Leuten in Washington reden, gibt es gar keinen Zweifel. In solchen
Berichten nennt man eben keine Staaten. Aber das ist nun mal der Begriff
für die Länder, die unmittelbar eingebunden sind.“
Bram Stemerdink, ehem. Niederländischer Verteidigungsminister: „Alle
Länder sprechen darüber in der Nuclear-Planning-Group. Und jedes Land
kann das nach vorne bringen. Wenn man sagt, wir wissen nichts, das ist
dann Unsinn.“
Die Bundesregierung spricht auf Anfrage gegenüber MONITOR plötzlich doch von einer
Zitat:
„Unterrichtung der NATO-Bündnispartner in den zuständigen Gremien“
Aber:
Zitat:
„Über Sitzungsinhalte kann aus Gründen des Geheimschutzes keine Antwort gegeben werden.“
Kritik von der Opposition.
Agniezska Brugger (Bündnis’90/Grüne), Sicherheitspolitische
Sprecherin der Bundes-tagsfraktion: „Ich glaube, dass es einfach
doppelzüngig ist von der Bundesregierung zu sagen, wir setzen uns
international für eine Welt frei von Atomwaffen ein. Und gleich-zeitig
eben in der Frage der Atombomben, die im eigenen Land stationiert sind,
keine Stellung zu beziehen und sich vor dieser Debatte wegzuducken.“
Wie eng Deutschland offenbar in das amerikanische Atomwaffenprogramm
eingebunden ist, steht ebenfalls im Bericht des US-Rechnungshofes.
Zitat:
„Das US-Verteidigungsministerium und die NATO-Verbündeten
einigten sich auf die zentralen militärischen Merkmale der Bombe.“
Dabei ging es laut Bericht um so zentrale Fragen wie „Yield“, also
Sprengkraft und „Accurracy“, also Treffgenauigkeit. Neue präzisiere
Atombomben? Auch auf deutschem Boden? Kann das wirklich im deutschen
Interesse sein?
Edmond Seay, Berater für Sicherheitspolitik: „Ich bin fest davon
überzeugt, dass Deutschland eine gründliche Analyse seiner militärischen
und strategischen Bedürfnisse durchführen sollte. In Hinblick auf
beidseitige bilaterale Verhandlungen mit den USA über den Abzug der
Waffen.“
Der amerikanische Präsident verkündete einst die Vision einer
atomwaffenfreien Welt. Die Partei der Kanzlerin forderte den Abzug
dieser Waffen aus Deutschland. Mit dem geplanten Modernisierungsprogramm
schreiten sie beide zurück in überwunden geglaubte Zeiten.
Link zum Video-Beitrag des WDR
veröffentlicht: 22. Juni 2014
Quelle: WDR vom 19.06.2014
Mit freundlicher Genehmigung von Pravda.TV