Donnerstag, 17. Januar 2019

Wie paradox in Deutschland Politik gemacht wird

Thema: Affäre Maaßen

Herr Maaßen und die Krawallmacher
Der Streit um den Ex- Verfassungsschutzchef kannte nur Verlierer.
Wie kam es zur Krise? Ein Rückblick

Berlin. Andrea Nahles kann sich bis heute, Monate später, in Rage reden. Was an der SPD-Chefin nagt, ist die Erinnerung an die Affäre Maaßen. Es war die verstörendste Episode des politischen Jahres in Berlin.

Warschau, 2. November, deutschpolnische Konsultationen: Für die Minister beider Regierungen wird das Mittagessen serviert, als Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihr Tischnachbar Innenminister Seehofer (CSU) die Köpfe zusammenstecken. „Da musst Du jetzt schnell handeln“, sagt Merkel.

Drei Tage später wird der Innenminister den Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, mit 55 Jahren vorzeitig in den Ruhestand versetzen. Zwei Wochen zuvor hatte der sich im Kreis von 30 europäischen Amtskollegen im „Berner Club “ darüber beklagt, dass er aus dem Amt gedrängt werde: Von linken Politikern, die sich „bei ihrer Falschberichterstattung“ über die Krawalle von Chemnitz ertappt fühlten -und „linksradikalen Kräften in der SPD“, die einen Anlass für einen Bruch der Koalition suchten.

Seehofer rätselt über Abschiedsrede

„Das kann doch nicht wahr sein“, denkt Seehofer. Für ihn war die Sache erledigt. Nach wochenlangem Hin und Her sollte Maaßen sein Berater werden; so war es besprochen. Er hat bis heute „keine Erklärung“ für das Verhalten des Behördenleiters und „nie mehr mit ihm gesprochen“, wie er rückblickend unserer Redaktiom sagt. Wochenlang hatte er den Verfassungsschützer als „kompetenten und integren Mitarbeiter“ verteidigt. Seehofer will ihn unbedingt halten, wenn nicht als Behördenchef, dann als Staatssekretär oder Berater. Letztes findet Maaßen „unbefriedigend“, wie er Ende Dezember dem „Spiegel“ sagt. Es ist eines jener Interviews, in denen es auf das Ungesagte ankommt: Kein Wort zur „Abschiedsrede“ am 18. Oktober vor dem „Berner Club“. Es gibt davon zwei Manuskripte, eines auf Englisch und eines auf Deutsch, das ins Intranet seiner Behörde gestellt wird. Im Bundesamt ist es schnell Gesprächsstoff und in Warschau.

Der Ruheständler

Hans-Georg Maaßen (55) versucht, Abstand zu gewinnen. Er sei „gelassen und erleichtert, lese viel, versuche überhaupt nachzuholen, was ich in den vergangenen sechs Jahren verpasst habe“, sagte er dem „Spiegel“. Auf der Straße wird er mehr denn je erkannt, „die Leute wollen ein Selfie mit mir machen“. Das Innenministerium hat auf ein Disziplinarverfahren verzichtet.
Es bleibt Maaßens Geheimnis, ob er die Wirkung der Rede unterschätzt oder beabsichtigt hat. Er ist eigentlich der Typ, der handelt. Er ist es, der Anfang September nach einem Hintergrundgespräch mit dem „Bild“-Chefredakteur anbietet, einige Zitate freizugeben. Es geht um Chemnitz, um Hetzjagden auf Fremde, nachdem in der Nacht zum 27. August ein Syrer einen Deutschen erstochen hatte. Weltweit geistert durch das Netz ein Video, auf dem zu sehen ist, wie ein Mann von anderen verfolgt wird.

Maaßen ist im Kreis der Sicherheitsbehörden nicht isoliert, als er „Bild“ erklärt, „es liegen keine Belege dafür vor, dass das im Internet kursierende Video zu diesem angeblichen Vorfall authentisch ist“.

Das Interview erscheint am 7. Septemben und provoziert Widerspruch; zumal geargwöhnt wird, dass Maaßen der rechtspopulistischen AfD nahestehe. „Man kann sich über das Interview ärgem, aber es handelte sich nicht um ein Dienstvergehen“, sagt Seehofer. Er würde heute „exakt genauso handeln, weil es zur Fürsorgepflicht eines Dienstvorgesetzten gehört“. Und doch entwickelt der Fall „eine gewaltige Wucht“, die Seehofer „bis heute nicht versteht‘. Ein Spitzengespräch am 13. September endet unversöhnlich.

Als Nahles fünf Tage später zum nächsten Treffen erscheint, hat sie mit Merkel telefonisch verabredet, der Behördenchef müsse zumindest versetzt werden. „Ich hatte drei Möglichkeiten eingebracht: Andere Behörde, Berater, Staatssekretär“, erinnert sich Seehofer, „die ersten beiden Vorschläge sind damals abgelehnt worden.“ Gedänklich hakt Nahles zwei Punkte ab: Koalitionsbruch verhindert, Maaßens Ablösung erzwungen. Sie reflektiert zu wenig darüber, Wie die Aktion aussehen kann: Der Behördenchef wird nicht geschasst, sondern befördert und sogar noch mit einem höheren Gehalt belohnt. Das Echo auf den Deal ist verheerend. Wenige Tage später tritt Nahles die Flucht nach vorn an und erklärt, dass sie sich geirrt hätte.

Am 23. September einigt man sich darauf, Maaßen einen Beraterposten anzubieten zu unveränderten Bezügen. Einen Tag später räumt Merkel Fehler ein. Sie habe nicht bedacht, „was die Menschen zu Recht bewegt“. Hat Seehofer Fehler gemacht? „Nein.“ Er behauptet auch, die Beraterlösung hätte man früher haben können und sei an der SPD gescheitert. Nahles bestreitet das.
Seehofer: „Insgesamt hat es allen geschadet, es war völlig unnötig und ein Beispiel dafür, wie die Politik sich selbst in Misskredit bringt. Der Auslöser war die SPD.“

In die rechte Ecke geschoben?

Der Mann, dem die Affäre den Namen verdankt, stellt im Innenausschuss klar, dass er seit 30 Jahren in der CDU sei. Dem „Spiegel“ verrät er, dass er aus einer anti-faschistisch geprägten Familie komme. Maaßen iühlt sich zu Unrecht in die rechte Ecke geschoben, herabgewürdigt. Merkel gibt im Dezember den CDU-Vorsitz auf, Seehofer tritt im Januar als CSU-Chef ab, Nahles ist angeschlagen. Jeder muss sich wie im falschen Film vorgekommen sein.

Quelle: WP 31.12.2018

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