Kommende Woche soll entschieden werden, ob das umstrittene
Pflanzenschutzmittel Glyphosat in Europa weiter verwendet werden darf.
Die Befürworter hoffen auf ein Ja, denn ein Verbot würde besonders die
Bauern treffen - so das Argument. Ist Glyphosat wirklich so
unverzichtbar?
Wo Glyphosat
hinfällt, wächst kein Gras mehr. Das Totalherbizid tötet sämtliche
Pflanzen. In Europa werden Anbauflächen vor allem im Frühling - vor dem
Austrieb - damit behandelt. Landwirte müssen die sogenannten Unkräuter
nicht mehr mechanisch entfernen. Das spart Zeit und Kosten. Positiver
Nebeneffekt: Die Böden erodieren weniger und bleiben fruchtbarer, wie
Stefan Kocher von der Monsanto Agrar Deutschland den Nutzen beschreibt: „Mit Glyphosat kann man Ackerflächen bodenschonend bewirtschaften.“
Sendungshinweise
Dem Thema Glyphosat widmet sich auch das Ö1 Dimensionen Magazin am Fr, 13.5., 19:00
Ein Beitrag in heute konkret am 12.5., um 18:30 widmet sich ebenfalls Glyphosat
Eingeführt wurde das - mit den Worten des deutschen Produktmanagers bodenschonende
- Pflanzenschutzmittel Anfang der 1970er Jahre unter dem Markennamen
Roundup. Heute ist der Wirkstoff - eine Organophosphorverbindung - in
hunderten Produkten enthalten. Schon in den 1980er Jahren wurde es zu
einem der meist verkauften Herbizide.
Siegeszug durch Gentechnik
Einen
zweiten Wachstumsschub verdankt das Mittel der Gentechnik: Manche
Kulturpflanzen - allen voran Mais und Soja - wurden so modifiziert, dass
sie gegen das Herbizid resistent sind. Ab sofort konnte man es
jederzeit anwenden, ohne dass die Ernte selbst darunter leidet.
Der
Einsatz von Glyphosat ist dadurch förmlich explodiert. Seit der
Markteinführung hat er sich verhundertfacht. 74 Prozent des jemals
produzierten Wirkstoffs wurden allein in den letzten zehn Jahren
verbraucht, wie eine Studie aus dem Februar 2016 ausgerechnet hat.
Insgesamt
wurden seit den 1970er Jahren mehr als acht Millionen Tonnen Glyphosat
verbraucht, in der Landwirtschaft, in Kleingärten und um Unkraut von
öffentlichen Flächen zu entfernen, pro Jahr sind es Hundertausende
Tonnen, in Österreich einige hundert.
Michael Hauser/Boku Wien
2002: Schulkinder in Uganda lernen, wie notwendig Roundup/Glyphosat ist
Gerade
der enorme globale Umsatz sei ein wesentlicher Beweggrund dafür, den
Wirkstoff auch am europäischen Markt zu halten, erklärt Helmut Burtscher
von der österreichischen Umweltorganisation GLOBAL 2000:
„Wenn man es verbietet, dann muss man die erlaubten Grenzwerte in
Lebensmitteln runtersetzen. Dann darf man auch keine Produkte mit
Rückständen importieren.“
Und das sind einige, sie kommen vor
allem aus Südamerika und aus den USA, wo Gentechnik in der
Landwirtschaft und somit das Herbizid Standard sind. D.h., in Österreich
selbst sind gentechnische Methoden zwar verboten, dennoch landen die
direkt mit Glyphosat behandelten Kulturpflanzen mitunter auf unseren
Tellern oder zumindest im Futternapf unserer Nutztiere.
Eigentlich verboten
Auch eine andere weltweit übliche Methode ist hierzulande eigentlich
verboten, wie Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter bei einer
Pressekonferenz im April betont hat: „Wir haben in Österreich bereits
das Verbot der Erntegutbehandlung.“ Bei dieser Erntegutbehandlung wird
Glyphosat kurz vor der Ernte direkt auf die Kulturpflanzen gespritzt.
Das Totspritzen - wie manche den Vorgang bezeichnen - erleichtert die
Ernte, da Pflanzen (Kulturpflanzen und „Unkraut“) gleichmäßig absterben
und das überflüssige Blattwerk schneller abfällt.
AFP PHOTO/ROMEO GACAD
Glyphosat wird zur Reifebeschleunigung direkt auf Nutzpflanzen gesprüht
Weniger
bekannt: Manche Erntegutbehandlungen bzw. Spätanwendungen sind auch in
Österreich erlaubt - dafür muss man allerdings das Kleingedruckte lesen.
Durchsucht man das Online-Register für Pflanzenschutzmittel
der Österreichischen Agentur für Ernährungssicherheit nach
glyphosathältigen Produkten, sind einige auch für die Anwendung kurz vor
der Ernte empfohlen, etwa um - wie es heißt „Unkrautdurchwuchs und
Zwiewuchs zur Ernteerleichterung“ zu bekämpfen.
Diese Praxis und
den enormen Verbrauch kann man mittlerweile in den steigenden
Rückständen sehen: Glyphosat findet sich in Getreide, Brot, Bier und
vielen anderen Produkten. So landet es letztlich auch im menschlichen
Körper.
Unerwartete Nebenwirkungen
Trotz
der messbaren steigenden Rückstände könnte man sagen: Wo liegt das
Problem? Denn das Herbizid tötet ja lediglich Pflanzen. Für
Nichtzielorganismen, also Tiere und Menschen, sollte es unbedenklich
sein. Glyphosat blockiert nämlich einen zentralen Stoffwechselprozess in
pflanzlichen Zellen: die Pflanzen verhungern.
In tierischen Organismen kommt das entsprechende Enzym gar nicht vor, wie der Umweltmediziner Hans-Peter Hutter
von der Medizinischen Universität Wien erklärt. Erst lange nach
Markteinführung habe man auch an tierischen wie menschlichen Zellen
Schäden beobachtet. Am Menschen selbst gebe es wenige Studien, so
Hutter.
In den wenigen, die es gibt, und in Untersuchungen an
Mäusen sowie Nutztieren finden sich aber Hinweise auf eine
Schädlichkeit. Der Wirkstoff könnte unter anderem das Fortpflanzungs-,
das Herz-Kreislauf- sowie das Nervensystem beeinträchtigen, besonders
gefährdet sind die landwirtschaftlichen Arbeiter. Verschärft wird das
Problem durch die in den meisten Produkten verwendeten Beistoffe.
Expertenstreit?
Rund um die Studien zu Glyphosat bzw. deren Auslegung ist im vergangenen Jahr ein Streit
entbrannt, nachdem Experten der Internationalen Krebsforschungsagentur
der WHO Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend für den Menschen“
eingestuft hatte. Das gerade laufende Neuzulassungsverfahren in Europa
verzögerte sich, die alte läuft im Juni 2016 ab. Dennoch folgte im
November 2015 eine positive Stellungnahme seitens der Europäischen Behörde für Ernährungssicherheit (EFSA), bei sachgerechter Anwendung sei mit keinem Gesundheitsrisiko zu rechnen.
Gegen die Empfehlung formierte sich internationaler Protest
, die Einschätzung sei wissenschaftlich inakzeptabel. Stein des
Anstoßes: die unterschiedliche Interpretation einer Handvoll Studien an
Mäusen. Auch epidemiologische Untersuchungen an Menschen seien
systematisch falsch ausgelegt worden, kritisierten andere Experten.
Im März dieses Jahres vertagte das für die Neuzulassung zuständige Expertengremium die Entscheidung auf Mitte Mai.
Wenn es vor dem 1. Juli in Europa nicht mehr dazu kommt, rechnet
Monsanto-Produktmanager Stefan Kocher aber mit einer temporären
Verlängerung der Zulassung, im Sinn der Landwirte.
Wie abhängig sind Bauern?
Generell sind die Pflanzenschutzmittelerzeuger zuversichtlich, dass der Wirkstoff dem europäischen Markt erhalten bleibt. Die Bauern seien darauf angewiesen.
Einer davon ist Edmund Rauchberger, Juniorbauer in Aspersdorf im
Weinviertel. Auf den 80 Hektar Familienbetriebs wachsen vor allem
Erdäpfel, außerdem Zuckerrüben, Getreide und Mais.
Glyphosathältige
Produkte sind auch für den Kleingartenbereich zugelassen. Dennoch haben
sich einige Anbieter in den letzten Monaten entschlossen, diese
Unkrautvernichtungsmittel aus dem Sortiment zu nehmen, z.B. OBI, Bauhaus
und Baumax.
Standardmäßig setzt er auf mechanischen
Pflanzenschutz. Dabei wird das Feld entweder komplett umgepflügt oder
mit einem Grubber bearbeitet, der den Boden lockert und die Schichten
vermischt.
Man müsse fast für jedes Feld entscheiden, was sinnvoll ist
- es hänge von der Lage, der Bodenart, den Beikräutern, der Witterung
und der Kulturpflanze selbst ab. Manchmal, z.B. bei sehr empfindlichen
Pflanzen wie der Zuckerrübe bzw. bei Feldern in Hanglange, die sehr
erosionsgefährdet sind, greift der Erdäpfelbauer selbst zur
glyphosathältigen Herbizid-Spritze. Für diese Ausnahmefälle gebe es keine chemische Alternative, sollte das Mittel in der EU tatsächlich verboten werden.
Für die Landwirtin Maria Vogt aus Obersdorf, ebenfalls im Weinviertel, wäre ein Verbot kein Problem. Im Gegenteil: Sie würde es sogar begrüßen, denn sie setzt seit fast 30 Jahren auf Biolandbau.
Derzeit muss sie um Gemüsebeete Freistreifen und Blühstreifen anlegen,
um nicht versehentlich das Gift vom Nachbar abzubekommen.
Die Wasserknappheit im Weinviertel sei ein Grund, warum viele Weinbauern die an sich harmlosen Kräuter chemisch entfernen. Maria
Vogt gelingt das ohne Chemie: Auf den Grünstreifen zwischen den Reben
kommt eine Mulchschicht, damit die Feuchtigkeit im Boden bleibt. Die
Unkräuter am Fuß jedes Weinstocks entfernen sie und ihr Mann mechanisch,
mit einem sogenannten Stockräumgerät.
Industrialisierung als Grundproblem
Das
ist natürlich eine mühsamere Prozedur, als einfach mit einem
Spritzwagen zwischen den Reben durchzufahren. Glyphosat sei in dieser
östlichen Region Österreichs ein größeres Thema als im Westen, so die
Landwirtin. Denn im Westen werden vorwiegend Tiere gehalten, im
Osten der Acker bestellt. „Außerdem sind die östlichen Betriebe in den
vergangenen Jahren stark gewachsen. Viele Bauern haben aufgehört, die
Flächen wurden aufgekauft. Die nötigen Arbeitskräfte fehlen“, erklärt Maria Vogt.
Das Grundproblem liege aber in der Industrialisierung der Landwirtschaft. Dabei sei die reine Wachstumsorientierung für Bauern sogar wirtschaftlich nicht sinnvoll. Wenn man immer mehr produziere, fallen höchstens die Preise. Eine
Wiederzulassung von Glyphosat hält sie für ausgemacht, aus einem
einfachen Grund: Damit wäre der rote Teppich für Gentechnik und nicht
zuletzt für das Transatlantische Freihandelsabkommen ausgelegt.
Bahn verwendet weniger
In
der österreichischen Landwirtschaft spielt Glyphosat also schon jetzt
maximal eine Nebenrolle, woran vor Kurzem auch Landwirtschaftsminister
Andrä Rupprechter erinnerte: Nur auf drei Prozent der Fläche werde es
eingesetzt. Der größte Abnehmer sei die Bahn, die damit Bahndämme
behandelt, so der Minister.
Die ÖBB entgegnet dazu schriftlich gegenüber science.ORF.at: Laut
der Österreichischen Agentur für Ernährungssicherheit AGES wurden 2014
in Österreich insgesamt 337,9 Tonnen Glyphosat in den Verkehr gebracht.
Die ÖBB haben lediglich 9,48 Tonnen verwendet.
Wir sind
auf die Verwendung angewiesen. Wir wenden es nur direkt am Gleis an,
nicht auf Bahndämmen. Ein spezieller Spritzzug erkennt Vegetation und
sprüht selektiv, anstatt das Mittel großflächig – wie in der
Landwirtschaft – aufzubringen. Damit konnten seit 2005 etwa 75 Prozent
der ursprünglichen Herbizid-Menge eingespart werden. Wir müssen die
Vegetation entfernen, um Entgleisungen zu vermeiden.
Ist das System schuld?
Trotz des geringen Bedarfs in Österreich ist ein Verbot von Glyphosat in Europa nicht sehr wahrscheinlich. Denn solche Pflanzenschutzmittel sind Teil des alles dominierenden globalen Agrarsystems, wie Bernhard Freyer, Leiter des Instituts für ökologischen Landbau an der Universität für Bodenkultur erklärt: „Glyphosat
wird meist bei engen Fruchtfolgen - mit nur ein, zwei oder drei
Kulturen - eingesetzt. Beikräuter können sich so an die Kulturpflanzen
anpassen und tauchen vermehrt auf.“

AFP PHOTO / JEAN-PIERRE MULLER
Gentechnisch modifizierter Mais
Dann müssten Chemikalien ökologische Funktionen übernehmen. Würde
nicht nur Weizen, Mais und Zuckerrüben angebaut, könnte man die
massenhafte Ausbreitung von Beikräutern auf natürliche Weise einbremsen
und gleichzeitig Krankheiten und Schädlinge bekämpfen.
„Die vermeintliche Notwendigkeit, Glyphosat in der Landwirtschaft
einzusetzen, sollte man ad acta legen. Es schafft nur Probleme, keine
Lösungen“, so Freyer.
Auch gentechnisch veränderte Pflanzen hätten nicht gehalten, was man sich davon versprochen hatte. Entstanden seien lediglich riesige
Monokulturen. „Diese führen zu einer Explosion der Beikräuter. Es hieß,
dass man mit Genmais weniger Herbizide braucht. Passiert ist genau das
Gegenteil“, wie der ökologische Agrarwissenschaftler die Entwicklung beschreibt. Er
wünscht sich nicht nur ein Verbot von Glyphosat, sondern eine
Landwirtschaft, die generell auf abtötende Betriebsmittel verzichtet. Über die Zukunft von Glyphosat in Europa wird der zuständige Fachausschuss kommende Woche, am 18. bzw. 19. Mai., entscheiden.
Mehr zum Thema:
Glyphosat: Europaparlament für Neuzulassung
Glyphosat: Teilweise Offenlegung der Studien?
Glyphosat: Anzeige wegen Betrugs
http://science.orf.at/m/stories/2773474/
Quelle: Homment.com
Dienstag, 17. Mai 2016
Glyphosat - ein unverzichtbares Gift? Es schafft nur Probleme...!
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