Freitag, 13. November 2015

Die fabelhaft freie Welt des deutschen Leitmedienjournalismus

Thema: Leitmedienjournalismus

Meinung
Die fabelhaft freie Welt des deutschen Leitmedienjournalismus

Verschiedene Nachrichtenmagazine mit dem Top-Thema Putin
Grafik: RT-Deutsch
Die Kritik am deutschen Medienmainstream wird immer lauter. Da diese auch mit "Lügenpresse"-Rufen vom rechten Rand einhergeht, fühlen sich die kritisierten Medienmacher legitimiert, jede substantielle Kritik am eigenen Treiben als ungerechtfertigt abzutun. Gastautorin Anja Böttcher hat versucht, mit Spiegel Online via Forumsdiskussion ins Gespräch zu kommen. Da ihr Kommentar dort der Zensur zum Opfer fiel, dokumentiert RT Deutsch diesen im Wortlaut.

Ein Gastbeitrag von Anja Böttcher

Mit dem Beginn des medialen Dauerkampfes für den neuen deutschen Militarismus im Nato-Gewand im Herbst 2013, erst recht aber mit der konzertierten Kampagne der deutschen Leitmedien gegen das „Russische Reich der Finsternis“ seit der Winterolympiade in Sotschi, geht es deutschen Presseorganen gar nicht gut: Die Foren quellen über voller geharnischter Leserposts, friedenspolitisch alternativer Journalismus blüht und ist trotz beharrlicher Versuche, ihn als „rechtspopulistisch“ zu brandmarken nicht totzukriegen. Die Verkaufszahlen der Printmedien brechen derart ein, dass ihr Fortbestand ökonomisch bedroht erscheint. Erst kürzlich forderte deshalb der scheidende Vorsitzende des Deutschen JournalistenVerbands (DJV), Michael Konken, eine steuerfinanzierte Abgabe für die darbende deutsche Presse nach dem Muster der GEZ-Gebühr für den Öffentlichen Rundfunk.

Das paternalistische Demokratieverständnis deutscher „Eliten“ scheint es nicht als bedenklich zu empfinden, die in Foren aktiv geäußerte Leserentscheidung, durch Kaufverweigerung gegen einen eindimensionalen Mediendiskurs Zeichen zu setzen, zu konterkarieren.

Statt aber mit dem Kunden, der nicht mehr König ist, aufrichtig ins Gespräch zu kommen, schlägt das mediale Imperium zurück und unterschlägt Kritik, die sich nicht so einfach beiseite wischen lässt. Eine Reflexion des Selbstverständnisses deutscher Journalisten und ihres Umgangs mit Leserfeedback scheint regelmäßig vonnöten zu sein.

Der Spiegel hat es nicht leicht mit seinen Lesern: Den Vorwurf der Kriegstreiberei muss er sich seit zwei Jahren ständig anhören, ebenso wie den für einen ehemals stolzen Pfeiler der „Vierten Macht“ ausgesprochen demütigenden unbotmäßiger Regierungsnähe und einer unverhohlen subalternen Haltung gegenüber der US- und Nato-Hegemonialpolitik.

Dagegen prallt die Leserempörung über seine komplette Immunität gegen jede Form substanzieller Kritik in der Regel von den Wächtern der Zunft nahezu komplett ab: Als aber ein Titelbild derart heftig verunglückte, dass der Widerspruch gegen den in nur wenigen Minuten zweitausendfach erfolgenden Aufschrei, hier werde in Verbindung mit dem nachfolgenden Leitartikel „Ende der Feigheit“ derart deutlich zu einem Krieg aufgerufen, nur sehr fade ausfiel, zog das Blatt seine Konsequenz: Zu sensiblen Themen wurden die Foren geschlossen. Öffnen sie dann mal wieder, erweist sich recht schnell nur die Ergebnislosigkeit des Versuchs, durch Unterbindung einer diskursiven Streitkultur über die so offensichtliche Einheitslinie diese auch wirklich beim Publikum durchzupeitschen.

Da aber ja bekanntlich die Hoffnung auf Besserung zuletzt stirbt, wäre es ja auch für Demokraten, die sich eine wirklich freie und diskursive Presse wünschen, reichlich voreingenommen, nicht immer wieder zu schauen, ob nicht doch irgendwann einmal Besserung eintritt. Nicht als Käufer - versteht sich; dafür müssten deutsche Journalisten ihre Leser erst wieder als intelligente Wesen mit einem eigenständigen Urteilsvermögen ernst nehmen. Aber Online lässt sich ja überprüfen, ob und inwiefern eine Kurskorrektur in Sicht ist.

Und so las ich doch bei meinem täglichen Blick auf SPON mit verhaltener Neugier einen Beitrag, der sich zu signalisieren anschickte, er sei tatsächlich auch zu einer Kritik des Umgangs „westlicher“ Machtarchitekten mit der Pressefreiheit imstande:

US-REPUBLIKANER GEGEN MEDIEN: KRITISCHE FRAGEN UNERWÜNSCHT

Von Mark Pitzke, New York

Das Ergebnis war – wie freilich zu erwarten – enttäuschend. Das Thema schien nur einen weiteren Anlass für die Deklassierung kritischer deutscher Leser zu bieten. Doch da es für den Verfasser des Artikels immerhin ein empathisch besetzter Begriff zu sein schien, hielt ich es nicht für ausgeschlossen, dass zumindest eine Darlegung, warum sein Begriff von Pressefreiheit nicht ganz dem Grundgesetz entsprach und seiner vermeintlich kritischen Haltung politische Tiefe fehlte, ihren Weg in das SPON-Forum schaffen könnte.

Aber mein Post, zweimal abgesandt, wurde nicht abgedruckt. Ob dies daran liegen kann, dass ich gegen die Netiquette verstoßen habe, mag jeder selbst beurteilen. Ich verfasste den unten stehenden Text für das Spiegel-Forum, musste ihn beim Absenden jedoch noch leicht kürzen, da hier nur 3000 Zeichen erlaubt sind:

Demokratie und Pressefreiheit

SPON-Autor Marc Pitzke hat also entdeckt, dass die Partei der Republikaner es gar nicht gut mit der Pressefreiheit meint und zum Nachweis sogar – wie 'investigativ' aber auch! - ein Papier "geleakt", durch das der Verfasser stolz zeigen kann, dass er – gegen alle „verschwörungstheoretischen Verleumdungen“ – in einer Zeitung wie dem Spiegel sogar ein klein wenig US-kritisch sein darf, wenn’s auch nur eine derzeit eher abgeschlagene Randgruppe im Präsidenten=Wahlkampf betrifft. Oder doch nicht?

Denn in Deutschland, das macht uns der Artikel gleichfalls unmissverständlich klar, ist ja eigentlich alles bestens bestellt – gäbe es da nicht böse Angriffe auf die Freie Deutsche Presse durch fürchterlich finstere Kräfte:
    "Ähnlich wie bei der deutschen Schimpfe auf die 'Lügenpresse' schießen sich auch in Amerika die Rechten plötzlich auf die Pressefreiheit und die Rolle des kritischen Journalismus ein - und wollen den Medien den Mund verbieten."
Alles klar: Pressekritik erfolgt ausschließlich durch rechtes Pegida-Milieu, das "Lügenpresse" skandiert (war 68 übrigens auch der Anti-Springer Schlachtruf). Und Pressekritik von Bürgerseite (das Grundgesetz unterscheidet hier anders als der Spiegel doch tatsächlich nicht zwischen ‚guten‘ und ‚bösen‘) ist gewiss gleichzusetzen mit möglichen Eingriffen designierten Regierungsvertretern von "oben", nicht wahr?

Sancta simplicitas: Unter einer solchen Ahnungslosigkeit in causa Grundrechten möchte ich nicht leiden müssen!

Für Anhänger des demokratischen Rechtsstaats:

Meinungsfreiheit ist das Recht aller Bürger, öffentlich ihre Meinung kundzutun, solange sie kein strafrechtliches Vergehen impliziert (wie etwa justiziable Volksverhetzung). Und Pressefreiheit ist die Freiheit aller Bürger, die öffentliche Verbreitung dieser ihrer Meinung ohne staatliche Eingriffe betreiben zu dürfen. Sie ist keineswegs das privilegierte Vorrecht einer institutionalisierten Phalanx von spezifischen Presseorganen (die bei uns zu 70 Prozent den drei Konzernen Springer, Bertelsmann und Funke gehören), welche sich zum Zeitpunkt XY im Ensemble für „DIE Presse“ eines Landes hält und irrigerweise Meinungshoheit für sich beansprucht.

Mit diesem Dünkel verwechseln unsere Journalisten nämlich nicht nur „Pressefreiheit“, sondern sie versuchen unbeirrbar, in gut vernetzter Kooperation mit politischen Funktionseliten und Lobbygruppen durch ein immer penetranter werdendes „Meinungsmanagement“ die Mehrheitseinstellung in einer derart aggressiven Weise zu formen, dass Demokratie ad absurdum geführt wird: Durch die regelmäßige Lektüre von Veröffentlichungen diverser Friedensforen (German Foreign Policy, IMI, AG Friedensforchung, Seiten der DFG-VK) konnte der friedenspolitisch interessierte Leser beispielsweise erfahren, dass am 28. Oktober 2015 der Nato-Thinktank JAPCC unter Einbeziehung führender Journalisten in Essen tagte, um Strategien des „Informationskrieges“ zu beraten, mit denen vor allem in Deutschland der massive Bevölkerungswiderstand gegen extraterritoriale Kriegseinsätze im Sinne der geopolitischen Expansionsinteressen der Nato beseitigt werden soll.

Unter auch vor allem deutscher Beteiligung hat zudem gerade die EU eigens eine Task-Force eingerichtet, die in Osteuropa die öffentliche Meinung „pro-europäisch“ beeinflussen & im „Informationskrieg“ gegen Stimmen aus Russland ‚immunisieren‘ soll. Unter die angepeilten Zuhörer fallen außer den russischsprachigen Minderheiten im Baltikum auch die Bevölkerungen der Länder der „Osteuropäischen Partnerschaft“ und der Russischen Föderation selbst. Die verheerenden Folgen einer auf Konfrontation statt Dialog fußenden Kommunikatonspolitik für die Ukrainer und das europäisch-russische Verhältnis haben offensichtlich nicht zu einem nachhaltigen Erkenntnisgewinn geführt – trotz zahlreicher anderslautender Beteuerungen deutscher Politiker in Sonntagsinterviews. Auch dass ein solcher Prägungsversuch von oben – anstelle ehrlicher Kontroversen - sich mit dem penetranten Propagieren des großartigen europäischen Demokratiesierungsprojekt=EU beißt, scheint wohl völlig egal zu sein. Demokratisch ist man anscheinend dort, wo Regierungen das Banner „westlicher Werte“ wie eine Monstranz vor sich hertragen, nicht wo man sich auf Augenhöhe mit Menschen divergierender Auffassungen offen ins Benehmen setzt.

Vor wenigen Tagen hat dann auch noch die Bundesakademie für Sicherheit (BAKS) eine neue PR-Offensive angekündigt, bei der sie tatsächlich (zynischerweise) die Flüchtlingskrise nutzen will, um endlich beim obstinaten deutschen Publikum gehörig Bellizismus durchsetzen zu können. Das zeigt deutlich, wie wenig unsere Oberdemokraten aus den beiden führenden deutschen Volksparteien von ihrer Bevölkerung halten: Nur einem Dummkopf kann es entgehen, in welchem Ausmaß die Völkerwanderung aus dem Nahen Osten durch Nato-Interventionskriege und die systematische Zerstörung der Infrastruktur dortiger Staaten durch das US-Militär erst verursacht wurde. Anscheinend scheint die Bundesregierung dem dezisionistischen Politikverständnis des geistigen Vaters der US-Neocons, Leo Strauss, darin zu folgen, das von ihr zu diesem Zweck als nützlich erachtete und erwartete Chaos (ein Kernelement der Strauss’schen Theorie) systematisch zu nutzen, um den deutschen Demos in einen Patienten zu verwandeln, der im Delirium noch mehr von dem Gift (des Interventionskrieges) zu schlucken bereit ist, welches seine Krankheit (das Chaos) doch erst verursacht hat. Mit von der Partie bei dem schäbigen Unterfangen: Führende und transatlantisch bestens vernetzte Alpha-Journalisten des Öffentlichen Rundfunks und der Printmedien.

Welchen Begriff von Meinungsfreiheit und welchen von Pressefreiheit hat also Marc Pitzke, wenn er meint, die einzige Gefährdung, die in Deutschland für einen freien und pluralistischen Mediendiskurs bestünde, ginge vorrangig von Pressekritikern aus?

Und wie US-kritisch ist der Artikel tatsächlich? Sein Verfasser, der nämlich seinen Seitenhieb als Ausweis eines unbestechlichen journalistischen Ethos herausstreicht, scheint von seiner Kühnheit überzeugt zu sein. Aber wie sieht es denn aus? Am Ende des Artikels lacht der Autor in bester Kumpanei mit US-Präsident Obama - der von dieser plump-kumpelhaften Annäherung im Artikel eines deutschen Leitmedienjournalisten natürlich nichts wissen kann - jovial über die tumben Republikaner (vermutlich Trump-Anhänger), mit denen er deutsche Pressekritiker im Geiste vereint sieht. Einen argumentativen Nachweis bietet Pritzke natürlich nicht. Darum geht es aber auch gar nicht. Nachdem sich der Verfasser doch so „kritisch“ gezeigt hat, haben sich demonstrativ Macht und Meinungsmacht hier wieder furchtbar lieb!

So zeigt uns diese Werbung für die bundesdeutsche „Pressefreiheit“ wieder einmal, wie sehr in unserer Medienrepublik der Wurm steckt.

Demokratie geht anders

Quelle: RT-Deutsch

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