Zu
Beginn der Corona-Pandemie wurde der Rettungsdienst beklatscht. In den
aktuellen Tarifverhandlungen haben wir von den Arbeitgebern aber die
Klatsche bekommen.
Wir sollen weiterhin - ohne Bezahlung -
über 400 Stunden pro Jahr mehr arbeiten als andere Beschäftigte? Von
den finanziellen Verbesserungen für das Gesundheitswesen sollen wir
nicht profitieren?
Ich bin Timo und Notfallsanitäter.
Seit Jahren fordern wir im Rettungsdienst dasselbe: eine Reduzierung
unserer Arbeitszeit. Schluss mit der 48-Stunden-Woche, Schluss mit 9
unbezahlten Stunden pro Woche! Und schon wieder wurden wir ignoriert:
nicht einmal ein Kompromiss wurde uns angeboten.
Nicht mit uns, Herr Mädge! Wir fordern Nachverhandlungen bis zum 26.11.! Wir erwarten mindestens analog zur Pflege:
- eine Erhöhung der Wechselschichtzulage von 105 auf 155 Euro
- Samstagszulagen bei Schicht- bzw. Wechselschichtarbeit
Die
Tarifverhandlungen 2020 für den öffentlichen Dienst haben zu einem
Einigungspapier geführt, das bis zum 26. November 2020 von den
Verhandlungspartnern angenommen oder abgelehnt werden kann. Wir fordern,
dass das Ergebnis vor der Annahme nachverhandelt wird und der
Rettungsdienst - so wie Krankenhäuser, Pflege und Gesundheitsämter - von
den finanziellen Verbesserungen für das Gesundheitswesen profitiert.
Hintergrund zu den Tarifverhandlungen für den Rettungsdienst:
Der
Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst sieht eine maximale
Wochenarbeitszeit von 39 bzw. 40 Stunden (Ost bzw. West) vor. Für den
Rettungsdienst gibt es jedoch eine Ausnahmeregelung: die Arbeitszeit
beträgt hier 48 Stunden - bei dem Gehalt einer 39-Stunden-Woche. Dadurch
müssen wir im Rettungsdienst über 400 Stunden pro Jahr (1) mehr
arbeiten als andere Beschäftigte - und bekommen für diese 400 Stunden
keinen Cent.
Diese Regelung wurde einst geschaffen, weil in unsere
Tätigkeit früher "regelmäßig und in nicht unerheblichem Umfang
Bereitschaftszeiten" (2) fielen. Diese Tatsache trifft durch die in den
letzten Jahren enorm gestiegene Auslastung jedoch nicht mehr zu: musste
der Rettungsdienst 1996/97 noch zu rund 10,5 Mio. Einsätzen ausrücken,
waren es 2016/17 bereits ca. 16,5 Mio. Einsätze (3). Zwar wurden in den
vergangenen Jahren Fahrzeuge und Personal aufgestockt, ausreichend
kompensieren können diese Maßnahmen die zunehmende Auslastung aber
nicht: die Mitarbeiter im Rettungsdienst arbeiten bis an ihre
Belastungsgrenze heran. Die gesundheitlichen Folgen für die Mitarbeiter
zeigen sich an hohen Krankenständen, dass die Qualität der
Patientenversorgung leidet ist - sofern nicht bereits der Fall - nur
eine Frage der Zeit.
Emotionale Aspekte, z. B. dass über 400
Stunden mehr Arbeit für die Beschäftigten im Rettungsdienst seit jeher
umgerechnet auch 35 Tage (1) weniger Zeit mit der Familie bedeuten,
kommen noch hinzu.
Bei den aktuellen Tarifverhandlungen war es
daher das Ziel, die Arbeitszeit von 48 auf zumindest 45 Stunden zu
reduzieren. Damit müssten die Mitarbeiter im Rettungsdienst noch immer
bis zu 6 Stunden pro Woche bzw. fast 300 Stunden pro Jahr mehr arbeiten -
und das ohne Bezahlung - als andere Beschäftigte. Aber selbst diese
Forderung wurde durch die Arbeitgeber abgelehnt. Zwar muss bei einer
Reduzierung der Arbeitszeit zusätzliches Personal eingestellt werden.
Aber die Kosten hierfür werden bei einer tariflichen Einigung von den
Krankenkassen getragen und fallen nicht einmal zu Lasten der
Arbeitgeber.
Damit bleiben die Bedingungen für Rettungsdienstler
im öffentlichen Dienst weiterhin schlechter als bei vielen
Hilfsorganisationen, bei denen bereits eine Reduzierung auf sogar nur 40
Wochenstunden tariflich vereinbart wurde.
Statt die Arbeitszeit
zu reduzieren oder die Mehrarbeit zumindest anteilig zu vergüten, wurden
für den Rettungsdienst in dieser Tarifrunde keinerlei
branchenspezifische Verbesserungen erwirkt.
In der Pflege war die
Arbeitszeit ebenfalls Thema der Tarifverhandlungen: hier ging es jedoch
nicht um die Reduzierung von 9 Stunden nicht bezahlter Arbeit pro Woche,
sondern "lediglich" um 30 Minuten Pause pro Tag. Anders als in anderen
Berufen wird in der Pflege die Pausenzeit nicht in die Arbeitszeit
eingerechnet, wenn in Wechselschicht gearbeitet wird. Da eine Änderung
zu einem erhöhten Personalbedarf führen würde, haben die Arbeitgeber
diese Forderung ebenfalls abgelehnt. Aber: sie haben einen Kompromiss
angeboten. Wird in der Pflege in Wechselschicht gearbeitet, erhalten die
Beschäftigten künftig eine Wechselschichtzulage in Höhe von 155 statt
bisher 105 Euro. Zudem erhalten sie an Samstagen einen Zuschlag von 20%.
Neben
diesen finanziellen Aufwertungen im Zusammenhang mit der Wechselschicht
erhalten Beschäftigte in der Pflege zusätzlich eine sog. Pflegezulage
in Höhe von 70 Euro (ab März 2021) bzw. 120 Euro (ab März 2022) und es
werden bestehende Zulagen erhöht.
Der Rettungsdienst sieht von all
diesen Verbesserungen nichts, obwohl wir ebenfalls in Wechselschicht
arbeiten und uns statt "nur" 2,5 sogar bis zu 9 Stunden pro Woche nicht
bezahlt werden.
Daher fordern wir Gleichbehandlung! Das
Tarifergebnis muss nachgebessert werden und auch im Rettungsdienst
müssen die Wechselschichtzulage erhöht und der Samstagszuschlag gezahlt
werden!
Quellenangaben:
(1) 52,14 Wochen pro Jahr, abzgl. 6
Wochen gesetz. Urlaub und multipliziert mit 9 Wochenstunden (Differenz
39- zu 48-Stunden-Woche) ergibt rund 415 Stunden; bei den im
Rettungdienst üblichen 12-Stunden-Schichten entspricht das rund 35
Tagen.
(2) Abs. B des Anhangs zu § 9 TVöD
(3) https://de.statista.com/statistik/daten/studie/482380/umfrage/einsatzfahrtaufkommen-im-oeffentlichen-rettungsdienst-nach-einsatzart/
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