Thema:
SPD und GroKo
Warum die 180-Grad-Wende des SPD-Kopfes einem Genickbruch gleichkommt – und was Kartoffelchips und Cola damit zu tun haben.
Redaktionelle Vorbemerkung: Wie fern, wie uneinnehmbar wirken die Festungen der Mainstream-Medienlandschaft aus junger Perspektive, wie durchgetaktet ihr redaktioneller Duktus. Gastbeitrag? Vielleicht nach drei Praktika! Doch in einer Demokratie sollten auch wir Jugendlichen ein Mitspracherecht haben. Der Rubikon setzt hierfür einen Grundstein. Unsere Jugendredaktion veröffentlicht daher in ihrer Kolumne „Junge Federn“ beständig Beiträge junger Autorinnen und Autoren, denen thematisch kaum Grenzen gesetzt sind. Wenn dich das anspricht, schreib uns gerne an: jugend@rubikon.news.
Dem deutschen Michel fällt das bewusste Nachdenken über seine Ernährungsweise schwer. Neben dem umfangreichen Ablenkungsapparat aus Internet und erschwinglichem Nippes fühlt sich ein Ausflug in den sumpfigen Morast, der sich deutsche Parteienlandschaft schimpft, wie ein Löffel Baby-Brei auf der Zunge an: von matschiger Konsistenz, Geschmack: einheitlich. Einzelne Nuancen, gar die Herkunft der Brei-Zutaten herauszuschmecken, ist fast unmöglich und scheint den Aufwand dann auch wieder nicht wert. Nachdem die Jamaika-Verhandlungen noch wie Kaugummi anmuteten – zäh, es wurde lange darauf herumgekaut, doch wenn man zu lange kaut, verliert das Ganze seinen Geschmack – ist dem kleinen Michel nun nach einer anderen Leckerei zu Mute: für eine Tüte Paprika-Chips entscheidet er sich, schön rot ist die Verpackung, doch alsbald ist die Enttäuschung groß: mehr schlechte Luft als Inhalt entweicht der zerrissenen Plastiktüte.
Sieht man sich den Inhalt genauer an, findet man einige schrumpelige Chips mit fettigen Flecken, die wohl schon viel zu lange in der Tüte lagen. Doch immerhin sind auch frischere Exemplare zu finden, die schon eher den Werbebildern der Verpackung entsprechen. Klein-Michels Reaktion: Schnell, die alten aussortieren, bevor die ölige Natur der versalzenen Schrumpelchips auch noch die frischeren verpestet!
Aber ohne die muffigen Happen sieht der frischere Rest plötzlich so klein aus, und so langsam muss der Michel doch mal was essen. „Was soll’s“, denkt er sich also nach kurzem Überlegen, als er sich die im Ofen verheizten Überbleibsel einstig nährreicher Kartoffeln einverleibt – wohl im Bewusstsein, wie ungesund dieser Snack ist. Doch alles andere erscheint ihm als zu großer Aufwand; wo soll man denn überhaupt die Zutaten herkriegen? Um sich ein wirklich gesundes Essen zu kochen, das ihn nachhaltig stärkt, dafür ist unser Michel eben einfach zu faul.
Im Fernsehen wird ihm dagegen seit einiger Zeit wieder ständig ins Gedächtnis gerufen, wie gut Paprika-Chips und Cola zueinanderpassen würden, selbst in der Zeitung liest man davon. Von anderen Nahrungsmitteln wird kaum berichtet; der weitere Genuss der bequemen Snacks scheint geradezu alternativlos. Damit aber dieser ungesunde Lebensstil nicht so weitergeht, muss dem kleinen Michel endlich mal einer sagen, dass Fettleibigkeit nur das geringste Übel ist, das aus diesem Prozess resultiert. Um ein vernünftiges Leben führen zu können, muss der Michel schon in jungen Jahren begreifen, dass er, um die schwarzen Stellen in den Zähnen und die roten Flecken am Körper loszuwerden, endlich aufhören muss, sich falsch zu ernähren.
Und dabei waren wir schon so nah dran! Die Werbeindustrie der Paprika-Chips selbst war es, die noch vor dem im September letzten Jahres anstehenden Großeinkauf, der für die nächsten vier Jahre reichen muss, Einsicht zeigte und weithin verbreitete: Paprika-Chips und Cola passen vielleicht doch nicht so gut zusammen. Die Chips-eigene Werbeabteilung hatte es einfach satt, dass ihr Mutterbetrieb „Cola“ seit Jahren die größeren Umsätze einfährt und sie selbst immer nur als ergänzender Sattmacher gefragt sind, wenn dem Michel an schlechten Tagen der Magen knurrt.
Heutige Statistiken zeigen, dass beide Konzerne beim letztjährigen Einkauf bei weitem nicht mehr so gefragt waren wie die Jahre zuvor. Mitverantwortlich sind zwei neue Produkte auf dem Markt, die die Neugier des Michel auf sich gezogen haben und nun in die deutschen Haushaltsschränke einziehen. Der Cola-Konzern hat daraufhin vorübergehend versucht, andere Marken als gewohnt aufzukaufen – vergeblich. Während dieser Zeit noch blieb der Chips-Betrieb trotzig und bekräftigte seine
Abschottung. Aber wie das nun mal so ist in der Wirtschaft: Irgendwann ist der versprochene Profit für die CEOs der Firma einfach zu verlockend geworden. Dann schlug die Werbung einmal um und vor Kurzem beschloss eine Mehrheit des Chips-Aufsichtsrats, dass es am besten wäre, nun doch wieder gemeinsam mit dem Cola-Konzern aufzutreten; eine langsame Produktverbesserung in eigener Sache sei ja auch unter der Aufsicht des Mutterkonzerns möglich. Irgendwann steht auch noch eine Kundenumfrage an; aber bis dahin ist ja noch genug Zeit, um die Werbetrommel zu rühren und den Verbrauchern das ungesunde Duo wieder schmackhaft zu machen.
Was bisher geschah
Gut, ich hör ja schon auf. Bei all den wirren Vergleichen kann einem ja fast der Appetit vergehen.
Ich muss allerdings sagen, dass mir der Appetit auf deutsche Politik nach dieser Farce sehr deutlich vergangen ist. Dass es immer wieder Meldungen gibt, die am deutschen Politikwesen zweifeln lassen – ganz aktuell: Das NetzDG (1) – ist nichts Neues. Meist sind das dann aber entweder Fälle, in denen sich ein einzelner Politiker eine Verfehlung zuschulden kommen lässt, oder solche, in denen ohnehin niemand konkretes als Verantwortlicher ausgemacht werden kann.
Das, was sich die Führungsriege der SPD allerdings momentan erlaubt, das spielt in einer anderen Liga. Zur Erinnerung: Martin Schulz wendete sich noch am Wahlabend des 24.09.17 von einer Neuauflage der Großen Koalition ab und verkündete, die SPD in die Opposition führen zu wollen (2) – im Einklang mit nahezu allen anderen Vertretern der SPD-Elite.
Das Scheitern der Jamaika-Verhandlungen veranlasste Schulz, die Große Koalition nochmals klar auszuschließen und seine Einsicht zu bekräftigen, das Wahlergebnis 2017 sei „eine eindeutige Absage an die Fortsetzung der Großen Koalition“ gewesen (3). In einem Tweet (4) vom 20.11.17., den ich bereits seit Monaten immer wieder auf eine eventuelle Löschung überprüfe, log Schulz im Wortlaut: „Wir stehen für den Eintritt in eine Große Koalition nicht zur Verfügung – diese Konstellation wurde abgewählt. Wir scheuen Neuwahlen nicht.“
Nur vier Tage später, am 24.11.17., war die Lage dann plötzlich ganz anders. Dem „dramatischen Appell“ des Bundespräsidenten Steinmeier an die Parteien, doch bitte endlich mal eine Regierung zustandezubringen, werde sich die SPD „nicht verweigern“ (5), hieß es da von Seiten Schulz‘. Ganz hektisch sah man es von da an in der SPD-Führungsspitze rumoren; schon geriet die Anti-GroKo-Stimmung ins Wanken. Komisch! Am 01.12.17 meinte Schulz doch: „Wir haben eine geschäftsführende Bundesregierung, wir haben keinen Zeitdruck“ (6). Und doch konnte man die Sondierungsgespräche kaum abwarten.
Der Parteitag
Am 21.01.2018 tagte nun der SPD-Bundesparteitag in Bonn, es ging um die Abstimmung der SPD-Delegierten: Grünes Licht für Koalitionsverhandlungen mit der Union? Die Antwort in Kurzform: Rund 56 Prozent stimmen dafür, 44 Prozent dagegen – in Realwerten: 362 der 642 Delegierten pro GroKo, 279 NoGroKo, eine Enthaltung (7). Zu diesem Zeitpunkt hatten bereits alle Vertreter der SPD-Führung einige Wochen intensiver Positionsaufweichung inklusive Werbung für die GroKo hinter sich.
Und einen organisatorischen Makel gilt es bei diesem Parteitag besonders hervorzuheben. Der Saal war prallvoll, es waren immerhin 642 Delegierte plus Gefolgschaft und Medienvertreter anwesend. An diesem Tag ging es weiterhin um die politische Zukunft des Landes, es ging um die eventuelle Wegebnung zu Koalitionsgesprächen mit der Union. Auch war dies eine Abstimmung, deren Spaltungspotential sich bereits im Vornherein deutlich abzeichnete – man denke nur an den auch medial präsenten Widerstand des Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert.
Zunächst einmal muss genannt werden, dass zwei Abstimmungen stattfanden. Heiko Maas rief bei der ersten Durchführung alle Mitglieder zur Stimmabgabe auf und erwartete wohl, bei dieser knappen, die SPD bereits im Vorfeld spaltenden Umfrage ein deutliches Ergebnis per Augenmaß bestimmen zu können. Natürlich war das unmöglich.
Hiernach also leitete Maas die zweite Abstimmungsrunde ein. Um ein genaueres Ergebnis ausmachen zu können, sollte nun eine Zählkommission eingesetzt werden, die die Handzeichen einzeln zählen und schlussendlich aufaddieren sollte. Übrigens bat Maas erst hier die anwesenden Medienvertreter, sich aus den Gängen zwischen den Stuhlreihen zu entfernen, während sie sich bei der ersten Abstimmung noch kreuz und quer im Saal verteilt befunden hatten.
Nachdem die Mitglieder der Zählkommission ihre Plätze eingenommen hatten, rief Maas die Abstimmung erneut aus; zunächst fragte er nach der Befürwortung der Koalitionsgespräche. Nach einiger Zeit legt er nach: „So, sind die Stimmen alle abgezählt?“ Hiernach gingen bereits einige Arme nach unten; die Abstimmung lief aber noch eine halbe Minute weiter! Und übrigens: Insgesamt hatten die Delegierten knapp zwei Minuten Zeit zum Befürworten. Die ablehnenden Stimmen wurden im Anschluss aber nur in ca. 1:20 Minuten ausgezählt. Warum wurde hier keine einheitliche Zeitspanne anberaumt, sondern mit „zweierlei Maas“ gemessen?
Überhaupt gibt es einige Knotenpunkte, an denen eine korrekte Auszählung hat scheitern können:
Der Vertrauensbruch
Da der Weg für Koalitionsgespräche nun also geebnet ist, gilt es für die Parteispitze nur noch eine Hürde zu nehmen: Den Mitgliederentscheid, bei dem die rund 440.000 GenossInnen über den Koalitionsvertrag abstimmen dürfen und für den ein Termin noch nicht feststeht. Es ist also mit einer Fortdauer der GroKo-Werbung aus der Parteiprominenz zu rechnen.
Gerne wird aus diesen gut betuchten Reihen, die ihren Lebensstandard nur bei einer fortlaufenden GroKo sichern könnten, argumentiert, man hätte nach dem Scheitern der Jamaika-Verhandlungen ja eine Regierungsverantwortung wahrzunehmen – Eine Verneinung käme einer Flucht vor dieser Verantwortung gleich. Dass die letzte Bastion der GroKo-Gespräche für die ausgelaugte SPD-Führung aber allem voran eine Flucht vor der politischen Bedeutungslosigkeit darstellt, verschweigt sie natürlich.
Und außerdem muss man fragen: Wem gegenüber steht die SPD eigentlich in der Verantwortung? Meine Antwort hierauf lautet: Ihren Wählerinnen und Wählern. Denjenigen, denen noch vor kurzer Zeit bescheinigt wurde, man habe das einzig klare Signal der Bundestagswahl 2017 verstanden: Keine neue GroKo!
Die Entscheidung der SPD, nun doch in eine neue GroKo eintreten zu wollen, brach mit allem, was die Parteispitze vorangehend über Monate hinweg behauptet hatte. All die GroKo-Verneinungen, all die Oppositionsversprechen, die Ansagen der SPD zur Partei-Erneuerung (9) – all das war glatt gelogen. Es ist heute schlicht keinen Cent mehr wert. Und für mich definitiv auch kein Wahlkreuzchen.
Marc Uwe Kling: Wer hat uns verraten?
Aaron Richter, Jahrgang 1998, ist Student und Freigeist. Er war nie Schülersprecher und mied auch die Schülerzeitung akribischst, um nicht über zufälligen Unfug berichten zu müssen. Er ist ein neugieriger Zeitgenosse, der sich ungern einschränken lässt und mitunter auch jugendlich-persiflierend daherkommt. Trotzdem hat er noch einiges zu lernen, denn das, was vor ihm liegt, ist nichts geringeres als ein Leben in einem Zeitalter existenzieller Brisanz.
Quellen und Anmerkungen:
(1) https://www.heise.de/newsticker/meldung/NetzDG-Facebook-sperrt-Karikaturisten-Schwarwel-3947319.html
(2) https://www.youtube.com/watch?v=HLJ_YJmQABQ
(3) https://www.youtube.com/watch?v=6C9WkQQzP2A
(4) https://twitter.com/MartinSchulz/status/932626174446067714
(5) https://twitter.com/MartinSchulz/status/934032907353645056
(6) https://youtu.be/Chr5v2iWRyw?t=9s
(7) http://www.spiegel.de/politik/deutschland/spd-parteitag-delegierte-stimmen-fuer-koalitionsverhandlungen-a-1189028.html
(8) https://www.youtube.com/watch?v=5vOZ_XtxmVY0
(9) http://www.faz.net/aktuell/politik/spd-sonderparteitag-schulz-sagt-partei-umfassende-erneuerung-zu-15409707.html
Dem deutschen Michel fällt das bewusste Nachdenken über seine Ernährungsweise schwer. Neben dem umfangreichen Ablenkungsapparat aus Internet und erschwinglichem Nippes fühlt sich ein Ausflug in den sumpfigen Morast, der sich deutsche Parteienlandschaft schimpft, wie ein Löffel Baby-Brei auf der Zunge an: von matschiger Konsistenz, Geschmack: einheitlich. Einzelne Nuancen, gar die Herkunft der Brei-Zutaten herauszuschmecken, ist fast unmöglich und scheint den Aufwand dann auch wieder nicht wert. Nachdem die Jamaika-Verhandlungen noch wie Kaugummi anmuteten – zäh, es wurde lange darauf herumgekaut, doch wenn man zu lange kaut, verliert das Ganze seinen Geschmack – ist dem kleinen Michel nun nach einer anderen Leckerei zu Mute: für eine Tüte Paprika-Chips entscheidet er sich, schön rot ist die Verpackung, doch alsbald ist die Enttäuschung groß: mehr schlechte Luft als Inhalt entweicht der zerrissenen Plastiktüte.
Sieht man sich den Inhalt genauer an, findet man einige schrumpelige Chips mit fettigen Flecken, die wohl schon viel zu lange in der Tüte lagen. Doch immerhin sind auch frischere Exemplare zu finden, die schon eher den Werbebildern der Verpackung entsprechen. Klein-Michels Reaktion: Schnell, die alten aussortieren, bevor die ölige Natur der versalzenen Schrumpelchips auch noch die frischeren verpestet!
Aber ohne die muffigen Happen sieht der frischere Rest plötzlich so klein aus, und so langsam muss der Michel doch mal was essen. „Was soll’s“, denkt er sich also nach kurzem Überlegen, als er sich die im Ofen verheizten Überbleibsel einstig nährreicher Kartoffeln einverleibt – wohl im Bewusstsein, wie ungesund dieser Snack ist. Doch alles andere erscheint ihm als zu großer Aufwand; wo soll man denn überhaupt die Zutaten herkriegen? Um sich ein wirklich gesundes Essen zu kochen, das ihn nachhaltig stärkt, dafür ist unser Michel eben einfach zu faul.
Im Fernsehen wird ihm dagegen seit einiger Zeit wieder ständig ins Gedächtnis gerufen, wie gut Paprika-Chips und Cola zueinanderpassen würden, selbst in der Zeitung liest man davon. Von anderen Nahrungsmitteln wird kaum berichtet; der weitere Genuss der bequemen Snacks scheint geradezu alternativlos. Damit aber dieser ungesunde Lebensstil nicht so weitergeht, muss dem kleinen Michel endlich mal einer sagen, dass Fettleibigkeit nur das geringste Übel ist, das aus diesem Prozess resultiert. Um ein vernünftiges Leben führen zu können, muss der Michel schon in jungen Jahren begreifen, dass er, um die schwarzen Stellen in den Zähnen und die roten Flecken am Körper loszuwerden, endlich aufhören muss, sich falsch zu ernähren.
Und dabei waren wir schon so nah dran! Die Werbeindustrie der Paprika-Chips selbst war es, die noch vor dem im September letzten Jahres anstehenden Großeinkauf, der für die nächsten vier Jahre reichen muss, Einsicht zeigte und weithin verbreitete: Paprika-Chips und Cola passen vielleicht doch nicht so gut zusammen. Die Chips-eigene Werbeabteilung hatte es einfach satt, dass ihr Mutterbetrieb „Cola“ seit Jahren die größeren Umsätze einfährt und sie selbst immer nur als ergänzender Sattmacher gefragt sind, wenn dem Michel an schlechten Tagen der Magen knurrt.
Heutige Statistiken zeigen, dass beide Konzerne beim letztjährigen Einkauf bei weitem nicht mehr so gefragt waren wie die Jahre zuvor. Mitverantwortlich sind zwei neue Produkte auf dem Markt, die die Neugier des Michel auf sich gezogen haben und nun in die deutschen Haushaltsschränke einziehen. Der Cola-Konzern hat daraufhin vorübergehend versucht, andere Marken als gewohnt aufzukaufen – vergeblich. Während dieser Zeit noch blieb der Chips-Betrieb trotzig und bekräftigte seine
Abschottung. Aber wie das nun mal so ist in der Wirtschaft: Irgendwann ist der versprochene Profit für die CEOs der Firma einfach zu verlockend geworden. Dann schlug die Werbung einmal um und vor Kurzem beschloss eine Mehrheit des Chips-Aufsichtsrats, dass es am besten wäre, nun doch wieder gemeinsam mit dem Cola-Konzern aufzutreten; eine langsame Produktverbesserung in eigener Sache sei ja auch unter der Aufsicht des Mutterkonzerns möglich. Irgendwann steht auch noch eine Kundenumfrage an; aber bis dahin ist ja noch genug Zeit, um die Werbetrommel zu rühren und den Verbrauchern das ungesunde Duo wieder schmackhaft zu machen.
Was bisher geschah
Gut, ich hör ja schon auf. Bei all den wirren Vergleichen kann einem ja fast der Appetit vergehen.
Ich muss allerdings sagen, dass mir der Appetit auf deutsche Politik nach dieser Farce sehr deutlich vergangen ist. Dass es immer wieder Meldungen gibt, die am deutschen Politikwesen zweifeln lassen – ganz aktuell: Das NetzDG (1) – ist nichts Neues. Meist sind das dann aber entweder Fälle, in denen sich ein einzelner Politiker eine Verfehlung zuschulden kommen lässt, oder solche, in denen ohnehin niemand konkretes als Verantwortlicher ausgemacht werden kann.
Das, was sich die Führungsriege der SPD allerdings momentan erlaubt, das spielt in einer anderen Liga. Zur Erinnerung: Martin Schulz wendete sich noch am Wahlabend des 24.09.17 von einer Neuauflage der Großen Koalition ab und verkündete, die SPD in die Opposition führen zu wollen (2) – im Einklang mit nahezu allen anderen Vertretern der SPD-Elite.
Das Scheitern der Jamaika-Verhandlungen veranlasste Schulz, die Große Koalition nochmals klar auszuschließen und seine Einsicht zu bekräftigen, das Wahlergebnis 2017 sei „eine eindeutige Absage an die Fortsetzung der Großen Koalition“ gewesen (3). In einem Tweet (4) vom 20.11.17., den ich bereits seit Monaten immer wieder auf eine eventuelle Löschung überprüfe, log Schulz im Wortlaut: „Wir stehen für den Eintritt in eine Große Koalition nicht zur Verfügung – diese Konstellation wurde abgewählt. Wir scheuen Neuwahlen nicht.“
Nur vier Tage später, am 24.11.17., war die Lage dann plötzlich ganz anders. Dem „dramatischen Appell“ des Bundespräsidenten Steinmeier an die Parteien, doch bitte endlich mal eine Regierung zustandezubringen, werde sich die SPD „nicht verweigern“ (5), hieß es da von Seiten Schulz‘. Ganz hektisch sah man es von da an in der SPD-Führungsspitze rumoren; schon geriet die Anti-GroKo-Stimmung ins Wanken. Komisch! Am 01.12.17 meinte Schulz doch: „Wir haben eine geschäftsführende Bundesregierung, wir haben keinen Zeitdruck“ (6). Und doch konnte man die Sondierungsgespräche kaum abwarten.
Das hat eine völlig neue Tragweite, denn anders als bei den zuvor erwähnten Einzelbeispielen kruder Politiker wird hier die kollektive Amnesie und die halsbrecherische Wendigkeit der gesamten SPD-Führungsriege offenbar.
Der Parteitag
Am 21.01.2018 tagte nun der SPD-Bundesparteitag in Bonn, es ging um die Abstimmung der SPD-Delegierten: Grünes Licht für Koalitionsverhandlungen mit der Union? Die Antwort in Kurzform: Rund 56 Prozent stimmen dafür, 44 Prozent dagegen – in Realwerten: 362 der 642 Delegierten pro GroKo, 279 NoGroKo, eine Enthaltung (7). Zu diesem Zeitpunkt hatten bereits alle Vertreter der SPD-Führung einige Wochen intensiver Positionsaufweichung inklusive Werbung für die GroKo hinter sich.
Und einen organisatorischen Makel gilt es bei diesem Parteitag besonders hervorzuheben. Der Saal war prallvoll, es waren immerhin 642 Delegierte plus Gefolgschaft und Medienvertreter anwesend. An diesem Tag ging es weiterhin um die politische Zukunft des Landes, es ging um die eventuelle Wegebnung zu Koalitionsgesprächen mit der Union. Auch war dies eine Abstimmung, deren Spaltungspotential sich bereits im Vornherein deutlich abzeichnete – man denke nur an den auch medial präsenten Widerstand des Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert.
Diese hochbrisante Abstimmung wollten die Genossinnen und Genossen bei über 600 Stimmberechtigten im Saal allen Ernstes per Handzeichen durchführen (8)!Dieser Vorgang birgt ein deutliches Manipulationspotential an sehr vielen Stellen, ich denke, das ist klar. Nun wiegt der Vorwurf der bewussten Manipulation außerordentlich schwer, weshalb ich ihn ausdrücklich nicht erhebe. Doch das muss ich auch nicht. Bereits das Aufzeigen des schieren Fehlerpotentials, das dieser Abstimmung innewohnte, stellt die Ergebnisse der Entscheidung deutlich infrage.
Zunächst einmal muss genannt werden, dass zwei Abstimmungen stattfanden. Heiko Maas rief bei der ersten Durchführung alle Mitglieder zur Stimmabgabe auf und erwartete wohl, bei dieser knappen, die SPD bereits im Vorfeld spaltenden Umfrage ein deutliches Ergebnis per Augenmaß bestimmen zu können. Natürlich war das unmöglich.
Hiernach also leitete Maas die zweite Abstimmungsrunde ein. Um ein genaueres Ergebnis ausmachen zu können, sollte nun eine Zählkommission eingesetzt werden, die die Handzeichen einzeln zählen und schlussendlich aufaddieren sollte. Übrigens bat Maas erst hier die anwesenden Medienvertreter, sich aus den Gängen zwischen den Stuhlreihen zu entfernen, während sie sich bei der ersten Abstimmung noch kreuz und quer im Saal verteilt befunden hatten.
Nachdem die Mitglieder der Zählkommission ihre Plätze eingenommen hatten, rief Maas die Abstimmung erneut aus; zunächst fragte er nach der Befürwortung der Koalitionsgespräche. Nach einiger Zeit legt er nach: „So, sind die Stimmen alle abgezählt?“ Hiernach gingen bereits einige Arme nach unten; die Abstimmung lief aber noch eine halbe Minute weiter! Und übrigens: Insgesamt hatten die Delegierten knapp zwei Minuten Zeit zum Befürworten. Die ablehnenden Stimmen wurden im Anschluss aber nur in ca. 1:20 Minuten ausgezählt. Warum wurde hier keine einheitliche Zeitspanne anberaumt, sondern mit „zweierlei Maas“ gemessen?
Überhaupt gibt es einige Knotenpunkte, an denen eine korrekte Auszählung hat scheitern können:
- Jede/r Delegierte musste den Arm lange genug heben, damit die Stimme gewertet werden kann. Bei der ersten Frage war dies durch Maas‘ frühzeitige Nachfrage nicht gegeben. Auch während der zweiten Befragung ist deutlich zu sehen, dass während des Zählvorgangs mal Arme gehoben, mal gesenkt werden. Wie kann hier garantiert werden, dass jede Stimme
korrekt erfasst wird – und nicht etwa doppelt oder gar nicht?
- In diesem allgemeinen Gemenge musste jedes Mitglied der Kommission wissen, wen es zu zählen hatte. Aber wer garantiert, dass nicht auch eine Reihe vergessen oder eine doppelt gezählt wurde? Waren die „Zähleinheiten“ klar genug abgegrenzt? Wer prüft nach, dass sich verschiedene Delegierte nicht sowohl bei der ersten als auch bei der
zweiten Abstimmung gemeldet haben?
- Die Zählkommission durfte sich keine Fehler erlauben. Das führt unweigerlich zu Stress. Doch wie kann sichergestellt sein, dass sich nicht eines der Mitglieder hier oder da verzählt hat – gerade, wenn sich
die Delegierten nachgewiesenermaßen nicht konsequent meldeten? Es ist auch nicht gewährleistet, dass die ausgezählten Stimmen richtig oder vollständig weitergegeben wurden; dies oblag der Willkür der Zähler und
Addierer.
- Und das schwerwiegendste: Es kann kein Gegenbeweis erbracht werden. Eine empirische Überprüfung der Abstimmung war weder während der Auszählung möglich, noch kann sie im Nachhinein erbracht werden; hierfür sind die Kameraaufnahmen unzureichend. Das heißt, man hätte alles Mögliche behaupten können, solange der Unterschied nur knapp genug ist, da klar war, dass diese Abstimmung – zumal in ihrer Größenordnung – kein eindeutig per Augenmaß erkennbares Ergebnis zutage fördern würde.
Tiefgreifende Zweifel an den Ergebnissen dieser Umfrage sind gerechtfertigt und erforderlich. Eine Abstimmung dieses Kalibers hätte elektronisch oder per Stimmzettel durchgeführt werden müssen – also beleg- und nachprüfbar. Die vorliegende Abstimmung kann wohl kaum als legitime, unanfechtbare Wahl gelten.
Der Vertrauensbruch
Da der Weg für Koalitionsgespräche nun also geebnet ist, gilt es für die Parteispitze nur noch eine Hürde zu nehmen: Den Mitgliederentscheid, bei dem die rund 440.000 GenossInnen über den Koalitionsvertrag abstimmen dürfen und für den ein Termin noch nicht feststeht. Es ist also mit einer Fortdauer der GroKo-Werbung aus der Parteiprominenz zu rechnen.
Gerne wird aus diesen gut betuchten Reihen, die ihren Lebensstandard nur bei einer fortlaufenden GroKo sichern könnten, argumentiert, man hätte nach dem Scheitern der Jamaika-Verhandlungen ja eine Regierungsverantwortung wahrzunehmen – Eine Verneinung käme einer Flucht vor dieser Verantwortung gleich. Dass die letzte Bastion der GroKo-Gespräche für die ausgelaugte SPD-Führung aber allem voran eine Flucht vor der politischen Bedeutungslosigkeit darstellt, verschweigt sie natürlich.
Und außerdem muss man fragen: Wem gegenüber steht die SPD eigentlich in der Verantwortung? Meine Antwort hierauf lautet: Ihren Wählerinnen und Wählern. Denjenigen, denen noch vor kurzer Zeit bescheinigt wurde, man habe das einzig klare Signal der Bundestagswahl 2017 verstanden: Keine neue GroKo!
Die Entscheidung der SPD, nun doch in eine neue GroKo eintreten zu wollen, brach mit allem, was die Parteispitze vorangehend über Monate hinweg behauptet hatte. All die GroKo-Verneinungen, all die Oppositionsversprechen, die Ansagen der SPD zur Partei-Erneuerung (9) – all das war glatt gelogen. Es ist heute schlicht keinen Cent mehr wert. Und für mich definitiv auch kein Wahlkreuzchen.
Aaron Richter, Jahrgang 1998, ist Student und Freigeist. Er war nie Schülersprecher und mied auch die Schülerzeitung akribischst, um nicht über zufälligen Unfug berichten zu müssen. Er ist ein neugieriger Zeitgenosse, der sich ungern einschränken lässt und mitunter auch jugendlich-persiflierend daherkommt. Trotzdem hat er noch einiges zu lernen, denn das, was vor ihm liegt, ist nichts geringeres als ein Leben in einem Zeitalter existenzieller Brisanz.
Quellen und Anmerkungen:
(1) https://www.heise.de/newsticker/meldung/NetzDG-Facebook-sperrt-Karikaturisten-Schwarwel-3947319.html
(2) https://www.youtube.com/watch?v=HLJ_YJmQABQ
(3) https://www.youtube.com/watch?v=6C9WkQQzP2A
(4) https://twitter.com/MartinSchulz/status/932626174446067714
(5) https://twitter.com/MartinSchulz/status/934032907353645056
(6) https://youtu.be/Chr5v2iWRyw?t=9s
(7) http://www.spiegel.de/politik/deutschland/spd-parteitag-delegierte-stimmen-fuer-koalitionsverhandlungen-a-1189028.html
(8) https://www.youtube.com/watch?v=5vOZ_XtxmVY0
(9) http://www.faz.net/aktuell/politik/spd-sonderparteitag-schulz-sagt-partei-umfassende-erneuerung-zu-15409707.html
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Dieser Beitrag erschien zuerst bei Rubikon.de
Rubikon ist eine sehr informatives Portal und gehört seit den Anfängen dieses Portals mit zu meiner Stammlektüre im Netz. Jens Wernicke ist der Herausgeber und war jahrelang für die Nachdenkseiten tätig. Er kämpft seit Jahren um die Meinungsvielfalt und steht, genau wie Albrecht Müller, Jens Berger von den Nachdenkseiten, oder Ullrich Gellermann Rationalgalerie und Ken Jebsen von KenFM im Fokus der Querfront Vorwürfe.
AntwortenLöschenAuch Teile der Linken unterstützen die vollkommen unbegründeten Anwürfe.
Seitdem ich mich direkt bei der Linkspartei gemeldet hatte und mein Unverständnis gegen das Vorgehen gegenüber Ken Jebsen durch den Kultursenator Lederere aus Berlin von der Partei die Linke geäußert hatte, erhielt ich keine Antwort. Seitdem überdenke ich wieder mein Verhalten gegen Teile der von mir so genannten „ Salonkommunisten“.
Einer der größten Hetzer gegen alles was nicht im Rahmen der gewünschten Meinungsmache ist, ist der „linke Journalist“Tomasz Konicz
Ein Kommentar von ihnen über die Querfront und das Verhältnis zwischen Linken und Rechten,
empfehle ich zu lesen, vor allen auch die dazugehörigen Kommentare.
https://www.heise.de/tp/features/Querfront-als-Symptom-3952540.html