Thema:
Irak und Regime Change
Irak: Vor zehn Jahren wurde Saddam Hussein hingerichtet
die Ideologie des Regime Change
Vor zehn Jahren wurde der langjährige irakische Staatschef Saddam Hussein hingerichtet. Der Prozess sollte dem Land nach der US-Invasion einen Bruch mit der Vergangenheit ermöglichen. Stattdessen versank der Irak im Bürgerkrieg und der IS nahm seinen Anfang.
Am 30. Dezember 2006, in jenem Jahr der Tag des islamischen Opferfestes Eid al-Adha, wurde der langjährige irakische Staatschef Saddam Hussein Abd al-Majid al-Tikriti in al-Kazimiyya bei Bagdad hingerichtet. Ein Tribunal, das durch die US-amerikanischen Invasionstruppen eingerichtet und mit irakischen Richtern besetzt worden war, hatte Saddam zuvor der Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig gesprochen.
Der relevante Anklagepunkt war in diesem Zusammenhang ein Massaker irakischer Regierungstruppen an mindestens 148 Bewohnern des Dorfes Dudschail am 9. Juli 1982. Dieses soll ein Racheakt der Regierung dafür gewesen sein, dass am Tag zuvor in diesem Dorf schiitisch-islamistische Anhänger der verbotenen "Dawa-Partei" einen Konvoi des Staatschefs angegriffen hatten. Der Schuldspruch war wenige Wochen zuvor am 5. November erfolgt.
Für den US-Präsidenten George W. Bush, dessen Republikanische Partei gerade erst in beiden Häusern des Kongresses ihre Mehrheiten verloren hatte, war die Hinrichtung Saddam Husseins einer der letzten politischen Erfolge. Er hatte 2003 - wie sich später herausstellen sollte, unter Vorspiegelung falscher Tatsachen – die Invasion im Irak befohlen mit dem Ziel, den Präsidenten zu entmachten und dem Land, das zuvor zwölf Jahre lang einem erdrückenden UN-Embargo ausgesetzt war, die Chance auf einen Neuanfang zu eröffnen.
Nach dem in den meisten Ländern unblutig vonstattengegangenen Zusammenbruch der sozialistischen Staatswesen in Osteuropa und nach der ersten erfolgreichen "Farbrevolution" in der Bundesrepublik Jugoslawien im Jahre 2000 erachtete man in westlichen Regierungsetagen das Konzept der nationalen Souveränität weitgehend als überholt. Die einzig verbliebene Supermacht USA und ihre westlichen Verbündeten betrachteten sich als die unangefochtenen Sieger der Geschichte und als dazu berufen, früher oder später ihr vermeintlich überlegenes Staats- und Gesellschaftssystem über den gesamten Erdball zu verbreiten.
Die Idee des Regime Change war nur eine logische Konsequenz dieser Überzeugung. Sobald ein Staat seine Interessen in einer Weise definiert, die jenen des Westens zuwiderläuft, stellt er sich gegen die "Demokratien" und muss logischerweise eine "Diktatur" sein. Eine solche würde in jedem Fall das Volk unterdrücken und sie notfalls von außen zu beenden, würde zwangsläufig im Einklang mit dessen Willen erfolgen und dem Staat in weiterer Folge selbst eine Entwicklung hin zur westlich-liberale Demokratie ermöglichen. Der neuzeitliche Mythos von der Legitimität des "Tyrannenmords", gepaart mit einer naiven oder eurozentristischen Sichtweise und ausgeprägter Ahnungslosigkeit hinsichtlich der Verhältnisse in nichtwestlichen Ländern, stand offenkundig auch der Erwartungshaltung Bushs Pate, der die Aussicht, den "Schurken" im irakischen Präsidentenamt zu beseitigen, höher veranschlagte als völkerrechtliche Bedenken hinsichtlich der Invasion.
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Dass Saddam Hussein trotz seiner fürchterlichen Verbrechen gegen das eigene Volk ein faires Verfahren erhielt, ist ein Zeugnis der Entschlossenheit des irakischen Volkes, nach Jahrzehnten der Unterdrückung nach vorne zu schauen", äußerte Bush im Anschluss an die Hinrichtung. "Unter Saddams tyrannischer Herrschaft waren faire Verfahren nicht denkbar."
Neben einer Reihe zweifelhafter oder als Propaganda entlarvter Darstellungen bleiben ausreichend nachgewiesene übrig, um eine Bewertung der Diktatur Saddams als blutig und rücksichtslos zumindest als nachvollziehbar erscheinen zu lassen.
Die westlichen Demokratien und Hüter der Universalität der Menschenrechte nahmen an den brachialen Praktiken Saddams indessen über eine längere Zeit hinweg nur wenig Anstoß. Im Jahr 1980 verlieh die Stadt Detroit ihm sogar ihren Ehrenschlüssel, nachdem er eine umfangreiche Spende an die dortige Chaldäische Gemeinde geleistet hatte.
Nachdem der irakische Potentat nach einem Grenzkonflikt mit dem Iran, der gerade die "Islamische Revolution" hinter sich hatte, das Nachbarland auf breiter Ebene angegriffen hatte, standen mehrere westliche Staaten, darunter Frankreich und Deutschland, stets bereitwillig als Lieferanten von Waffen und Chemikalien zur Verfügung, sobald sich die Kräfteverhältnisse zu stark zugunsten des Iran wendeten. Die Golfmonarchien gewährten Saddam großzügige Kredite.
Die USA belieferten beide Seiten des Konflikts und verhinderten Maßnahmen gegen den Irak auf der Ebene der Staatengemeinschaft. Auch die militärische Arabisierungskampagne Bagdads in den nordirakischen Kurdengebieten, die Human Rights Watch zufolge von der Deportation und Ermordung einer sechsstelligen Anzahl an Kurden und zur Zerstörung von Dörfern und Städten - teils unter Einsatz von Giftgas - begleitet war, änderte nichts an der grundsätzlich aufgeschlossenen Haltung im Westen gegenüber dem irakischen Staatschef.
Die Weltwoche schrieb 2002 über die Kumpanei westlicher Staaten und Institutionen mit dem Irak unter anderem:
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Etwa sechzig DIA-Mitarbeiter waren während des iranisch-irakischen Kriegs damit beschäftigt, den irakischen Diktator vor einer drohenden Niederlage zu bewahren; sie übermittelten amerikanische Satelliten-Aufklärung und inspizierten vor Ort Frontlage und Strategien. Niemals hätte die DIA 'den Einsatz chemischer Waffen gegen Zivilisten geduldet, aber ihre Anwendung gegen militärische Ziele wurde als unvermeidlich für den irakischen Überlebenskampf angesehen', sagt der ehemalige DIA-Oberst Walter Lang.
Tatsächlich wurde in den Verlautbarungen westlicher Regierungspolitiker und in der Presse der ehemals als Bannerträger eines säkularen Staatswesens im Irak gewürdigte Saddam in kürzester Zeit zum "Verrückten", "Monster", "Schlächter", "neuen Hitler" und "Despoten", dessen Soldaten Babys aus ihren Brutkästen reißen und der jederzeit bereit wäre, zu allem Überfluss auch noch Saudi-Arabien anzugreifen.
Da die Zuspitzung der Situation einen Rückzug des Iraks ohne Gesichtsverlust nicht zuließ, ließ es Saddam auf die militärische Eskalation ankommen. Ermächtigt vom UN-Sicherheitsrat vertrieb eine von den USA angeführte Koalition im Januar 1991 die irakischen Truppen aus Kuwait. Die Truppen marschierten allerdings nicht nach Bagdad, um Saddam Hussein abzusetzen.
In den Jahren darauf blieb der irakische Staatschef ein allgegenwärtiger Bogeyman, in westlichen Medien und in der Politik dämonisiert. Eine Flugverbotszone, die vonseiten der USA über weite Teile des Landes ausgerufen wurde, diente als Grundlage für wiederholte militärische Machtdemonstrationen, ein UN-Embargo gegen das Land traf vor allem die Zivilbevölkerung, gleichzeitig wurde der Narrativ gesponnen, Saddam würde an der Entwicklung von Massenvernichtungswaffen arbeiten.
Diese Behauptung sowie nicht belegte Geheimdienstdarstellungen, Saddam Hussein pflege Kontakt zu Terroristen von Al-Kaida und würde diese im Irak beherbergen, nahmen die US-Regierung und ihre britischen Verbündeten 2003 zum Anlass, in das Land einzumarschieren. Tatsächlich hatte Saddam Hussein – auch um einem möglichen Aufkeimen islamistischer Gruppierungen entgegenzuwirken – zwar ab 1993 eine staatliche Kampagne unter dem Motto "Rückkehr zum Glauben" betrieben. Radikal-islamische Gruppen, die über Jahrzehnte hinweg im Irak mit eisernem Besen ausgekehrt worden waren, hielten diese jedoch für nicht glaubwürdig. Ungeachtet gemeinsamer Feindbilder wie Amerika oder Israel hätten sie Saddam Hussein zu keiner Zeit als authentischen Vertreter eines politischen Islam akzeptiert.
Noch im Angesicht des Todes zeigte sich, dass Saddam Hussein nie ein religiöser Mensch gewesen sei, so der Berater des früheren Regierungschefs Nouri al-Maliki, Mowaffak al-Rubaie. Man musste ihn noch auf dem Gang zur Hinrichtung daran erinnern, das islamische Glaubensbekenntnis auszusprechen. Von sich aus habe Saddam, der Ende 2003 in einer Erdhöhle aufgespürt worden war, kurz vor seiner Hinrichtung nur Slogans wie "Heil Palästina!" oder "Tod den USA!" gerufen.
Es gelang den US-Truppen binnen weniger Wochen nach ihrem Einmarsch, das Land einzunehmen. Die Baath-Partei wurde aufgelöst, 52 hochrangige Regierungsmitglieder zur Fahndung ausgeschrieben. Im Januar 2005 fanden erstmals freie Parlamentswahlen unter den Bedingungen eines Mehrparteiensystems im Irak statt.
Lange schien sich eine Chance dafür aufzutun, dass das westliche Polit-Märchen vom Regime Change, der das Land in eine strahlende Zukunft führen würde, auch hier Platz greifen könnte. Nur rechneten die USA und ihre Verbündeten nicht damit, dass der Wegfall des Diktators das Aufbrechen jahrhundertealter Konflikte begünstigen könnte, die zuvor mit brachialen Mitteln im Keim erstickt worden waren.
Vor allem die Rivalität zwischen Sunniten und Schiiten, die das Baath-Regime mittels eines ausgeklügelten Konzepts aus Vetternwirtschaft, Repression und Symbolpolitik austarieren konnte, eskalierte zunehmend. Mit den Golfmonarchien und dem Iran als Brandbeschleuniger und einer völlig verfehlten, sektiererischen Regierungspolitik des neuen Regierungschefs von US-Gnaden, Nouri Al-Maliki, potenzierte sich der Effekt, den zuvor schon Anarchie in weiten Landesteilen, Aufstände von Al-Kaida-Banden und marodierende Milizen bewirkt hatten.
Die Auflösung der irakischen Armee führte Hunderttausende in eine hoffnungslose Situation, in der sie zur willkommenen Manövriermasse für extremistische Gruppen wurden. Eine Großoffensive der USA im Jahr 2007 konnte noch einmal vorübergehend die Sicherheitssituation im Land verbessern, ehe 2008 das Truppenabkommen zwischen den USA und dem Irak den Fahrplan für den Abzug der US-Truppen festlegte.
Nicht einmal zwei Jahre später zeigte das Auftauchen des "Islamischen Staats im Irak und in der Levante" (ISIS), dass dem nicht so war und dass der Regime Change das Land vom Regen in die Traufe führte. Die Erfahrungen des Fiaskos im Irak hinderten den Westen indessen nicht daran, die gleiche naive, eurozentristische und Ahnungslosigkeit offenbarende Herangehensweise wie im Irak mit Blick auf Syrien an den Tag zu legen.
Im Unterschied zum Iraks Saddam Hussein, der im Volk nicht geliebt, aber gefürchtet wurde, bäumte sich in Syrien das Volk selbst gegen das von außen ins Land getragene Chaos und die marodierenden islamistischen Banden auf und stellte sich aktiv hinter den Präsidenten Baschar al-Assad, dessen Vater einst als Erzrivale Saddams galt. Die erfolgreiche Befreiung Aleppos aus den Klauen der Terroristen, das anhaltende Chaos im Irak, der völlige Vertrauensverlust der gelenkten Medien des Mainstreams im Zusammenhang mit der Ukraine und Syrien und der Sieg Donald Trumps über das interventionistische Establishment bei den US-Wahlen haben spätestens im Jahr 2016 die Ideologie des Regime Change selbst auf das Totenbett gebracht.
Im jüngst veröffentlichten Buch "Debriefing the President: The Interrogation of Saddam Hussein" erklärt der frühere CIA-Beamte John Nixon, der 2003 Saddam Hussein verhört hatte, dass unter dessen Herrschaft das Entstehen des IS nicht möglich gewesen wäre.
Nixon schrieb:
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Saddam war klar, dass islamistische extremistische Gruppen im Irak die größte Gefahr für ihn darstellen würden und sein Sicherheitsapparat arbeitete unermüdlich, um solche Bedrohungen zu beseitigen. […] Es ist unwahrscheinlich, dass eine Gruppe wie der IS unter seinem repressiven Regime einen ähnlichen Erfolg haben hätte können wie dies unter der schiitisch geführten Regierung in Bagdad der Fall war.
Quelle: RT-Deutsch
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