RIA Novosti
Rüdiger Göbel, Stimme Russlands /RIA Novosti.
Während Angela Merkel über eine weitere Verschärfung der Sanktionen gegen Russland nachdenkt, beklagt ihr einstiger politischer Mentor die Isolation Moskaus im Zuge des Ukraine-Konflikts. In seinem gerade vorgestellten Appell "Aus Sorge um Europa" mahnt Altkanzler Helmut Kohl Gespräche mit Moskau an.
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"Wenn sich die Lage verschärft, kann es auch erforderlich werden, über eine erneute Verschärfung der Sanktionen nachzudenken", diktiert Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin den Journalisten in die Notizblöcke. Es sei doch unverständlich, dass offizielle russische Stimmen die "illegalen Wahlen" in der Ostukraine anerkennen würden. Man werde nun mit den europäischen Partnern die Lage beobachten und entscheiden, so Merkels Sprachrohr, "was das für Sanktionen heißt".
Auch der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und frühere Russland-Beauftragte der Merkel-Regierung, Andreas Schockenhoff, meint, man müsse neue Sanktionen in Erwägung ziehen. Die Wahlen seien "eine weitere, von Russland unterstützte Aktion, um die Bemühungen um einen Waffenstillstand und die Einheit der Ukraine zu sabotieren". Eine derartige Provokation sollte die EU nicht einfach hinnehmen.
Ein paar Hundert Kilometer weiter südlich warnt praktisch zeitgleich Merkels Amtsvorgänger, Altkanzler Helmut Kohl, vor der unnötigen Isolierung Moskaus. Der Westen hätte sich in der Ukraine-Krise "klüger verhalten" können, schreibt er in seinem Buch "Aus Sorge um Europa", das er in Frankfurt am Main vorgestellt hat. Auf beiden Seiten seien "Fehler gemacht" und "Befindlichkeiten offenkundig nicht ausreichend beachtet" worden.
Für eine "stabile europäische Sicherheitsordnung" sei die "Einbeziehung Russlands existentiell", ruft Kohl in Erinnerung. "Russland ist das größte Land Europas, es ist der wichtigste Partner und mächtigste Nachbar der Europäischen Union im Osten. Russland ist trotz aller Schwierigkeiten und Probleme auch immer noch eines der mächtigsten Länder dieser Erde."
Das heißt, so Kohl weiter: "Was in Russland passiert und auch, was dort nicht passiert, hat Auswirkungen auf die ganze Welt und berührt uns alle – die Anrainerstaaten von Russland genauso wie die Europäische Union und darüber hinaus. Eine positive Entwicklung in Russland und ein gutes, friedliches Miteinander in der Region und im Verhältnis zur Europäischen Union wie zur Nato liegen daher in unserem eigenen Interesse."
Als Fehler wertet Kohl etwa den Ausschluss Russlands vom Zusammenschluss der führenden Industriestaaten: "Ich kann nicht verhehlen, dass ich das Bild des G7-Gipfels Anfang Juni dieses Jahres, der über viele Jahre schon ein G8-Gipfel mit russischer Beteiligung gewesen war, einschneidend und auch bedrückend fand. Ich habe mich in diesem Moment einmal mehr daran erinnert, wie viel Überzeugungskraft es mich seinerzeit als deutscher Bundeskanzler im Kreise der G7-Länder gekostet hat, Russland als echten Partner einzubinden."
Der Altkanzler gibt der Kanzlerin und den Sanktionsheulern à la Schockenhoff in der schwarz-roten Koalition mit auf den Weg: "Im Ergebnis müssen der Westen genauso wie Russland und die Ukraine aufpassen, dass wir nicht alles verspielen, was wir schon einmal erreicht hatten." Eine friedliche Lösung, die allen Beteiligten gerecht werde und die zugleich das Selbstbestimmungsrecht der Völker achte, müsse erreichbar sein. "Man muss es nur wollen, und das erreicht man am besten im Gespräch miteinander."
"Kohl springt Schröder bei", unkt "Handelsblatt"-Chef Gabor Steingart gleich munter. Für Merkel sei der "Vorgang" unbequem. "In Berlin regiert zwar die Große Koalition, aber in den Köpfen der Bürger hat die Große Koalition der Altkanzler ein wichtiges Wort mitzureden." In anderen Punkten freilich, etwa der zu frühen Aufnahme Griechenlands in die Euro-Zone und dem Aufweichen des Euro-Stabilitätspakts ("ein Schandstück deutscher Politik"), bekommt auch der SPD-Altkanzler vom CDU-Altvorderen eins auf die Mütze.
Und, um einer möglichen Verklärung entgegenzuwirken, Kohl kritisiert ausdrücklich auch Richtiges und Vernünftiges, etwa das Nein von Gerhard Schröder und Joschka Fischer zum US-geführten Krieg gegen den Irak, dessen Folgen bis zum Wüten der Dschihadisten-Miliz "Islamischer Staat" dieser Tage reicht. Die rot-grüne Koalition habe damals die Kriegsangst der Deutschen politisch instrumentalisiert, schreibt Kohl. "Das allein dem Wahlkampf geschuldete Verhalten eines deutschen Bundeskanzlers und seines Außenministers im Jahr 2002 ist eine wahrhaft historische Zäsur. Es ist der seit 1945 bis heute gravierendste Vertrauensbruch einer deutschen Regierung im Rahmen der freien, westlichen Welt und Wertegemeinschaft." Das habe zu "Verwerfungen" geführt, die bis heute nachwirkten, beklagt Kohl. Das über Jahrzehnte aufgebaute Vertrauen gegenüber den USA sei damals "schwer beschädigt" worden.
Leider nicht genug und nachhaltig, muss man merken.
Quelle: RIA Novosti
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