Freitag, 23. März 2018

Der britische Außenminister Boris Johnson tischt der Öffentlichkeit eine neue Lügen-Geschichte auf

Thema: erneute Beschuldigungen ohne den geringsten Beweis gegen Russland

Gewollte Eskalation
von Rubikons Weltredaktion

Der ehemalige britische Botschafter Craig Murray entzaubert auch die nächste Volte der „Russland vergiftet einen Spion“-Story. Zum Besten gegeben hatte sie Boris Johnson, der britische Außenminister. Nicht etwa vor dem Parlament, sondern publikumswirksam in einer Talkshow.

Boris Johnson tischt der Öffentlichkeit eine neue Story auf
von Craig Murray

Boris Johnson versuchte, die auf schwachen Füßen stehende Anklage zu erneuern, um Russland vor einer Ermittlung des Anschlags auf Skripal zu beschuldigen, indem er eine grundlegend neue Version vorstellte, die das, was die Regierung zu wissen vorgibt, völlig verändert und radikal stärkt.

Dies ist die sensationelle neue Behauptung, die sich durch die ganze Propaganda zieht: Der Außenminister enthüllte heute Morgen (Sonntag, 18. März, A. d. Ü.), dass die Briten über Informationen verfügen, die darauf hinweisen, dass Russland in den letzten zehn Jahren Methoden zur Herstellung von Nervengiften erforscht habe, die wahrscheinlich für Morde eingesetzt werden können. Und ein Teil dieses Programms hat die Produktion und Bevorratung von Novichok beinhaltet. Hierbei handelt es sich um eine Verletzung der Chemiewaffenkonvention.

Dies ist eine erstaunliche Behauptung und erfordert eine eingehende Überprüfung. Falls diese Informationen vom MI5 (britischer Inlandsgeheimdienst, A. d. Ü.) oder MI6 (britischer Auslandsgeheimdienst, A. d. Ü.) stammen, dann muss einer Veröffentlichung ein Arbeitsprozess vorausgehen: die ressortübergreifende Freigabe, das sogenannte Action on. Dieses Prozedere ist selbst dann erforderlich, wenn ein Minister an die Öffentlichkeit geht.

Ich selbst habe einen derartigen Vorgang häufig miterlebt, als ich im Außenministerium die Abteilung des Embargo-Überwachungszentrums leitete, die die irakischen Waffenkäufe überwachte. Es handelt sich dabei nicht um ein Prozedere, das man für gewöhnlich an einem Samstagabend abwickelte, es sei denn, das Land befindet sich tatsächlich im Krieg. Dergleichen musste vor dem Wochenende erledigt sein.

Warum also wurde diese wichtige Information nicht am Freitag dem Parlament zugänglich gemacht, sondern an einem Sonntagmorgen auf Andrew Marr's (Moderator einer politischen Sendung „The Andrew Marr Show“, A. d. Ü.) Sofa an die Öffentlichkeit gebracht, bestätigt durch eine offizielle Erklärung?

Ein sehr ungewöhnlicher Vorgang. Zudem widerspricht er diametral den Informationen, die ich letzte Woche aus meinen Quellen im Außenministerium erhalten hatte – meine Informanten wussten davon nichts, und zumindest einer hätte im Bilde sein müssen, wenn diese neuen Erkenntnisse auf Berichten des MI6 oder GCHQ (britischer Nachrichtendienst, A. d. Ü.) beruhten.

Ich sehe nur zwei mögliche Erklärungen. Eine – und sie ist die wahrscheinlichste – lässt sich von einer extrem sorgfältigen Analyse dieser Erklärung ableiten. Die Erklärung lautet: „Wir haben Informationen, die darauf hinweisen, dass innerhalb der letzten zehn Jahre“. Das sagt nichts darüber aus, wie lange wir schon im Besitz dieser Informationen sind. „Innerhalb der letzten zehn Jahre“ kann alles heißen – seit einer Sekunde und seit zehn Jahren. Es ist höchst bezeichnend, dass die Formulierung lautet: „innerhalb der letzten zehn Jahre“ und eben nicht „seit zehn Jahren“.

„Innerhalb der letzten zehn Jahre“ bedient sich des gleichen semantischen Tricks wie: „Angebotspreis – bis zu 50 Prozent reduziert.“ Dies kann auch heißen: nur um 0,1 Prozent reduziert, und seine einzige Bedeutung ist eigentlich: „niemals günstiger als zum halben Preis“.

Die wahrscheinlichste Deutung dieses Satzes ist also, dass man im Außenministerium soeben erst in den Besitz dieser angeblichen Informationen gekommen ist – also nach Ablauf der letzten Woche, als man davon noch nichts wusste.

Und: Die Informationen stammen nicht von einem festen Verbündeten, mit denen wir eine Übereinkunft haben, Geheimdienstinformationen zu teilen. Die Informationen könnten also von einem anderen Staat stammen oder aus der privatwirtschaftlichen Quelle eines zwielichtigen Nachrichtendienstes – Orbis zum Beispiel.

Das Außenministerium verdreht also erneut Wörter, um den Eindruck zu erwecken, dass die angeblichen Erkenntnisse seit zehn Jahren bekannt sind, während die offizielle Erklärung dies tatsächlich gar nicht besagt.

Es gibt noch eine zweite mögliche Erklärung. MI6-Offiziere im Außeneinsatz erhalten Informationen von Agenten, die im Wesentlichen dafür Geld bekommen. Nach meiner Erfahrung mit Tausenden von MI6-Geheimdienstberichten ist ein Großteil dieser „HUMIT“ (human intelligence, Erkenntnisgewinnung aus menschlichen Quellen, A. d. Ü.) unzuverlässig. Graham Greene, ein früherer MI6-Offizier, hat ein lebensechtes Bild davon im großartigen „Unser Mann in Havanna“ gezeichnet, das ich jedem unbedingt ans Herz legen möchte.

Die Informationen kommen beim Auslandsgeheimdienst in Vauxhall Cross an und werden dort gefiltert. Ein Länderreferent bewertet die Informationen und beurteilt, ob es sich lohnt, sie in einem Bericht herauszugeben; es wird abgewogen, wie genau die Informationen sind, wie gut der Zugang zu der Quelle ist, für wie glaubwürdig man sie hält und ob der Inhalt mit bekannten Fakten übereinstimmt. Dieser Filter ist nicht besonders gut, weil er immer noch eine Menge Unbrauchbares durchlässt, zumindest aber sortiert er aus, was völlig wertlos ist.

Eine mögliche Quelle neuer Informationen, die plötzlich den Wissensstand der Regierung geändert hat, könnte darin liegen, dass das aussortierte Material nach Bestandteilen durchforstet wurde, die man zusammenschustern konnte. Wie ich in Murder in Samarkand darlegte: Es war just das bewusste Entfernen von Filtern, das die falsche Darstellung der Erkenntnisse über die irakischen Massenvernichtungswaffen bewirkt hat.

Kurzum, wir sollten extrem skeptisch sein in Bezug auf diese plötzliche neue Erkenntnis, die Boris Johnson aus dem Hut gezaubert hat.

Sollte Großbritannien im Besitz von Geheimdienstinformationen über ein geheimes russisches Chemiewaffenprogramm sein, dann war es rechtlich nicht dazu verpflichtet, Andrew Marr darüber in Kenntnis zu setzen. Vielmehr war Großbritannien rechtlich dazu verpflichtet, die Organisation für das Verbot Chemischer Waffen (OPCW) zu informieren.

Nicht nur hat Großbritannien dies nicht getan, der britische Botschafter Sir Geoffrey Adams gratulierte der OPCW letztes Jahr gar überschwänglich zur Beendigung der Zerstörung der russischen Chemiewaffenbestände, ohne eine Andeutung oder einen Vorbehalt, dass Russland womöglich nicht deklarierte geheime Bestände vorhalten könnte.

In der Andrew-Marr-Sendung schien Boris Johnson zum ersten Mal zu äußern, dass das Nervengift in Salisbury tatsächlich in Russland hergestellt worden sei. Damit weicht er jedoch wesentlich von der Erklärung des Außenministeriums ab, das dies ganz deutlich so nicht äußert. Boris Johnson dürfte also in seine reflexhafte Lügerei zurückgefallen sein.

Tatsächlich ist die Erklärung des Außenministeriums ein deutlicher Hinweis darauf, dass man sich dort ganz und gar nicht sicher ist, dass die Substanz in Russland hergestellt wurde. Daher versucht man, den Verantwortungsbereich Russlands auszuweiten.

Man beachte diesen Absatz:

„Russland ist der offizielle Nachfolgestaat der UdSSR. Als solcher übernahm Russland rechtlich die Verantwortung sicherzustellen, dass die Chemiewaffenkonvention bei allen früheren sowjetischen Chemiewaffenbeständen und in allen Chemiewaffenlaboren Anwendung findet.“

Es versteht sich von selbst, dass das Außenministerium diesen Absatz nicht eingefügt hätte, wenn das Forschungszentrum Porton Down festgestellt hätte, dass das Nervengift in Russland hergestellt wurde. Offensichtlich können sie eben nicht sagen, dass es in Russland hergestellt wurde.

Das sowjetische Chemiewaffenprogramm hatte seinen Sitz in Nukus, in Usbekistan. Die Amerikaner haben es abgebaut, erforscht, die Anlage zerstört und die Ausstattung entfernt. Ich habe die Anlage als Botschafter von Usbekistan besucht, kurz nachdem sie damit fertig waren — in meiner Erinnerung war es verlassen, gekachelt und sehr kalt dort, eigentlich gab es dort nichts zu sehen.
Der oben genannte Absatz will die Russen für alles verantwortlich machen, was aus Nukus herauskam. Dabei waren es die Amerikaner, die sich dessen bemächtigt haben.

Erschieen bei Rubikon.news
Dieses Werk ist unter einer Creative Commons-Lizenz (Namensnennung - Nicht kommerziell - Keine Bearbeitungen 4.0 International) lizenziert. Unter Einhaltung der Lizenzbedingungen dürfen Sie es verbreiten und vervielfältigen.

2 Kommentare :

  1. Ich frage mich ernsthaft, ob unsere Politikdarsteller und Systemmedien „Journalisten“ alle Menschen so blöd einschätzen, dass sie dieses Spiel nicht durchschauen.
    Es gibt das Internet und es gibt ausländische Online Portale von Printmedien, wo man sich auch informieren kann, aber letztendlich muss jeder für sich selber seine Meinung bilden.
    Ich erinnere mich noch gut daran, die letzten Trümmer der MH17 in der Ukraine waren noch nicht auf die Erde gefallen, da wusste der Spiegel schon, dass die Russen das Flugzeug vom Himmel geholt haben.
    Bis heute gibt es für die einfachen Menschen keine definitive Aussage über die wahren Ursachen des Absturzes. Das wird auch so bleiben, irgendwie soll das wohl Geheimdiplomatie heißen. Vielleicht war es auch die Verhinderung eines 3. Weltkriegs durch besonnene Diplomaten von beiden Seiten in letzter Minute.
    Im Fall Skripal habe ich noch einen aufschlussreichen Kommentar Craig Murray gefunden.
    https://www.craigmurray.org.uk/archives/2018/03/boris-johnson-a-categorical-liar/

    Zur Rettung der Ehre deutscher Politiker Link Hinweise:
    http://www.deutschlandfunk.de/skripal-affaere-kubicki-kritisiert-den-westen-wer-weiss-wer.694.de.html?dram:article_id=413685
    Beachtlich, was da Kubicki sagt, könnte von S. Wagenknecht sein.


    https://web.de/magazine/politik/bedeutet-wahl-ergebnis-russland-internationalen-krisen-herr-platzeck-32881350


    Ein gewohnt sachlicher SPD Politiker, von denen es ja in Spitzenfunktionen kaum noch welche gibt.
    Zur Wiederwahl Putins, die ich persönlich sehr wohlwollend zur Kenntnis genommen habe, nicht weil ich ein Freund von Putin bin, sondern ihn als Garant für den Weltfrieden sehe.
    Es war ja klar, dass eine Meinungsmache gegen Putin in den Systemmedien erfolgen würde.
    Die einen möchten dem folgen, andere eben nicht und das ist gut so.
    Umfragen sprechen zwar mehrheitlich für Putin in Deutschland, aber lasse ich das stecken.
    Ich bin voll und ganz bei Peter Haisenko, wie er auf seinem Blog unter
    https://www.anderweltonline.com/klartext/klartext-20181/putin-wurde-mit-7667-prozent-gewaehlt-ist-das-noch-demokratie/
    die Wahl im Vergleich mit Deutschland einschätzt.
    Besonders die Wahl des Bundespräsidenten im Sinne des einzig und allein selig machenden deutschen Wahlsystems.
    Ansonsten natürlich eine Analyse vom Feinsten.
    Noch ein Wort zur Volksverarschung in der ARD im Bezug zu Putins „größten Konkurrenten Navalny“.
    Die ARD wäre gut beraten hin und wieder ihr eigenes Forum tagesschau. de zu lesen. Vor seiner erneuten Verurteilung zu 5 Jahren Haft auf Bewährung, lag Navalny bei Sage und schreibe 0,4 % in der Wählergunst. Er selber hat gesagt, dass ihn wohl nur die wählen werden, die ihn persönlich kennen. Nach der Wahl unterstellt Navalny, der kremlkritische Journalistin Sobtschak, die im Oktober 2017 ihre Kandidatur ankündigte, sie sei von Putin gekauft um die „Opposition“zu verhindern.
    Sie hatte nach dem Studium an einer Moskauer Elite-Universität als Fernseh-Moderatorin und mit freizügigen Fotos die russische Boulevardpresse aufgemischt. Später wechselte sie zum Journalismus. Immerhin hat sie ja mit 1,7 % Stimmenanteil sicherlich Putin kurz vor einem Herzkasper gebracht.
    Fest überzeugt bin ich davon, wenn es Ostern schneit hier bei uns, wissen unsere
    Wetterfrösche beim ZDF wer der Schuldige ist. Kaltes Wetter aus dem Osten, dass früher mit Hoch oder Tief bezeichnet wurde, heißt ja jetzt schon Russepeitsche.

    AntwortenLöschen
  2. tagessschau.de 23.3.18
    "Schuldzuweisungen, Drohungen, Sanktionen - der Streit um den Giftanschlag auf den russischen Ex-Spion Skripal gewinnt noch einmal an Schärfe. Die EU-Staaten verurteilten geschlossen Russland, einige kündigten Sanktionen an.......
    Deutschland und Frankreich wollen in den kommenden Tagen gemeinsam entscheiden, ob und welche Strafmaßnahmen sie gegen Russland ergreifen. Man sei sich darin einig, dass die Abberufung von Botschaftspersonal als Antwort nicht ausreiche. Kanzlerin Angela Merkel verteidigte bei einer Pressekonferenz mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron das harte diplomatische Vorgehen, noch bevor die Chemiewaffenexperten der internationalen Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) ihre Ergebnisse vorgelegt hat: Die britische Premierministerin May habe auf dem Gipfel "fundierte Analysen" vorgelegt, die sich "wahrscheinlich" nicht stark von den OPCW-Ergebnissen unterscheiden würden."
    Das macht man so. Das sind die vielgerühmten westlichen Werte. Man verurteilt jemanden und kann es gar nicht erwarten, dass handfeste Beweise von der maßgeblichen Stelle vorliegen - na,ja, der Russe ist ja immer schuld. Hauptsache, man fällt nicht beim Mentor USA in Ungnade und muss auch Strafzölle zahlen. Da wird schon mal aus dem Kaffeesatz gelesen und vermutet , dass wahrscheinlich usw......Eben alles ganz rechtsstaatlich einwandfrei!
    franzi

    AntwortenLöschen

Der Kommentar erscheint manchmal erst nach Freigabe