Thema:
Ukraine
Antwort auf Poroschenko: „Ende der Maskerade“
Unser Gastautor Zlatko Percinic schreibt dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko einen offenen Brief. Bei seinem heutigen Besuch in Berlin sprechen Poroschenko und die Vertreter des Normandie-Format über die Ukraine-Krise. Seine Sichtweise durfte Poroschenko in der FAZ darlegen. Hier die Antwort.
Sehr geehrter Herr Präsident Poroschenko,
Lange habe ich überlegt, wie ich auf Ihren Gastkommentar in der Frankfurter Allgemeine(FAZ) vom 13. Oktober 2016 reagieren sollte.
Verschiedene Varianten standen theoretisch zur Verfügung. Einige davon machten wenig Sinn angesichts der wichtigen Botschaft, die Sie den deutschsprachigen Leserinnen und Lesern der FAZ übermittelt haben. Wieder andere, wie etwa die ansonsten in westlichen Demokratien - zu welcher Sie sich und Ihr Land bekanntlich bekennen und zählen - übliche Kommentarfunktion, wurde von der FAZ vermutlich wohlweislich deaktiviert.
Es hätte ganz bestimmt einige sehr kluge Kommentare gegeben, einige, die dem zustimmen, was Ihnen Ihr Redenschreiber vorbereitet hat, und wieder einige - und da sind wir uns bestimmt einig -, die ganz und gar nicht mit dem Inhalt einverstanden gewesen wären und dementsprechend ihre Meinung ohne political correctness offen dargelegt hätten. Ja und das wäre sogar demokratisch legitim gewesen, gibt es ja in Deutschland diesen Artikel 5 im Grundgesetz, der den Bürgerinnen und Bürgern eine freie Meinungsäußerung garantiert.
Aber keine Sorge Herr Präsident, noch gibt es da einen anderen Artikel, allerdings im Strafgesetzbuch, der Beleidigungen von ausländischen Staatsoberhäuptern oder deren Vertreter untersagt. Wie schon gesagt, die FAZ hat wohlweislich die Kommentarfunktion zu Ihrem Gastkommentar deaktiviert und dabei kurzerhand das vermeintliche Recht auf Meinungsäußerung gleich mit ausgeschaltet, aber natürlich nur zum Wohle der deutschen Bürgerinnen und Bürger, die sich möglicherweise etwas ungehalten geäußert hätten.
Und selbstverständlich auch nur zu Ihrem eigenen Wohle. Nicht, dass Sie noch in der respektablen FAZ etwas lesen müssten, was Ihnen den Appetit auf den von Ihnen geschätzten, edlen Belugakaviar aus dem Kaspischen Meer vermiesen könnte.
Erlauben Sie mir nun wieder, werter Herr Präsident Poroschenko, Ihre geschätzte Aufmerksamkeit auf den eigentlichen Grund dieses Schreibens zu richten: eine Antwort auf Ihren Gastkommentar. Vielleicht wird es sogar mehr als nur eine Antwort, eher etwas, was man eventuell auch als Gegendarstellung beschreiben könnte.
Es gibt nur Weniges, wo ich Ihnen in Ihrer Darstellung der Lage im Donbass zustimmen könnte. Eigentlich sind es lediglich zwei Punkte: "Das Ende der Maskerade" und der "Krieg wütet" in der Tat trotz offiziellem Waffenstillstand weiter, und fordert wöchentlich seinen unausweichlichen Tribut ein. Bestimmt stimmen Sie mir zu, dass das nicht gerade die beste Ausgangslage ist, um sich dann off the records inhaltlich irgendwo in der Mitte zu einigen. Das würde aber bedeuten, dass der Privat- und Geschäftsmann Petro Poroschenko, eine gänzlich andere Sichtweise einnehmen müsste, als es der Präsident der Ukraine tut. An so eine Möglichkeit wollen wir nicht einmal ein Augenzwinkern lang denken, nicht wahr? Nein, das wollen wir ganz bestimmt nicht. Da ich Ihnen, geschätzter Herr Präsident, lediglich in zwei Punkten zustimmen kann, eröffnet sich mir ein unerwartetes Problem in meiner Gegendarstellung: wie soll sie denn nun aussehen? Soll ich jetzt etwa hingehen, und jeden einzelnen Punkt aus Ihrem Gastkommentar in der FAZ kommentieren und dokumentieren, mit dem ich (und mit Verlaub, eine Menge anderer Menschen auch) nicht einverstanden bin?
Nein keine Bange, das würde den Rahmen des Möglichen und Zumutbaren sprengen und ganz nebenbei so viel Zeit in Anspruch nehmen, dass sich womöglich niemand mehr an Ihren Gastkommentar oder überhaupt daran erinnert, dass Sie, Petro Poroschenko, Präsident der Ukraine waren. Deshalb werde ich es etwas kürzer fassen. Ich hoffe, Sie werden es mir nicht übel nehmen.
Es beginnt schon damit, dass Sie zwei unterschiedliche Begriffe benutzen, um das zu beschreiben, was im Osten der Ukraine geschieht. In diesem FAZ-Artikel verwenden Sie den Begriff "Krieg", welchen Sie auch sonst im internationalen Umgang verwenden. Zuhause aber sprechen Sie nicht von einem Krieg, sondern von einer Anti-Terror-Operation, oder eben ATO. Obwohl beide Definitionen am Ende des Tages das gleiche Resultat erzielen, nämlich Blutvergießen, wecken Sie mit den unterschiedlichen Definitionen auch unterschiedliche Assoziationen. Zufall? Mitnichten! Das ist und war so von Anfang an gewollt.
Ich weiss, das war noch alles vor Ihrer Zeit als Präsident der Ukraine. Dennoch möchte ich gerne einigen der deutschsprachigen Leserinnen und Lesern, die Ihren Gastkommentar gelesen haben und vielleicht nun meinen Kommentar lesen, die Möglichkeit bieten, diese Sache mit der ATO etwas näher zu bringen.
Nach dem Putsch in Kiew, der zur Flucht des korrupten, aber demokratisch gewählten Präsidenten Viktor Janukowitsch führte, kam für eine kurze Zeit eine Interimsregierung an die Macht. Vizeministerpräsident wurde Vitaly Yarema, der Mitte April 2014 stolz verkündete, "wir haben die Unterstützung der Vereinigten Staaten erhalten, dass sie uns nicht alleine mit einem Aggressor lassen."
Damit meinte er die US-Unterstützung für die "Anti-Terror-Operation", die zur "Liquidierung von illegalen bewaffneten Gangs" Anfang April 2014 gestartet wurde. "Die Resultate dieser Aktion werde man in naher Zukunft sehen können", so Yarema weiter. Genau vor diesem "Resultat" fürchteten sich aber die Menschen im Osten der Ukraine, dem fruchtbaren und produktiven Donbass, wie die Bewohner von Slawjansk deutlich machten. Was sie damit meinten, soll am besten jeder für sich selbst hier oder hier nachsehen.
Und dann die "grünen Männchen". Ja, das ist in der Tat ein PR-Coup allererster Güte! Diese "grünen Männchen" haben schon fast Kultstatus erreicht. Sie werden untrennbar mit dem Krieg in der Ukraine in Verbindung gebracht werden, vielleicht bleiben sie sogar als Überbleibsel für die nächsten Generationen hängen.
Sie lassen sich einfach zu gut in jedes Märchen einbinden, da eine realitätsnahe Figur für den Zuhörer eher zu fassen ist, als es beispielsweise beim grünen Oger (französische Märchen) oder Leprechaun, dem grünen Kobold aus Irland, der Fall wäre. Was mich wirklich ein wenig amüsiert bei der ganzen Sache, ist der Mythos, den Sie und ihre westlichen Kollegen aus der sogenannten zivilisierten Welt um die "grünen Männchen" spinnen.
Obwohl Sie ja eigentlich ausdrücken möchten, dass Ihrer Meinung nach russische Truppen in der Ukraine sind, verleihen Sie aber den "grünen Männchen" eine Aura der Unverwundbarkeit, machen aus ihnen Superhelden, wie es selbst die Marvel-Zeichner nicht besser tun könnten. Sie nehmen Ihnen, ohne einen einzigen Schuss abzufeuern, das größte Juwel, die Krim, ab, welches Ihre Vorgänger seit 2006 der NATO versprochen haben, indem sie sich lediglich der "Maskerade" entledigen mussten und "schleichen" sich über Nacht in den Donbass, um Ihre "Freiwilligenverbände" und Ihre Armee aus großen Teilen der Oblasten von Donezk und Lugansk herauszuwerfen.
Etwas verwirrt mich, Herr Präsident.
Mal sprechen Sie von "prorussischen Kämpfern", dann sind es "prorussische Söldner" und schließlich ist es sogar der Kreml, der den "Osten (Ihres) Landes militärisch angriff." Ich werde es etwas einfacher für Sie machen und nenne die Männer so, wie sie momentan zumindest organisiert sind und wie sie sich selbst auch bezeichnen: Novorossiya Armed Forces, oder NAF. Wenigstens sind aber Ihre Angaben zum Waffenarsenal eindeutig, welches Sie als größer als jenes der "deutschen Bundeswehr" halten. Ob diese Zahlen korrekt sind oder nicht, kann ich nicht beurteilen.
Da muss ich Ihnen einfach vertrauen. Allerdings kann ich zumindest etwas dazu sagen, woher diese Waffensysteme herkommen. Ein geringer Teil (Geräte zur elektronischen Kriegsführung, Überwachungsdrohnen, Munition, vereinzelte Artilleriesysteme aus überholten Lagerbeständen der russischen Armee, sowie sehr wenige moderne Luftabwehrsysteme wie z.Bsp. Pantsir-S1) wurde in der Tat von Russland geliefert, um sicherzustellen, dass sich das tief in die kollektive Psyche der Menschen im Donbass eingebrannte Odessa-Trauma vom 2. Mai 2014 unter keinen Umständen wiederholt. (Dass Sie Frankreichs Regierung unter Druck setzten, um dieses Video aus dem Verkehr zu ziehen, fand man übrigens nicht so toll)
Der bei weitem größte Teil dieser von Ihnen angegeben Waffensysteme, stammt noch aus Depots - und in vielen Fällen sogar achtlos irgendwo verscharrt (sogar die New York Timesberichtete 2005 darüber) - der sowjetischen Armee, und was von fliehenden Soldaten der ukrainischen Armee erbeutet wurde.
Aber der mit Abstand beste Teil aus Ihrem Gastkommentar in der FAZ ist der folgende Satz:
"Sieht das in diesen Tagen nicht bekannt aus, wenn Russland versucht, dieses Szenario im Donbass zu wiederholen, indem es auf eine politische Lösung und Lokalwahlen vor allen anderen Schritten dringt?"
Sehr geehrter Herr Präsident Poroschenko,
ich muss gestehen, hier haben Sie mich aber sowas von überrascht. Bis zu dem Zeitpunkt, als ich diesen Satz gelesen habe, war ich vollkommen davon überzeugt und habe es auch überall so erklärt, wo es jemand wissen wollte, dass der Präsident der Ukraine bei jeder sich bietenden Möglichkeit erklärt, Russland müsse das Abkommen von Minsk umsetzen. Sie haben es ja sogar im ersten Absatz selbst gesagt, beziehungsweise geschrieben:
"Der Krieg wütet weiter, und es gibt vielfache Belege dafür, dass der Minsk-Prozess über Russlands ewige Maskerade strauchelt."
Nicht dass Sie alleine mit dieser Meinung dastehen würden. Ganz im Gegenteil. Eigentlich sagen das alle Politiker und Staatschefs, mit denen Sie sich so in den vergangenen zwei Jahren getroffen haben. Insbesondere bei Vertretern der Europäischen Union, wie zum Beispiel der deutsche Europaabgeordnete der CDU Elmar Brok oder Barbara Lochbihler der Grünen, finden Sie immer wieder ein offenes Ohr mit solchen Behauptungen.
Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel wurde nicht müde zu betonen, dass es an Russland liege, dass der Minsk-Prozess "strauchelt", um hier Ihre Formulierung zu zitieren (es sei an dieser Stelle für die Leserinnen und Leser nur kurz erwähnt, dass es Außenminister Frank-Walter Steinmeier ist, der in dieser Krise die Stimme der Vernunft der deutschen Regierung darstellt, und ohne dessen mäßigende Einwirkung wir heute vielleicht an einem anderen Punkt stehen würden).
Nur heute, da Sie sich mit Kanzlerin Merkel, Ihrem russischen Amtskollegen Wladimir Putin (dem ebenso immer wieder jene geheimnisvollen Superheldenkräfte attribuiert werden wie den "grünen Männchen") und Frankreichs Präsident Francois Hollande im Kanzleramt in Berlin treffen, scheint es plötzlich nicht mehr so eindeutig zu sein, wer denn nun den Minsk-Prozess ins Straucheln gebracht hat.
Stattdessen heißt es aus der Bundesregierung:
"Im Mittelpunkt der Telefonate der Kanzlerin stand deshalb immer die Umsetzung der Minsker Vereinbarungen zur Ukraine. Dabei ging es vor allem um die Stärkung des Waffenstillstands, die Entflechtung der Truppen und die notwendigen nächsten Schritte bis zu möglichen Kommunalwahlen in der Region Donbass. Die Gesprächsteilnehmer waren sich einig, dass Fortschritte sowohl in Sicherheitsfragen als auch in den politischen Fragen nötig seien."
Ich glaube, geschätzter Herr Präsident, jetzt verstehen Sie, warum Sie mich so überrascht haben. Einerseits beharren Sie darauf, und das völlig zurecht, dass der 13-Punkteplan des sogenannten MinskII-Abkommens vom 12. Februar 2015 (interessanterweise hat die Bundesregierung nie eine Fassung des Minsk-Abkommens veröffentlicht, im Gegensatz zur französischen und russischen Regierung - Anm. des Autors) umgesetzt wird, das selbst der UN-Sicherheitsrat mit der Resolution 2202 hoch offiziell in Stein gemeißelt hat, andererseits kritisieren Sie aber nahezu im selben Atemzug Russland, weil es auf die Umsetzung desselbigen drängt. Ziemlich paradox das alles.
Um es für Ihre wie auch meine Leserinnen und Leser etwas verständlicher zu machen, sollten zu diesem Minsk-Abkommen vielleicht noch ein paar Dinge erwähnt werden. Angefangen damit, dass der vereinbarte Waffenstillstand seit Monaten nur noch auf dem Papier existiert, wie Sie es ebenso korrekterweise genannt haben. Das Weitere sieht dann nicht minder düster aus, was die Umsetzung des Abkommens betrifft. Abzug von schweren Waffen, durch die OSZE zu beobachten und den Waffenstillstand zu "verifizieren"? Wurde anfänglich weitestgehend umgesetzt.
Wie es nun mal leider oft so ist, wenn ein Konflikt etwas länger dauert als man es sich vielleicht vorgestellt hat, lässt das weitere Interesse an der Umsetzung irgendwelcher Abkommen deutlich nach. Nicht anders in Ihrer Ukraine, Herr Präsident. Seit mindestens Anfang August verifiziert die OSZE, dass die ukrainische Armee ihre schweren Waffen wieder in die verbotene Zone bringt, und sie auch entsprechend einsetzt. Der Einsatz von schweren Waffen durch die "Mitglieder der DPR/LPR" wie die OSZE die NAF nennt, wird ebenso dokumentiert.
Politische Konsequenzen hatte diese Verifizierung durch die OSZE allerdings keine: beide Seiten und auch jeweils ihre Unterstützer zeigten lediglich mit dem Finger auf den Anderen, und das war’s. Nun könnte man vielleicht argumentieren, wie es auch sehr gerne einige Ihrer Diplomaten tun, erst müssten die anderen zeigen, dass sie es wirklich ernst meinen. Diese Interpretation der Sachlage gefällt zwar Ihren Unterstützern im US-Kongress und der Verhovna Rada in Kiew, ist in der Realität allerdings nicht umsetzbar.
Wieso? Weil Sie damit von den Menschen im Donbass fordern, sich ohne jegliche Gegenwehr umbringen zu lassen, um Ihnen und Ihren Unterstützern beweisen zu können, dass sie es tatsächlich ernst meinen. Damit wären wir an genau der gleichen Stelle wie vor über zwei Jahren, als die Bewohner der ostukrainischen Stadt Slawjansk sich auf das vorbereitet haben, was Vize-Interimsministerpräsident Yarema damals angekündigt hatte: die "Liquidierung" derjenigen, die sich gegen die angreifende ukrainische Armee zur Wehr setzen.
Ja, eine angreifende ukrainische Armee. Das würde man nur aus dem Begriff "Krieg" nicht unbedingt raushören können, welche Sie im Ausland und auch in Ihrem Gastkommentar verwendet haben. Aber bei dem Begriff, den Sie zuhause in der Ukraine verwenden, Anti-Terror-Operation (ATO), sieht das ganz anders aus.
Es ist die Logik der Definition einer Anti-Terror-Operation, dass derjenige, der sie durchführt, auch derjenige sein muss, der Zeitpunkt, Mittel und Ziele definiert. Aus der Sicht der Menschen im Donbass also der Angreifer. Deshalb werden sie auch niemals die Waffen strecken oder sie gänzlich abziehen, solange sich Ihre Armee mit schweren Waffen in der verbotenen Zone befindet.
Was mich schließlich zum vorletzten Punkt bringt. Wie weiter oben bereits erwähnt, monieren Sie, sehr geehrter Herr Präsident Poroschenko, dass Russland "auf eine politische Lösung und Lokalwahlen vor allen anderen Schritten" drängt.
So wie Sie es formuliert haben, impliziert es eine völlig abstruse Forderung seitens Russlands. Dabei ist das lediglich eine Forderung, welche unter Punkt 12 des MinskII-Abkommens - unter dem Titel "Dezentralisierung der Ukraine" - klar formuliert ist und auch von US-Präsident Barack Obama zumindest offiziell gefordert wird. Eigentlich überflüssig zu sagen, geht dem Punkt 12 der Punkt 11 voran, von welchem niemand mehr etwas in Ihrer Regierung wissen möchte:
"Durchführung einer Verfassungsreform in der Ukraine und Inkrafttreten einer neuen Verfassung bis Ende 2015. [Diese Verfassung muss] als Schlüsselelement eine Dezentralisierung (unter Berücksichtigung der Besonderheiten einzelner Gebiete der Oblaste Donezk und Lugansk) aufweisen, die mit den Vertretern dieser Gebiete abgestimmt ist, ebenso die Verabschiedung eines ständigen Gesetzes über den besonderen Status einzelner Gebiete der Oblaste Donezk und Lugansk in Entsprechung mit Maßnahmen, die in den Anmerkungen aufgeführt sind¹, bis zum Ende des Jahres 2015."
Nicht nur, dass der vereinbarte Zeitpunkt bis wann diese Verfassungsänderung durchzuführen ist (Ende 2015) sich bald jährt, Ihr Parlament, die Verhovna Rada, weigert sich in aller Öffentlichkeit, dies auch zu tun. Parlamentspräsident und bekennender Nazi, Andriy Paruby, sagte ebenfalls, dass er die Minsk-Abkommen "nie unterstützt" hat und deshalb den Stuhl im National Sicherheitsrat der Ukraine verlassen musste.
Selbst Oleksii Makeiev, Politischer Direktor in Ihrem Außenministerium, machte deutlich, dass es beim Minsk-Abkommen "nicht um Wahlen im Donbass geht, sondern um den Abzug russischer Waffen und Truppen." Genau die gleiche Meinung teilt übrigens auch Ihr Außenminister Pavlo Klimkin, der sich in einem Interview in der Sendung "Conflict Zone" der Deutschen Welle nicht gerade - mit Verlaub - mit Ruhm bekleckert hat.
Herr Präsident,
ich kann aber auch Ihre Sorgen vor den Nazis in Ihrem Land sehr gut nachvollziehen. Gerade erst hat das einst so von Ihnen gelobte Azow-Bataillon, welches 2015 zwar formell dem Innenministerium unterstellt wurde, sich aber immer das Recht vorbehielt, aus offiziellen Armeestrukturen zurückzutreten, sollte die Regierung in Kiew das Minsker-Abkommen im Donbass umsetzen, eine eigene Partei gegründet.
Ich bin mir allerdings nicht ganz sicher, was für Sie jetzt schlimmer ist: die Tatsache, dass es in der Ukraine und somit in Europa 76 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wieder eine offizielle Nazipartei gibt, oder dass die Organisation (Azow), aus der diese Partei hervorgegangen ist, den Minsk-Prozess als "Kriegsverbrechen" wertet.
Was Sie schließlich in den Augen der Nazis zu einem Kriegsverbrecher machen würde, sollten Sie die vorgesehene und vereinbarte Verfassungsreform im Donbass weiter vorantreiben. Vorübergehend brauchen Sie sich deswegen vermutlich keine Sorgen zu machen. Denn obwohl es ja Teil des Minsk-Prozesses und der gleichnamigen Abkommen ist, durch die UN-Resolution 2202 völkerrechtlich bindend geworden, haben Sie im Juni diesen Jahres einfach mal eine eigene Bedingung zur Umsetzung gestellt:
Kompletter Waffenstillstand im Donbass, bevor Sie überhaupt an eine Verfassungsänderung denken würden. Und wenn man denkt, besser kann es gar nicht mehr kommen, haben Sie sich in Brüssel bei den "europäischen Partnern völliges Verständnis" dafür abgeholt. Da haben diese europäischen Partner bestimmt nicht mehr an die Kredite über 200 Millionen Euro gedacht, oder an die 97 Millionen Euro, die an Kiew überwiesen wurden, um die Dezentralisierung in der Ukraine voranzutreiben.
Jetzt ist dann aber wirklich Schluss. Das ist der letzte Punkt, zu dem ich Ihnen bezüglich des Minsk-Prozesses etwas sagen möchte. Sie haben es sicherlich schon erraten, es geht um Punkt 10 des Abkommens, der Abzug von allen bewaffneten Einheiten vom Territorium der Ukraine:
"Abzug aller ausländischer bewaffneter Einheiten und von [deren] Militärtechnik, ebenso von Söldnern, vom Territorium der Ukraine unter Beobachtung durch die OSZE. Entwaffnung aller illegalen Gruppierungen."
Mit "Abzug aller ausländischer bewaffneter Einheiten" sind auch tatsächlich alle gemeint, und nicht nur "russische Waffen und Truppen", wie es etwa Ihr Außenminister Klimkin und sein Politischer Direktor Makeiev meinen. Nun, davon sind wir in etwa so weit entfernt, wie der Bär vom Fliegen.
Sie wissen es ganz bestimmt Herr Präsident, in Ihrem Land tummeln sich regelrecht bewaffnete ausländische Einheiten. Amerikaner, Kanadier, Polen, Litauer, Letten, um nur einige der offiziell bekannten Einheiten zu nennen. Diese Einheiten verfügen sogar über einen eigenen Stützpunkt in der Ukraine, in Yavoriv, um genauer zu sein. Damit nicht genug. Ihrem eigenen Verteidigungsminister Stepan Poltorak wurde sogar ein "Berater" von Washington zur Seite gestellt, General a.D. John Abizaid.
Damit sollte Ihr Verteidigungsminister in der Tat gute Ratschläge bekommen, wie man Angriffskriege zu führen hat. Immerhin führte General Abizaid Kommandos (heute würde man das vermutlich auch als ATO bezeichnen) in Grenada 1983, im Irak 1991 und Kosovo 1999. Die Krönung seiner Laufbahn war sicherlich als CENTCOM-Kommandeur von 2003 bis 2007, der Zeit also, als es im Irak so richtig schief lief. Wie auch immer, diejenigen, die ihn jetzt nach Kiew abkommandiert haben, werden sich schon was dabei gedacht haben.
Sehr geehrter Herr Präsident Poroschenko,
wie Eingangs schon erwähnt, gehe ich mit Ihnen konform, dass es Zeit für ein "Ende der Maskerade" ist. Nur gehen unsere Meinungen auseinander, bei wem. Und irgendwie scheinen das auch Ihre Wähler in der Ukraine ziemlich ähnlich zu sehen.
mit freundlichen Grüßen,
Zlatko Percinic
Quelle: RT-Deutsch
Keine Kommentare :
Kommentar veröffentlichen
Der Kommentar erscheint manchmal erst nach Freigabe