|
Liebe Leser,
die krassen und bitteren Bilder vom G20-Gipfel in Hamburg schwirren uns noch immer durch den Kopf.
Und schwierige Fragen. Ist es angesichts der massiven Gewalt noch
richtig, Politik und Polizei dafür zu rügen, dass sie bereits im Vorfeld
das Versammlungsrecht massiv eingeschränkt haben? Oder müssen
Protestbewegungen nicht erst einmal viel klarer Nein zur Gewalt sagen?
War es richtig, den G20-Gipfel zu begrüßen, wenn so wenig rauskam? Oder
ist der G20-Beschluss zum Klima nicht doch einiges wert? Langsam ordnen sich unsere Gedanken, und wir möchten sie mit Ihnen teilen.
Wie sehr gewaltsamer Protest unserem Anliegen schadet, das haben uns die letzten Tage in Hamburg noch einmal gezeigt: Die inhaltliche Kritik am G20-Gipfel verschwand völlig hinter der Debatte um gewaltsame Auseinandersetzungen.
Mit Gewalt erreicht man nicht die Herzen der Menschen, sondern bringt
sie gegen sich auf. Wer Autos anzündet und Polizist/innen attackiert,
wer marodierend alles kurz und klein schlägt und Geschäfte plündert, der
sabotiert und diskreditiert das Engagement zehntausender Menschen, die
ihre Kritik friedlich an der Politik der G20 äußern.[1] Das ist
anmaßend. Das ist dumm. Das ist kriminell. Und braucht eine klare
Ansage: Mit uns habt ihr nichts gemein.
Die Rauchschwaden über Hamburg helfen vor allem Angela Merkel.
Links von ihr legen Vermummte alles in Schutt und Asche, rechts von ihr
verbreiten Autokraten Angst und Schrecken – und sie kann sich
inszenieren als diejenige, die im Sturm noch Sicherheit bietet. So
gewinnt man Wahlen. Für Kritik bleibt dann kein Raum: Wie katastrophal
Merkels ideologische Sparpolitik für Griechenland und Co. sich auf
Europa auswirkt. Wie doppelbödig ihre Klimapolitik ist, wenn sie daheim
Kohlekraftwerke munter weiter laufen lässt. Wie sie
Politikverdrossenheit fördert, indem sie jede politische
Auseinandersetzung einschläfert.
Wir wissen nicht, wer sich alles schwarz vermummte, und etliche waren vielleicht schlicht kriminelle Hooligans. Das
ist ein Grund mehr, endlich das Geschwurbel mancher Organisatoren des
Protests zu beenden, die sich vor einer klaren Distanzierung von Gewalt
drücken.[2] Es reicht nicht, wenn sich jetzt einige von
„sinnloser Zerstörung“[3] distanzieren oder von einer „Form von
Militanz, die sich an sich selbst berauscht hat“.[4] Das impliziert ja,
dass es in einer parlamentarischen Demokratie sinnvolle Militanz und
Zerstörung gäbe. Auch Fehlverhalten der Polizei rechtfertigt in keinster
Weise tätliche Angriffe auf Polizist/innen und Vandalismus.
Die Ursachen für das Ausmaß der Gewalt sind aber auch woanders zu
suchen: bei den politisch Verantwortlichen für den Polizeieinsatz – bei
Angela Merkel, bei Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) und auch bei
den Grünen, die so tun, als wären sie gar nicht Teil des Senats.[5]
Viele Berichte belegen: Statt besonnen und verhältnismäßig vorzugehen,
hat die Polizei schon im Vorfeld des Gipfels Auseinandersetzungen
provoziert und trat immer wieder martialisch auf.[6] Als dann die
Ausschreitungen während des Gipfels eskalierten, war sie völlig
überfordert. Ausgerechnet ein bekannter Hardliner, Hartmut Dudde, wurde vom rot-grünen Senat zum Einsatzleiter der Polizei ernannt. Schon mehrmals haben Gerichte ihm Verstöße gegen geltendes Recht attestiert.[7]
Hinzu kommt, wie massiv das Versammlungsrecht ausgehebelt wurde, ein
Grundpfeiler einer lebendigen und streitbaren Demokratie. Demos pauschal
auf 38 Quadratkilometer untersagen.[8] Der Versuch, Camps für
Demonstrant/innen generell zu verbieten.[9] Das ist eines Rechtsstaats unwürdig.
Wer Trump, Putin und Erdogan, wer Autokraten und Antidemokraten zu
sich einlädt, der sollte ihnen sagen: Schaut her, bei uns werden Demos
nicht verboten. Hier werden friedliche Demonstranten nicht verprügelt –
auch wenn wir wehrhaft gegen Gewalttäter vorgehen. Für uns sind
Grundrechte das höchste Gut – und wir sind stolz darauf. Wie soll nach
den Tagen von Hamburg eine Bundesregierung noch Erdogan und Putin
kritisieren, wenn sie auf friedliche Demonstrant/innen einschlagen
lassen? Beide werden diebische Freude an den Bildern von Hamburg haben.
Leider stößt das Aushöhlen des Versammlungsrechts und das in
etlichen Situationen unverhältnismäßige Vorgehen der Polizei jenseits
der Linkspartei auf wenig Widerspruch. Wo ist die scharfe
Kritik einer Katrin Göring-Eckardt, eines Cem Özdemir oder einer Simone
Peter von den Grünen, die sonst um keinen Tweet verlegen sind? Wo
intervenieren Bürgerrechtler der SPD? Alle auf Tauchstation.[10] Und
Olaf Scholz kommt zum irritierend pauschalen Urteil, die Polizei habe
alles richtig gemacht.[11]
Heribert Prantl, Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung, schreibt: „Die Hamburger Polizei hat die Demonstranten in toto als Gegner betrachtet,
die man wegschieben muss[...]; die Hamburger Polizei – gemeint ist die
politische Führung und die Einsatzleitung, nicht die zwanzigtausend
Einsatzkräfte – hat schon im Vorfeld allein auf paramilitärische
Taktiken gesetzt. Das war, das ist so von gestern wie die Politik von
Herrn Trump.“ Ein so klares Statement hätte man sich auch von SPD und
Grünen gewünscht.[12]
Bewusst haben wir als Campact uns nicht der plakativen Botschaft „No G20“ angeschlossen.
Gerade in so krisenhaften Zeiten wie den jetzigen halten wir es für
zentral, dass Staatschefs miteinander reden. Gleichzeitig kritisierten
wir im Bündnis mit Gewerkschaften, Umwelt- und Eine-Welt-Organisationen
scharf die Politik der G20, besonders beim Klimaschutz und der
Handelspolitik. Mit 25.000 Menschen demonstrierten wir im Vorfeld des
Gipfels und forderten eine ganz andere Politik.[13]
Unsere Protestwelle prägte die Abendnachrichten und Schlagzeilen der großen Zeitungen. Tausende
Menschen am Ufer, hunderte auf Kanus, Flößen und allem, was schwimmt,
boten ein buntes und friedliches Bild des Protests.[14] Die
beeindruckende Großdemo mit 75.000 Menschen gegen G20 zum Ende des
Gipfels wurde hingegen in den Medien von der Gewaltdebatte und den
Bildern der Staatschefs ziemlich überdeckt.
Doch was kam raus beim G20, beim Klimaschutz, bei der Handelspolitik?
- Beim Klimaschutz mehr als zu befürchten war. Trump wurde für seine Abkehr vom Pariser Klimavertrag klar isoliert.
Ihm gelang es nicht, eine Koalition der Unwilligen zu formen – mit
Russland, Saudi-Arabien, der Türkei, Kanada. Die Gipfelerklärung
unterzeichneten alle Staaten außer den USA. Nach dem Gipfel machte
allerdings Recep Erdogan einen Rückzieher.[15] Somit steht es jetzt
immerhin 18:2. Die USA bekamen dafür die Erlaubnis, anderen Ländern zu
helfen „einen Zugang zu fossilen Energien zu bekommen und sie sauberer
und effizienter zu nutzen“.[16] Nicht schön, aber so läuft
Gipfeldiplomatie. Der Beschluss der G20 ist in Zeiten von Trump ein
wichtiger Erfolg.
Gleichzeitig ist der G20-Beschluss viel zu wenig:
Wenn Trump beim Klimaschutz die Bremse durchtritt, hätten die 18
anderen den Turbogang einlegen müssen. Gerade erst haben namhafte
Klimaforscher gewarnt: Wenn die Menschheit die weltweite Erwärmung auf
1,5 bis 2 Grad begrenzen will, darf sie nur noch 600 Gigatonnen CO2
ausstoßen.[17] Derzeit liegen wir bei jährlich 40 Gigatonnen. Sprich:
Fangen wir nicht an, massiv einzusparen, haben wir bereits in 15 Jahren
alles CO2 in die Atmosphäre geblasen, das die Menschheit noch ausstoßen
darf. Als „Klimakanzlerin“ wäre es beim G20 an Angela Merkel gewesen,
mutig voranzuschreiten und den Turbogang einzulegen: indem sie endlich
für Deutschland den Kohleausstieg verkündet. Doch Mut passt nicht zu
Merkel.
- Beim Welthandel einigten sich die G20 immerhin auf ein klares
Bekenntnis gegen Protektionismus.[18] Die Grenzen hochziehen – wie Trump
es im Wahlkampf ankündigte – wäre fatal. Doch die G20 propagieren die falsche Alternative: noch mehr Handelsabkommen à la TTIP und CETA.
Was wir brauchen sind Abkommen, die Konzernen Regeln verordnen.
Verbraucher/innen-Rechte stärken. Umweltgesetze schützen.
Arbeitnehmer-Standards ausbauen. Doch nichts gab’s. Die G20 bleiben in
Hamburg auf stramm neoliberalem Kurs.
Ein klares und trauriges
Zeichen für diesen Kurs: In Brüssel wurde letzten Donnerstag symbolisch
vor dem G20-Gipfel eine Grundsatzvereinbarung für JEFTA unterzeichnet,
das EU-Handelsabkommen mit Japan.[19] Es würde ein Drittel der globalen
Wirtschaftsleistung umfassen. JEFTA wäre das neue TTIP: Wieder wird geheim verhandelt.
Wieder gibt es eine private Paralleljustiz für Konzerne. Wieder wird
das Vorsorgeprinzip, der Grundpfeiler des europäischen
Verbraucherschutzes, untergraben.
Wie geht es jetzt weiter?
G20 zeigt: Es stehen zwei große politische Auseinandersetzungen an.
Das ist einmal JEFTA. Bis darüber endgültig entschieden wird, müssen wir
das bislang im Geheimen verhandelte Abkommen gesamtgesellschaftlich
bekannt machen. So, wie wir es schon zusammen mit unseren Partner/innen
bei TTIP und CETA geschafft haben. Ein erster Erfolg: Schon 310.000 Menschen haben unseren Appell gegen das Abkommen unterzeichnet.
Die zweite dicke Entscheidung ist der Kohleausstieg. Während der
Koalitionsvertrag einer neuen Bundesregierung ausgehandelt wird, findet
Anfang November in Bonn der nächste Weltklimagipfel statt. Für uns eine große Chance, einer neuen Regierung den Ausstieg aus der Kohle abzuringen.
Zum Auftakt des Klimagipfels planen wir zusammen mit unseren
Partner/innen eine Großaktion mit vielen tausenden Menschen. Am gleichen
Wochenende wollen die Aktivist/innen von EndeGelände symbolisch die
Bagger im Rheinischen Kohlerevier anhalten. Wir finden: eine mutige
Aktion des Zivilen Ungehorsams. Denn sie ist vorher öffentlich
angekündigt und gewaltfrei. Sie weist mit einer symbolischen
Regelverletzung auf einen massiven Missstand hin, da andere legale
Protestformen nichts gebracht haben.
JEFTA zu stoppen, den Kohleausstieg durchzusetzen und rund um die
Bundestagswahl für progressive Politik zu streiten – das werden die
Schwerpunkte unserer Arbeit in den nächsten Monaten sein. Wir setzen darauf, Sie dabei an unserer Seite zu haben.
Denn so bitter die Bilder der Gewalt in Hamburg auch waren – wir erinnern uns auch an viele andere Eindrücke. Singende und tanzende Menschen. Eine Binnenalster voller Gummiboote, Kajaks und selbst gebauten Flößen.
Etliche urige Schilder und Protestbanner. Kinder, die Seifenblasen
durch Hamburgs Straßen pusten und alte Freunde, die sich unverhofft auf
einer gemeinsamen Demonstration treffen. Auch das sind starke Bilder –
Bilder, die bleiben.
Mit herzlichen Grüßen
Christoph Bautz und Felix Kolb, Vorstand Campact
PS: Sie würden gerne diesen Text kommentieren? Und erfahren, was andere Campact-Aktive zum G20-Gipfel denken?
Hier können Sie zu diesem Text Ihre Meinung schreiben...
[1] „Randalierer verwüsten Schanzenviertel“, Zeit Online, 8. Juli 2017
[2] „‘Ein abgebranntes Auto ist immer noch Sachbeschädigung’“, Zeit Online, 27. April 2017
[3] „Attac lehnt sinnlose Zerstörung ab“, Attac.de, 8. Juli 2017
[4] „Entsetzen über Krawalle in der Schanze“, NDR.de, 8. Juli 2017
[5] „Hamburger Grüne auf Tauchstation“, taz.de, 11. Julie 2017
[6] „Krawall in Hamburg“, Deutschlandfunk, 6. Juli 2017
[7] „Warum Hamburgs Polizei-Einsatzleiter polarisiert“, Süddeutsche Zeitung, 8. Juli 2017
[8] „Allgemeinverfügung“, Freie und Hansestadt Hamburg, 1. Juni 2017
[9] „Polizei verbietet Übernachtungen in Camp“, Handelsblatt, 2. Juli 2017
[10] „‘Das ist politische Feigheit’“, taz.de, 6. Juli 2017
[11] „Scholz lobt ‘heldenhafte’ Arbeit der Polizei“, NDR.de, 9. Juli 2017
[12] „Grundrechte sind kein abstrakter Kokolores“, Süddeutsche Zeitung, 9. Juli 2017
[13] Website der G20-Protestwelle, www.g20-protestwelle.de [14] „Anti-Randal-Auftakt in Hamburg“, Süddeutsche Zeitung, 2. Juli 2017
[15] „Erdogan stellt Klimavertrag infrage“, tagesschau.de, 8. Juli 2017
[16] „G20 Germany 2017. Erklärung der Staats- und Regierungschefs“
[17] „Three years to safeguard our climate“, nature-Magazin, 28. Juni 2017
[18] „Handelskrieg vertagt“, Spiegel Online, 8. Juli 2017
[19] „Pünktlich zum Gipfel auf JEFTA verständigt“, tagesschau.de, 6. Juli 2017 |
|
|
|
Keine Kommentare :
Kommentar veröffentlichen
Der Kommentar erscheint manchmal erst nach Freigabe