Friedrich Pürner lässt sich nicht den Mund verbieten. Im Herbst 2020 war der damalige Leiter des Gesundheitsamtes im Landkreis Aichach-Friedberg an das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit in Oberschleißheim abgeordnet worden, nachdem er die Corona-Politik der bayerischen Staatsregierung kritisiert hatte. Im Gespräch mit Reitschuster.de erklärt der Facharzt und Epidemiologe, warum er die Pandemie für beendet hält und was er Kanzlerin Merkel raten würde.
Herr Pürner, haben Sie Angst vor einer Corona-Infektion? Friedrich Pürner: Nein, ich habe keine Angst. Warum auch? Die meisten Infektionen verlaufen wie eine Erkältung. In meinem Alter (53) und ohne Vorerkrankungen des Immun- oder des Herz- Kreislaufsystems habe ich wenig zu befürchten. Ich vertraue sehr auf mein Immunsystem und auch auf die Wahrscheinlichkeit. Und nach dieser Wahrscheinlichkeit schaut es ziemlich gut für mich aus. Wir sollten alle wieder lernen, Risiken besser einzuschätzen. Angst ist dabei ein schlechter Berater.
Können Tests überhaupt eine Erkrankung feststellen? Weder PCR- noch Antigenschnelltests können eine akute Erkrankung auf COVID-19 feststellen. Beide Verfahren liefern lediglich einen Hinweis. Letztendlich bedarf es aber eines Arztes, um eine Krankheit feststellen zu können. Ein bloßer Labornachweis oder ein Schnelltest haben in diesem Zusammenhang sehr wenig Aussagekraft. Man muss sich die Menschen schon auch noch anschauen, um eine Erkrankung diagnostizieren zu können. Leider ist dieses Basiswissen seit Corona völlig in Vergessenheit geraten.
Warum gibt es keine „klassische“ Grippe mehr? Gute Frage. Ich wundere mich auch. Natürlich gibt es die Grippe noch. Es werden auch immer wieder Fälle gemeldet. Im Vergleich zu den Vorjahren allerdings sehr wenige. Ich kann es mir nur so erklären, dass die Influenza momentan bei der klinischen und labortechnischen Diagnostik keine Rolle spielt. Alles dreht sich nur noch um Corona. Und ob nun jeder Arzt bei typischer Symptomatik wie Husten, Fieber und Halsschmerzen dann eine umfassende Differentialdiagnostik macht, bezweifle ich stark. So kann es eben dazu kommen, dass die Influenza hinten runterfällt.
Es gab doch bereits in der Vergangenheit Grippewellen. Ja, die gab es natürlich. Sie wurden zwischenzeitlich auch kurz wahrgenommen. In den Medien erschienen viele Berichte, dass die Krankenhäuser, die Notaufnahmen und die Intensivstationen durch Influenzakranke am Limit sind. Aber mit den Wellen verschwanden die Berichte und damit die Notwendigkeit der Politik, entsprechend zu handeln. Kurz gesagt: All das, was derzeit in den Krankenhäusern geschieht, ist längst bekannt. Es hat nur niemanden interessiert. Und nun wird das auf dem Rücken des gesamten Krankenhauspersonals ausgetragen.
Das RKI geht bei saisonalen Influenzawellen von rund zwei bis 14 Millionen Kranken aus. Warum wurde in den letzten Jahren so wenig dagegen unternommen? Ich frage mich auch, warum plötzlich bei Corona unser Gesundheitssystem kollabieren soll und die Intensivplätze angeblich zu knapp werden. Hat das RKI seine eigenen Aussagen nicht ernst genug genommen oder hat man die letzten Jahre einfach nur verschlafen? Nun möchte man mit Corona von dem eigenen Versagen ablenken, leider aber auf Kosten der Bevölkerung durch eine ständige Überdramatisierung.
Genügt die ausschließliche Fokussierung auf Inzidenzwerte, um die Verbreitung des Virus in den Griff zu bekommen? Inzidenzen sagen etwas über die Neuerkrankungen aus. Insofern ist der Begriff der Inzidenzwerte bereits schief, da es sich bei den vorliegenden Zahlen sicher nicht nur um Neuerkrankte handelt. Es sind lediglich Melde-Inzidenzen, d.h. jeder positive Laborbefund wird gemeldet – unabhängig davon, ob jemand krank ist oder gar keine Symptome hat. Und genau hier liegt der Fehler. COVID ist ein Akronym und beinhaltet bereits das Wort „Disease“, also Erkrankung. Erkrankt ist jemand dann, wenn er in seinem körperlichen oder geistigen Wohlbefinden gestört ist. Typischerweise haben Menschen mit einem respiratorischen Erreger Symptome wie Husten, Schnupfen und auch mal Fieber. Seit Corona wurde viel medizinisches Wissen auf den Kopf gestellt. Völlig gesunde Menschen, die nur einen positiven Test hatten, wurden und werden immer noch trotzdem zu COVID-Patienten gemacht. Sie gehen in die Statistik ein und werden auch entsprechend mit den jeweiligen Isolationsmaßnahmen behandelt.
Müssen Kinder Masken tragen? Kinder nehmen nicht überproportional am Infektionsgeschehen teil. Ich halte das Tragen von Masken im öffentlichen Raum grundsätzlich für völlig falsch. Das gilt besonders für die Kleinen, zumal es noch keinen einzigen wirklichen Beweis für den Nutzen des Maskentragens im öffentlichen Raum gibt – also in den öffentlichen Verkehrsmitteln, in Geschäften, in Supermärkten, in Restaurants, in Schulen und natürlich auch im Freien. Welche Maßnahmen und Verordnungen tatsächlich einen Nutzen haben, wissen wir eben nicht. Bei Kindern sehe ich das besonders problematisch. Sie werden völlig unnötig verängstigt und man suggeriert ihnen, dass sie ein Teil des Problems sind. Das geht mir bei einem respiratorischen Erreger, wie es SARS-CoV-2 nun mal ist, entschieden zu weit. Wir werden hier den Kindern mehr schaden, als es sich einige überhaupt vorstellen können. Kindern ohne einen triftigen Grund inmitten ihrer geistigen Entwicklung solche Maßnahmen und so eine Verantwortung aufzubürden, halte ich für höchst bedenklich. Ich frage mich, wo der Aufschrei der Kinderärzte, Psychologen und Pädagogen bleibt.
Wie gefährlich sind die Mutationen? Es gibt sicher bereits so viele Mutationen, dass diese Frage nicht einfach zu beantworten ist. Das Wort „gefährlich“ zeigt bereits das Problem auf. Was bedeutet „gefährlich“ im Zusammenhang mit SARS-CoV-2 und den Mutationen? Wenn eine Mutation nun infektiöser wird, dann stecken sich eben mehr Menschen an. Ob sich das Virus nun auch dem Menschen gegenüber gleich schädlich oder noch aggressiver verhält, das kann derzeit nicht sicher gesagt werden. Es ist eher davon auszugehen, dass Mutationen eben infektiöser, aber weniger schädlich werden. Ärzteprotest gegen Strafversetzung von Amtsarzt "Das Vorgehen der Regierung ist eines freiheitlich-demokratischen Staates in jeder Hinsicht unwürdig" – Bayerische Mediziner und Wissenschaftler protestieren gegen die Bestrafung eines kritischen Gesundheitsamtschefs.
Welchen Weg würden Sie vorschlagen, um aus dieser Krise herauszukommen? Ordentliche Kommunikation, saubere, valide Zahlen und eine an der Realität angepasste Strategie wären mein Weg. Ganz konkret hieße das, dass wir nur noch echte COVID-19-Fälle zählen, also Kranke, dass genau geschaut werden muss, wie viele echte COVID-Patienten auf den Intensivstationen liegen, also diejenigen, die wegen einer tatsächlichen COVID-Erkrankung auf die Intensivstation müssen, und eben nicht diejenigen, die einen schweren Herzinfarkt oder Autounfall hatten und danach positiv getestet worden sind. Zudem würde ich noch genau wissen wollen, wie viele COVID-Patienten vom Hausarzt behandelt werden müssen. Hausärzte gehören ebenfalls zum Gesundheitssystem, nur darüber erfährt man nichts. Das wären aber doch interessante Zahlen. Es scheint fast so, also würde es COVID nur als asymptomatische Verläufe oder bei Erkrankten auf Intensivstationen geben. Dazwischen scheint nichts zu liegen.
Das Problem der Übertragung ist damit aber nicht gelöst. Ich würde alles öffnen, Hygienekonzepte beibehalten, aber auf Maske und Schnelltests verzichten. In den Wintermonaten sind Abstand halten und eine gute Händehygiene die in meinen Augen wichtigsten Regeln. Auch der Desinfektion von Handläufen an Einkaufswägen oder einer regelmäßigen Reinigung von Türklinken räume ich eine bedeutende Rolle in der Verhinderung von Übertragungen von SARS-CoV-2 und anderen respiratorischen Erregern ein. Ich denke, dass der Übertragungsweg der Schmierinfektion völlig unterschätzt und der Übertragungsweg über Aerosole völlig überschätzt wird.
In Berlin dürften Sie mit diesen Ratschlägen kaum Gehör finden. Mir ist vollkommen klar, dass meine Ansichten diametral zu den derzeitigen Meinungen und Maßnahmen der Politiker sowie deren Beratern stehen. Deshalb erwarte ich auch nicht, dass man sich über meine Vorschläge Gedanken macht. Denn das würde ja eine 180-Grad-Wendung der bisherigen Strategie bedeuten, und gleichzeitig müssten sich Politiker und Berater Fehler eingestehen. Und das wird nicht passieren. Eigentlich wäre es Aufgabe der Politik, den Bürgern die Angst zu nehmen.
Was würden Sie Angela Merkel vor der nächsten Entscheidungsrunde raten? Frau Merkel sollte einmal andere Berater zu sich bitten und diese dann auch ausführlich anhören, ohne bereits eine vorgefasste Meinung zu haben. Ich bin mir sicher, dass sie das kann. Es kann doch nicht ihr tatsächlicher Wille sein, ein derart negatives Erbe zu hinterlassen. Das hat sie im Übrigen auch überhaupt nicht verdient. Ich denke, sie ist auf ihre Berater und Experten hereingefallen und nun gibt es keinen Ausweg mehr. Das ist natürlich falsch, denn es gibt immer einen Ausweg. Man muss nur dazu bereit sein. Kritiker werden aber derzeit regelrecht diffamiert und abgekanzelt. So kann kein Dialog in einer Demokratie stattfinden. So werden sich nur die durchsetzen, die am lautesten schreien und andere zu Boden ringen. Diejenigen, die immer nur das schlimmste Szenario aufzeigen, finden Gehör. Andere werden verspottet. Wer aber ständig droht, der wird irgendwann nicht mehr ernst genommen. Und wer stets viele Prognosen auswirft, der wird auch irgendwann mal Recht haben. Wie der Schuss mit einer Schrotflinte: Eine kleine Kugel wird auch mal ihr Ziel treffen. Das hat aber nichts mehr mit Wissensaustausch oder fachlicher Diskussion zu tun. Das ist dann nur noch Zufall.
Wann ist die Pandemie zu Ende? Die Pandemie ist bereits zu Ende. Sie wird nur künstlich durch das Spiel der Zahlen samt ständiger Angstmacherei und Drohungen aufrecht erhalten. Wenn eine Pandemie derartige Einschränkungen und Drohkulissen braucht, um die Bürger davon zu überzeugen, dann ist es keine Pandemie mehr.
Im Mai erscheint Ihr Buch „Diagnose Panikdemie“. Was ist Ihre Botschaft? Ich möchte in meinem Buch erklären, wie es zu dieser Situation, in der wir nun sind, überhaupt kommen konnte. Wie Reflexe eventuell die falschen Maßnahmen auslösen und gewisse Verzahnungen zwischen Politik, Beamtentum und Medizin eher hinderlich in einer Krise sein können. Zudem möchte ich dem Leser die Angst vor Corona nehmen. Ich möchte diese Erkrankung da einordnen, wo sie hingehört.
Der Artikel erschien auf der Seite: Reitschuster.de
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