Mittwoch, 28. Mai 2014

Drama in Frankreich: Der Zerfall der EU beginnt in Paris

Thema: Eurovisonen

Drama in Frankreich: Der Zerfall der EU beginnt in Paris

Der historische Sieg des Front National könnte der Auslöser für den Zerfall der EU sein. Die französische Regierung kämpft ums Überleben. Die EU kann nur kontern, wenn Deutschland voll in die Schuldenhaftung gezwungen wird. Doch selbst das wird am Ende nicht reichen.

In Frankreich spielt sich ein Drama ab, das schon sehr bald eine europäische Dimension bekommen könnte. Der Philosoph Bernard-Henri Lévy fordert sogar schon eine Regierung des nationalen Notstandes.

Der Grund für das Desaster ist einfach: Mit dem Front National hat eine Partei die EU-Wahl gewonnen, die ausdrücklich die Zerschlagung der EU in ihrer gegenwärtigen Form will. In Frankreich kann man – anders als bei der AfD oder der FPÖ in Österreich – nicht sagen, dass die Töne vor einer Wahl immer schärfer sind als danach. Frankreich hat gewaltige Probleme, die die Regierungen Sarkozy und Hollande nun schon seit Jahren vor sich herschieben: Jugendarbeitslosigkeit, Verelendung, starke Zuwanderung und sehr starker Ausländerhass, Gewaltbereitschaft. Das alles spielt sich in einem Wirtschaftsumfeld ab, in dem der Staat sich überall einmischt, Kreativität kaum noch gefördert und stattdessen Nepotismus, Größenwahn und Gefälligkeiten das Tempo bestimmen. Die Franzosen sind auf breiter Front frustriert – und es ist wahrlich nicht ihre Schuld.

Es ist die Schuld der diversen französischen Regierungen, die sich, eingebunden in die EU, darauf verlassen haben, dass früher oder später andere für ihre maßlos aufgehäuften Schulden geradestehen werden. Konnte sich vor dem Euro jede Regierung mit einer kleinen Währungsreform vor dem Schlimmsten retten, haben die Franzosen darauf gesetzt, ihre Schulden zu vergemeinschaften.

Nun hätte auch Marine Le Pen mit Sicherheit nichts dagegen, die französischen Staatsschulden in der EU zu verteilen. Doch das wird für sie erst interessant, wenn sie an der Macht ist. Um an die Macht zu kommen, setzt Le Pen auf das Gefühl der Franzosen, aus der EU aussteigen zu wollen. Wer kann es ihnen verdenken? Die französischen Politiker haben – wie alle anderen in Europa auch – stets die Schuld nach Brüssel abgeschoben, wenn etwas nicht funktioniert hat. Für die Parteien ist die die EU bisher eine bequeme Sache gewesen: Sie haben zusätzlich kassiert, indem sie ausgediente und in Ungnade gefallene Politiker nicht mehr selbst versorgen mussten, sondern nach Brüssel oder ins EU-Parlament abschieben konnten. Die Alimentierung der politischen Frührentner durch den europäischen Steuerzahler hat die Parteien in allen Staaten träge und faul gemacht.

Wann immer Unternehmen aber träge und faul werden, kommen neue Wettbewerber. Diese sind noch hungrig und wollen an die Futtertöpfe. Die Euro-Skeptiker in ganz Europa haben ihr Produkt – also ihre Politik – den Kunden-Bedürfnissen angepasst: Die Wähler waren gegen die EU, also haben die Parteien ihnen eine Anti-EU-Politik verkauft. Das hat in allen Staaten aus unterschiedlichen Gründen funktioniert: In Griechenland ist die Syriza die stärkste Kraft, weil die Griechen natürlich gemerkt haben, dass man ihnen die Troika geschickt hat, um die Bankenrettung durchzuführen. In Großbritannien hat die Ukip gewonnen, weil Nigel Farage ein brillanter Taktiker ist: Er hat genau registriert, dass die dramatische Spaltung der britischen Gesellschaft in Arm und Reich ein Reservoir an wütenden Bürger hervorbringt. Doch Farage hat den Briten nicht gesagt, dass die Banken, die EU und die großen Konzerne an dieser Entwicklung schuld sind – daraus kann man keine „Volksarmee“ formieren, wie Farage seine Wähler nennt. Farage hat den Briten gesagt, dass die Ausländer ihnen ihre Arbeitsplätze wegnehmen. Weil dieses Produkt bei den Wählern gut ankommt, gibt es neben der Ukip sogar zwei andere, neue Anti-EU-Parteien.

In einer Parteien-Demokratie zählt nichts mehr als attraktives neues Produkt; Wenn es die Anti-EU-Pille ist – bitte sehr! (mehr zu dieser Entwicklung hier)

Und daher wird Premierminister David Cameron kommende Woche ein neues Einwanderungs-Programm präsentieren, das wörtlich aus der Feder von Nigel Farage stammen könnte. In Griechenland macht die Regierung schon längst die Politik, die ihnen von der Rechtsradikalen diktiert wird, wie der Ökonom Yanis Varoufakis penibel beschrieben hat. Nach dem Sieg der Syriza werden die etablierten Parteien noch weniger von dem tun, wozu sie sich in Brüssel verpflichtet haben.

Die EU wird jedoch am ehesten an Frankreich zerbrechen.

Frankreich ist von allen europäischen Ländern das Land, in dem es am schnellsten zu gewalttätigen Ausschreitungen kommen kann. Das hat die Vergangenheit gezeigt. Das wissen alle Parteien in Paris. Und daher wird die französische Regierung auf den Kurs von Le Pen einschwenken – so wie Cameron tut, was Farage will; und so wie die Griechen, die von linken und rechten EU-Gegnern durch die Manege getrieben werden.

Die Sozialisten von Hollande sind in einer verzweifelten Lage. Sie haben den unfähigsten Präsidenten aller Zeiten. Sie sind zerstritten. Sie haben so massiv verloren, dass jeder einzelne Abgeordnete um seinen Job zittern muss. Die konservative UMP hat sich noch nicht von der Ära Sarkozy erholt. Sie hat noch keinen Führer hervorgebracht. Der Front National dagegen steht mit Marine Le Pen an der Spitze wie ein Mann. Würde innerhalb der nächsten Monate gewählt, Le Pen hätte Chancen auf den Sieg.

Frankreich kann aber keine großen Geschenke mehr verteilen: Das Land ist pleite. Seit Monaten flehen die Franzosen bereits, dass die EZB endlich zu entmündigen ist und der Euro so weichgespült werden müsse wie der Franc zu Krisenzeiten.

Die anderen EU-Staaten stecken alle in einer ähnlichen Lage wie Frankreich, Großbritannien und Griechenland. Sie haben massive Anti-EU-Bewegungen und damit politische Produkte, die sich besser verkaufen lassen als das ewig-gleiche Gesäusel vom „Friedensprojekt“ Europa: Italien (mit Grillo in Lauerstellung), Ungarn, Spanien (auch hier kam eine neue Linke aus dem Nichts, die die Sozialisten bedroht), Niederlande (mit dem starken Wilders), Österreich (mit einer starken anti-EU-FPÖ und einem Milliarden-Fiasko wegen der Hypo Alpe Adria) – keines dieser Länder wird sich in den kommenden Monaten dafür hergeben, die „Vereinigten Staaten von Europa“ zu propagieren. Jeder kämpft um sein eigenes Hemd. Für viele geht es bereits um das letzte Hemd.

In Paris und in London werden wir in den kommenden Monaten eine Wende der Politik erleben: Die EU-freundlichen Töne werden leiser werden, weil die Regierungen ums Überleben kämpfen. Die Siege von Le Pen und Farage werden das „Produkt Politik“ in Europa verändern: Man wird der EU nur noch das unbedingt Nötige geben. Die Einwanderungsgesetze, die Cameron kommende Woche vorschlagen will, verstoßen ganz klar gegen alle EU-Regeln. Er wird es trotzdem durchpeitschen – und sich von keinem Bürokraten à la Barroso, Van Rompuy oder Juncker dreinreden lassen.

Dem gegenüber steht eine neue Kommission, in der der völlig ausgelaugte Kohl-Freund Jean-Claude Juncker die Vorturner machen soll. Manchmal hat man bei Juncker den Eindruck, dem Mann geht es wirklich nur noch um die Rente – und er ist sogar zum Lügen zu faul. Der Niederländer Dijsselbloem hat Juncker sogar einen Trinker genannt (mehr dazu hier).

Mit diesem letzten Aufgebot werden Angela Merkel und Sigmar Gabriel versuchen, den Zerfall so lange als möglich hinauszuschieben. Auch Merkel ist im Übrigen bald eine „lame duck“: Sie strebt nach Höherem und will die ewigen Nachtsitzungen zur Euro-Rettung nicht mehr haben. Sigmar Gabriel kennt Brüssel zwar gut – er war ja erfolgreich als Lobbyist für VW tätig, was heute gerne verschwiegen wird (hier nachzulesen). Doch gerade diese Art von EU war es, die die EU-Gegner gestärkt hat. Gabriel mag damit noch – wie Schröder – den einen oder anderen Nutzen für sich selbst ziehen. Politisch führen kann man mit dieser Haltung in einer Krise nicht einmal die EU.

Mats Persson von Open Europe warnt: „Brüssel und die nationalen Hauptstädte werden versucht sein, die Erfolge der Euro-Skeptiker als den Höhepunkt der EU-kritischen Stimmung anzusehen, die verfliegt, wenn sich die Eurokrise beruhigt und die Wirtschaft erholt. Das wäre ein Spiel mit dem Feuer.“

Marine Le Pen wird Hollande in den kommenden Monaten vor sich hertreiben. Frankreich wird den Sparkurs über Bord werfen, weil die Regierung ihre Haut retten will. Frankreich wird seine Banken auf Teufel komm raus stützen.

Auch in den meisten anderen Ländern dürfte der Hass gegen den Sparkurs wachsen. Weil aber die Schulden in der Krise nicht abgebaut wurden, sondern gestiegen sind, werden wir eine Euro-Krise „reloaded“ erleben. Die Banken werden nervös werden. Der IWF wird aufmarschieren und fordern, was er erst kürzlich in einer Studie geschrieben hatte: Die ehemalige französische Finanzministerin Christine Lagarde übermittelte den Regierungen in Europa die Botschaft, sie mögen sich mit so harten Schnitten beschäftigen, wie sie „bisher nur im Zusammenhang mit Entwicklungsländern gesehen wurden“.

Diesen Hinweis sollten die deutschen Sparer genau lesen. Denn wenn die Franzosen nicht zahlen können, werden sich die Gläubiger an andere halten.

Ein Berater sagte nach der Schlappe vom Wahlsonntag über Francois Hollande:
„Der König ist nackt.“

Nach langem Zaudern richtete der nackte König am Montag kurz das Wort an sein Volk, unsicher und linkisch.

Er schien zu zittern.


Das neue Buch von DWN-Herausgeber Michael Maier.
DWN-Herausgeber Michael Maier beschreibt in seinem neuen Buch, warum alle Politiker das Ende des aktuellen Schuldenzyklus fürchten – und warum das Ende in Europa immer näher rückt: Die Regierungen fürchten den Offenbarungseid gegenüber Rentnern, Sparern und Sozialhilfeempfängern. Sie schieben die Stunde der Wahrheit hinaus, so lange es geht. Am Ende werden die Bürger alles bezahlen.

Michael Maier, „Die Plünderung der Welt. Wie die Finanz-Eliten unsere Enteignung planen“.

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Mit freundlicher Genehmigung von DEUTSCHE WIRTSCHAFTS NACHRICHTEN


Kommentare

Leider sagt:
Zitat: Die EU-freundlichen Töne werden leiser werden, weil die Regierungen ums Überleben kämpfen.
Sie schreiben es – die Regierungen kämpfen ums Überleben. Ob die Bevölkerungen in vielen Staaten wegen der fehlerhaften Politik ums Überleben kämpfen, hat die Politiker bis heute nicht interessiert.
Es gibt 2 Übel für dieses Dilemma: zuallererst unser Geldsystem des Fiat Money und zum zweiten die Währungsunion, welche von Anfang an dazu verdammt war, nicht funktionieren zu können.
Politiker sind der Meinung, dass die Wähler ausschließlich aus geistig Minderbemittelten bestehen, welche ihr Spiel nicht durchschauen. Man zwingt so unterschiedliche Wirtschaftsräume, mit vielen Sprachen und Mentalitäten nicht in eine Währung!!!

Frankreich und England die grosen Hoffnungen sagt:
Ich bedanke mich bei den Franzosen über diese klare Politik die Sie mehrheitlich gewählt haben!
Ich kann nur die Daumen drücken dass diese Versallen EU der USA den Bach runter geht!
Der Zerfall der EU beginnt in Paris – Treffender wie die DWN dies vormuliert kann man es gar nicht ausdrücken! Die Auflösung hat schon begonnen, wenn die Politiker etwas mehr die DWN und deren Kommentare gelesen hätten, dann wäre schon lange klar dass die EU keine Zukunft hat!
Die Lenkung der USA in der Ukraine und die bodenlosen Lügnereien im Staatsfunk haben dieses Bild abgerundet! Die EU und die Politiker der SPD und CDU haben in erschreckender Weise gezeigt wessen Kind die sind – Seelenverkäüfer der USA, immer bereit zu buckeln und zu schleimen.

Nichtwähler sagt:
“Drama in Frankreich: Der Zerfall der EU beginnt in Paris” und kann durch effektive Leistungen aus Deutschland jedenfalls nicht aufgehalten werden. Schäuble und Merkel halten immer unseren Nachbarn erzieherische schöne Sonntagsreden, wie sie leben müßten, um sich zu verbessern und uns anzunähern. Dieser verbale Ersatz tatsächlicher Leistungen ist auch das einzige, was sie anbieten können. Mehr ist nämlich nicht drin. Da die Deutschen von ihrem Diabolos-Rundfunk (Diabolos = Verwirrer, d. h. der Teufel) vollkommen demoralisiert wurden, wird es es hierzulande zu keiner Revolution nach der Art Frankreichs kommen, sondern zur Änderung des Arbeitsverhaltens.

joachim999 sagt:
Frankreich ist nur deshalb so wichtig, da es lange Zeit der “Motor der EU” war. Alle Reformen hin zu den VSE gingen von Frankreich aus. Nur ein Zentralstaat kann – ohne selbst kaputt zu gehen – einen zentralen Superstaat vorantreiben. Dieser Motor hat nun Zucker im Tank.
Aber ohne Motor säuft ein Schiff noch längst nicht ab. Hollande kann eine “Cohabitation” mit der FN bilden. Frankreich bleibt stabil, da Hollande sicher so schnell nicht zurücktritt.
Schlimmer sieht es auf der anderen Seite des Kanals aus: Sollte Schottland den UK verlassen, bleibt Cameron nur der Rücktritt. Dann gibt es Neuwahlen. Wie diese ausgehen, dürfte jedem klar sein. Danach ist der EU-Austritt nur noch eine Frage des Protokolls.

Brigitte sagt:
Nun rächt es sich, die Schuld von sich auf die EU und den Euro zu schieben. Gleiches Spiel mit den Banken, welche wohl viel falsch gemacht haben, allerdings u.a. auch unter dem Druck des vielen Geldes, welches über die Regierungen und der EZB den Markt überschwemmt(e).
Die EU und der Euro sind eine großartige Sache, wenn da nicht ganz weit oben die vielen von Lobbyisten umgebenen Politiker die Schalthebel nach deren Vorlagen umlegen würden. Wann fangt ihr Politiker selbst an zu denken und sorgt dafür, dass es vielen großen Unternehmen nicht mehr möglich ist, hier in der EU den Rahm abzuschöpfen, während der Großteil der Bevölkerung nur noch sprachlos diesem Schauspiel zuschauen kann?


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