Donnerstag, 16. April 2020

Corona - Wie sieht es denn in Österreich aus?

Verschärfte Gangart
Politik und Medien beschwören eine „Exit-Strategie“ — die sich bei genauerer Betrachtung jedoch als weitergehende Entrechtung erweist.
von Hannes Hofbauer

Von nachösterlicher „Auferstehung“ und „Lockerung“ ist die Rede. Die Medien folgen unisono. Und auch aus Deutschland kommt Lob. Angela Merkel meinte kürzlich zum Umgang mit Corona: „Österreich war uns immer einen Schritt voraus“. Das mag stimmen, nur die Richtung stimmt nicht. Denn die angesprochene Lockerung ist in Wahrheit eine Verschärfung. Ohne Maske geht in Österreich gar nichts mehr. Wer unverhüllt einkauft oder U-Bahn fährt, wird bestraft.
Beginnen wir mit der Grundrechenart. Die EinwohnerInnenzahl der kleinen Alpen- und Donaurepublik wird offiziell mit 8,8 Millionen angegeben. Davon sind in den bislang vier Wochen, seit jede Nachrichtensendung mit den sogenannten Corona-Fallzahlen beginnt, also vom 15. März bis zum 12. April 2020, 13.776 Menschen positiv auf das Covid-19-Virus getestet worden und 337 gestorben.
Laut offizieller Mitteilung aus dem grün regierten Gesundheitsministerium werden diese 337 Verstorbenen deshalb als „Corona-Tote“ ausgewiesen, weil bei ihnen zuvor eine entsprechende virale Infektion festgestellt worden war. Ob sie tatsächliche an der heimtückischen Krankheit verstorben sind oder eben mit ihr, das heißt an diversen anderen Krankheiten, wird nicht weiter erhoben.

Da der Altersmedian der Corona-Toten, also ihr durchschnittliches Alter beim Eintritt des Todes, bei 82 Jahren liegt und betagte Menschen oft schon gesundheitlich angeschlagen sind, ist davon auszugehen, dass es in Österreich nur wenige Fälle gibt, bei denen Covid-19 die entscheidende Todesursache war. Im Übrigen sterben laut Statistik Austria pro Jahr zwischen 82.000 (2019) und 84.000 (2018) Menschen.

Wir fassen zusammen: Bei einer Einwohnerzahl von 8,8 Millionen sterben jährlich durchschnittlich 80.000. Bis Mitte April wurden 337 Corona-Tote gezählt. Würden diese drei Zahlen medial und politisch miteinander in Beziehung gesetzt, ließe sich keinerlei Panik erzeugen. Die Corona-Epidemie wäre trotzdem Ernst zu nehmen. Die Menschen sollten zur Vorsicht im Umgang miteinander ermahnt und auf die infektiöse Ausbreitung eines noch unbekannten Virus hingewiesen werden sowie auf das erhöhte Risiko für Alte und Kranke.

Die österreichische Koalitionsregierung aus Konservativ-Liberalen und Grünen ging stattdessen — wie viele andere — einen restriktiv-repressiven Weg. Sie nützte die Epidemie zur Implementierung von im Schnellverfahren verordneten Maßnahmen. Am 15. März 2020 wurde ein Betretungsverbot des öffentlichen Raumes ausgesprochen; seither darf man seine vier Wände nur mehr verlassen, um Lebensnotwendiges einzukaufen, der unaufschiebbaren Arbeit nachzugehen, sich die Füße zu vertreten oder medizinische Hilfe zu leisten.

Mit öffentlichen Verkehrsmitteln an den Stadtrand zu fahren, um dort spazieren zu gehen, ist genauso strafbar, wie Menschen zu treffen, mit denen man nicht im selben Haushalt lebt. Kontrolliert wird überhart. So hagelt es an sonnigen Tagen, an denen die Menschen ins Freie wollen, durchschnittlich über 1000 Anzeigen wegen Verstößen gegen die neue Gesetzes- und Verordnungsflut. Sogar die Volksanwaltschaft beklagt die Überreaktion der Exekutive.

Die österreichischen Ausgehverbote sind gesetzlich nicht gedeckt, wie namhafte Juristen aus unterschiedlichen politischen Lagern versichern. Sie wurden per Verordnung von Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) dekretiert, ohne sich auf ein im Parlament beschlossenes Gesetz berufen zu können. Das im Hohen Haus mit den Stimmen aller Fraktionen, also auch der Opposition, verabschiedete Covid-19-Gesetz ermächtigt die Regierung bloß, „das Betreten von bestimmten Orten“ zu untersagen. Die Regierung hat daraus im Handumdrehen „das Betreten öffentlicher Orte“ gemacht.

Der frühere Nationalratsabgeordnete Alfred Noll, der bekannteste Verfassungsexperte Heinz Mayer und eine Reihe anderer Juristen sagen offen, dass das seit drei Wochen praktizierte Ausgehverbot keine gesetzliche Grundlage hat. Die Regierung ficht das nicht an und reagiert auf derlei Kritik, indem sie sie als „juristische Spitzfindigkeit“ abtut. Längst hat sich das autoritäre Vierergespann aus Kanzler (Sebastian Kurz/ÖVP), Vizekanzler (Werner Kogler/Grüne), Innenminister (Karl Nehhammer/ÖVP) und Gesundheitsminister (Rudolf Anschober/Grüne) über die Legislative erhoben und agiert autokratisch an Grund- und Menschenrechten vorbei.

Verschärfung wird als „Lockerung“ verkauft

Knapp vor Ostern verkündete Bundeskanzler Sebastian Kurz Lockerungen für den 14. April. Dabei war es ihm nicht einmal peinlich, in den katholisch-klerikalen Duktus zu verfallen, indem er von einer bevorstehenden Auferstehung schwadronierte. Auferstehen tut in diesem Fall nicht Jesus Christus, sondern Teile des Handels. Kleine Geschäfte bis zu einer Verkaufsfläche von 400 Quadratmetern und große Bau- und Gärtenmärkte dürfen nach mehrwöchigem Shutdown wieder aufsperren.

Friseure bleiben geschlossen, in Buchhandlungen darf nicht geschmökert, sondern nur Bestelltes abgeholt werden. Restaurants, Kaffeehäuser und Bars bleiben zu. Wirten wird es erlaubt, vorab bestelltes Essen an der Schwelle zur Eingangstür dem Kunden auszuhändigen, bezahlt darf nur mit Karte oder exakt abgezähltem Geld werden. Wer solche Sätze vor zwei Monaten in einem Science Fiction-Roman gelesen hätte, hätte das Buch beiseite gelegt, zu dick aufgetragen und zu unlogisch wäre ihm die Handlung erschienen.

Österreichs Regierung übt sich in wirtschaftlichem Dirigismus. Eingesponnen in ihre Beraterblase aus Pulmologen, Virologen und Mathematikern entwickelt sie Allmachtsphantasien darüber, wie aus eigenverantwortlichen Menschen eine gegen diktatorische Maßnahmen immunisierte Herde geformt werden kann.

Die verkündete Lockerung ist tatsächlich eine Verschärfung. Denn ab sofort gilt österreichweit eine Maskenpflicht. Das Betreten eines jeden Geschäftslokals, und sei man auch noch so einsam im kleinen Tabakladen, ist nur mehr mit Gesichtsmaske erlaubt. Auch in öffentlichen Verkehrsmitteln muss Mund und Nase verhüllt sein. Die Polizei wird zur strengen Kontrolle aufgerufen. Wer sich nicht daran hält, wird von Innenminister Karl Nehmanner (ÖVP) als „Lebensgefährder“ gebrandmarkt; sein Vor-Vor-Vor-Vorgänger prägte das Unwort vom Volksschädling, an das Nehammer sicher nicht erinnert werden will.

Die Exekutive hat freie Hand. Kein Park, vor dem nicht vermummte Polizisten stehen und darauf achten, dass man keine Freunde oder Verwandten trifft. Kein Supermarkt, an dessen Eingang die Maskenpflicht nicht streng kontrolliert wird. Keine U-Bahn, in der man nicht Angst haben muss, wegen eines fehlenden Mund-Nasen-Schutzes mit einer Strafe belegt zu werden. Und dies, obwohl sich der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) von der Maskenpflicht gar nicht begeistert zeigt. Auch seine Gegenstimme geht im ministeriellen Verbotsgeheul unter.

Die sozialdemokratischen Wiener Lokalpolitiker sind noch die einzigen im Land, die — kleinlaut, aber immerhin — gegen die eine oder andere verschärfende Maßnahme der türkis-grünen Koalitionsregierung aufbegehren. Mit ihrer SPÖ-Parteichefin Pamela Rendi-Wagner steht ihnen allerdings eine Frau im Weg, die die gesamte Krise ausschließlich aus der Sicht einer gelernten Tropenmedizinerin betrachtet und nur ein politisches Credo kennt: testen, testen, testen. Gesellschaftliche Fragen nach politischen Grundrechten oder dem sozialen Überlebenskampf Hunderttausender neuer Arbeitsloser werden von ihr schlicht nicht gestellt. Damit unterstützt sie als Oppositionsführerin die Zwangsmaßnahmen der Regierung ohne Wenn und Aber.

Von der Maske zum Maulkorb

Keine zwei Wochen ist es her, als uns über sämtliche Medienkanäle weis gemacht wurde, dass die einfache Maske, wie sie Ärzte im Operationssaal tragen, keinen Schutz vor Ansteckung gewährt. Virologen traten in TV-Shows aus, um genau darzulegen, wie wichtig es sei, Abstand zu anderen Menschen zu halten und sich mehrmals am Tag die Hände zu waschen und wie unsinnig es sei, Masken in der Öffentlichkeit zu tragen. „Sie bieten keinen Schutz“, lautete die Botschaft.

Allenfalls könnten sie bei einmaligem Tragen den tröpfchenhaften Speichelausstoß von vielleicht Infizierten beim Sprechen oder Husten reduzieren; häufigeres und längeres Tragen solcher einfachen Stoffmasken würde im Gegenteil die Gefahr verstärken, weil an den dann durchnässten Teilen das Virus umso leichter eine Angriffsfläche hätte. Das Volk glaubte den Fachleuten und nur ganze wenige Übereifrige begannen, blaugrüne Stofftücher sich mit weißen Bändern um die Ohren zu binden.

Seit dem 14. April ist alles anders. Nun müssen alle Masken tragen. Es brauchte nur wenige Tage für die 180gradige Kehrtwendung in der Argumentation zur Nützlichkeit des Gesichtstextils. Plötzlich waren wieder — diesmal andere — Virologen im TV und erklärten dem allzu willigen Volk die Wichtigkeit des Mund- und Nasenschutzes. Freilich, er bietet keine Garantie, war zu hören, aber er sei besser als keiner. Woher der radikale Gesinnungswandel kam, wurde kaum thematisiert.

Nur in einem einzigen Interview ließ Kanzler Kurz durchblicken, wer ihm die Sache mit der absoluten Dringlichkeit der Masken eingeredet hatte. Er sei, anders als die WHO, die ebenfalls lange von Gesichtsschutz zwecks Virusabwehr nichts wissen wollte, international bestens vernetzt und in intensivem telefonischen Kontakt mit Benjamin Netanjahu sowie mit Stellen in Südkorea und dort würde man auf die Maske setzen.

Seitdem ist es in Österreich bei Strafe verboten, in öffentlichen Verkehrsmitteln sein Gesicht zu zeigen. Dass gleichzeitig ein Gesetz gilt, dass Gesichtsverhüllung im öffentlichen Raum unter Strafe stellt, weil man damit die besonders religiösen muslimischen Frauen ins Visier nehmen konnte, dieser Widerspruch stört kaum jemanden; schnell war auch hier ein Ausweg zur Stelle, indem man aus medizinischen Gründen eine Ausnahme vom Verhüllungsverbot erlaubte.

Und wieder ist es ein aufmerksamer Jurist, der den Wahnsinn kritisiert. Der langjährige Kabinettschef im Innenministerium, Manfred Matzka, kritisiert das Zustandekommen der Schutzmaskenpflicht für den Einkauf heftig. Dieser per Erlass — wie üblich ohne parlamentarische Debatte — an untergebene Behörden ausgesandte Regierungsbefehl basiert auf dem Lebensmittelsicherheitsgesetz. Darin erkennt Matzka eine „unfreiwillige Komik“, denn dieses Gesetz enthält nur „Anforderungen an Lebensmittel, Wasser und Gebrauchsgegenstände und die damit verbundene Verantwortung der Unternehmer“.

Mit weniger juristischen Worten: es ist dafür gedacht, dass Mitarbeiter im Lebensmittelhandel Schutzvorkehrungen — gegebenenfalls auch Mund- und Nasenschutz — treffen, um die Ware hygienisch einwandfrei zu halten. Von Kunden ist darin gar keine Rede. Die türkis-grüne Allianz machte daraus flugs eine Maskenpflicht für Kunden.

Von der Virus-Maske zum Polit-Maulkorb ist es nur ein kleiner Sprung. Aktuell herrscht in Österreich beides. Die Befürchtung ist, dass man sich früher oder später der Virus-Maske entledigen kann und der Polit-Maulkorb bleibt.
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Hannes Hofbauer Hannes Hofbauer, Jhrgang 1955, studierte Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Wien. Er arbeitet als Publizist und Verleger. Im Promedia-Verlag sind von ihm unter anderem erschienen „EU-Osterweiterung. Historische Basis – ökonomische Triebkräfte – soziale Folgen“, „Diktatur des Kapitals. Souveränitätsverlust im postdemokratischen Zeitalter“ und „Feindbild Russland. Geschichte einer Dämonisierung“.
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Erschienen ist der Beitrag bei  RUBIKON

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