Freitag, 6. November 2015

Tausende IS-Kämpfer nach Europa geschleust

Thema: Flüchtlinge

„Tausende IS-Kämpfer nach Europa geschleust“
Interview mit Dr. Gert R. Polli
Quelle: Compact-Online

Ein Experte schlägt Alarm: Der langjährige Chef der österreichischen Terrorabwehr sieht riesige Gefahren durch Dschihadisten und Kriminelle, die im Sog der Flüchtlingswelle zu uns kommen. Die Politik, so seine Kritik, hat die Sicherheitsbehörden im Stich gelassen.
Es folgen Auszüge aus einem Artikel, den Sie in COMPACT 11/2015 ungekürzt lesen
und – hier bestellen können

Wann gab es erste Anzeichen für die nun stattfindende Völkerwanderung? Warum hat die Politik nicht reagiert?

Hier muss man bis zum Arabischen Frühling zurückgehen. Dieser wurde von der westlichen Politik und zum Teil auch von den westlichen Nachrichtendiensten falsch eingeschätzt. Der militärische Einsatz des Westens in Libyen unter Führung der USA zeigt heute, welche Folgen dies hatte: Wenn staatliche Strukturen – und seien sie noch so diktatorisch – militärisch zerschlagen werden und die Ordnungsmacht plötzlich fehlt, folgt Chaos. Dies bildet den Nährboden für terroristische Organisationen. Instabilität und Flüchtlingswellen sind die Folge. Das kann man derzeit von Nordafrika über Syrien, dem Irak bis nach Afghanistan beobachten.
Man kann von Gaddafi halten was man will, aber er hat klargestellt: Sollte er gestürzt werden, wird es einen Exodus an Flüchtlingen geben, den Europa bisher nicht gekannt hat. Leider hat er Recht behalten. Wenn man heute versucht, präventive Strategien – wie in der Türkei der Fall – zu implementieren oder im Kriegsland selbst zu intervenieren, ist es um viele Jahre zu spät. Die Vorwarnzeit wurde fahrlässig verschlafen.


Behörden und Politiker beteuern, dass es keine Hinweise auf entsendete Kämpfer der IS oder anderer Terrororganisationen unter den einströmenden Massen gibt. Stimmt das?

Diese Aussagen sind nicht sehr beruhigend, wenngleich aber glaubwürdig. Es liegt im Wesen einer Sicherheitsbehörde, erst dann aktiv zu werden, wenn es konkrete Verdachtsfälle gibt – was bisher nicht der Fall war.

Was fürchten Sie?

Dass seit vielen Monaten über irakische, syrische und türkische Nachrichtendienste glaubwürdige Hinweise auf Infiltrationen von Terroristen und Anschlagsplanungen existieren.
(…)
Es stellt ein immenses Problem dar, dass die Flüchtlinge aufgrund des Ansturms mehrheitlich nicht oder sehr spät registriert wurden. De facto haben wir damit die Kontrolle über den Flüchtlingsstrom verloren. Wir haben es mit einem sicherheitspolitischen Blindflug bisher unbekannten Ausmaßes zu tun. Was noch zu bedenken ist: Die Sicherheitsbehörden sind ob der Bedrohung und Herausforderung personell überfordert. Schon vor Beginn der Flüchtlingswelle waren diese Behörden mit der Überwachung der Rückkehrer aus dem syrischen und irakischen Bürgerkrieg mehr als nur ausgelastet. Was noch hinzukommt, ist die Radikalisierung von Teilen der eigenen Bevölkerung in Deutschland und in Österreich, wenn erst einmal die erste Welle der Hilfsbereitschaft nachlässt.

(…)
Wie hoch ist das Bedrohungspotenzial durch Terror-Schläfer unter den bereits hier lebenden Einwanderern?

Salafistische Strukturen wurden in den vergangenen Jahren bereits in Österreich, Deutschland, Frankreich oder Schweden aufgebaut und stehen auch unter Beobachtung der Behörden. Unter dem Deckmantel der Humanität und Hilfeleistung steuern sie die ankommenden Flüchtlinge an und wissen, wie sie diese rekrutieren und, wie die Sicherheitsbehörden befürchten, radikalisieren können.

Wie explosiv ist die Mischung aus Schiiten, Sunniten oder anderen religiösen Gruppen, die in ihren Herkunftsländern untereinander verfeindet sind?

Hier liegt ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit der Behörden. Wir importieren mit der Flüchtlingswelle auch religiöse Konflikte nach Europa; Konflikte zwischen Gruppen und Religionen, die in ihren Heimatländern nicht miteinander ausgekommen sind. Oft waren es genau jene Konflikte, welche zur Flucht führten. Jenseits der konfessionellen Trennungen haben wir es aber zusätzlich auch mit ideologisch verfeindeten Lagern zu tun, die nun nach Europa strömen: zum Beispiel mit Flüchtlingen, die für Assad und die gegen Assad gekämpft haben. Ähnliches gilt für Leute, die aus dem Irak flüchten. Es soll jedoch nicht der Eindruck entstehen, dass die Masse der Flüchtlinge aus Radikalen, Kriminellen und Terroristen besteht. Es ist aber wesentlich für die Sicherheitsbehörden, die sogenannten Gefährder zu erkennen. Das allerdings ist derzeit nicht der Fall.

Sind in Deutschland und Österreich Konflikte zwischen Inländern und Ausländern abzusehen?

Die heimische Bevölkerung hat in einer unglaublichen Welle der Hilfsbereitschaft Flüchtlinge aufgenommen. Zentrale Fragen sind: Wie lange wird diese Hilfsbereitschaft in dieser Dimension noch aufrechtzuerhalten sein? Welche heimischen radikalen Kräfte treten früher oder später in Erscheinung? Wie gewalttätig können solche internen Auseinandersetzungen sein? Und: Müssen wir in Europa mit einem politischen Rechtsruck rechnen, wenn die ersten sozialen Spannungen öffentlich werden und sich die Sicherheitslage verschlechtert?
Der europäische Raum ist mit Herausforderungen konfrontiert, die in dieser Dimension bisher nicht bekannt waren. Daher sind die Sicherheitsbehörden einerseits überlastet und andererseits überfordert – und sie werden von der Politik im Stich gelassen. Die Politik gab ihnen so gut wie keine Vorlaufzeit, um sich auf das vorzubereiten, womit sie jetzt unmittelbar konfrontiert sind. Das sind die eigentlichen Probleme, mit denen wir derzeit zu kämpfen haben.

(…)
Hat die Politik also auf ganzer Linie versagt?

Die Politik hat insofern nicht versagt, weil man von ihr prinzipiell nicht mehr erwarten kann. Auf jeden Fall hat sie zu spät reagiert und hat die Dimension der Gefährdung durch die gesellschaftlichen Veränderungen, die auf uns zukommen werden, schlichtweg über viele Jahre negiert. Sie hat die Entwicklung verschlafen. Die Politik hat sich von den Bedürfnissen der Bevölkerung und vom Thema Sicherheit schon seit langem verabschiedet. Es geht den Politikern kaum noch um den Bürger und um dessen Schutz, sondern es geht ihr hauptsächlich um ihr eigenes Überleben.

Dr. Gert R. Polli gründete 2002 das österreichische Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT), das er auch bis 2008 leitete. Er arbeitet heute als Unternehmens- und Sicherheitsberater, vor allem im Nahen und Mittleren Osten.

Mit freundlicher Genehmigung vom Compact-Magazin

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