Ein für seine Gewaltbereitschaft berüchtigter Polizist wurde nun von einem seiner Opfer wegen Körperverletzung im Amt angezeigt.
von Andrea Drescher
Manche Rückenschild-Nummern sind bei Demonstrationen in Berlin besonders gefürchtet. Tauchen Einheiten mit den Nummern 31*, 32*, 33* oder 14* auf, liegt Gewalt in der Luft. Diese Truppen sind einer der Gründe, warum viele Menschen Demonstrationen in Berlin inzwischen meiden. Bilder und Videos von gewalttätigen Übergriffen durch Polizisten auf Rentner, Schwangere oder Rollstuhlfahrer wurden im Netz hunderttausend Mal geklickt, haben aber für die Beamten nahezu keine Konsequenzen nach sich gezogen. Dass ein Mensch mit einer schweren Behinderung einem Mitglied dieser Truppe endlich einmal Paroli bietet und durch seine Hartnäckigkeit dafür gesorgt hat, dass gegen diesen Polizisten wegen Körperverletzung im Amt verhandelt wird, zeigt, dass Polizeigewalt nicht zur Regel werden muss und man sich sehr wohl dagegen wehren kann. Der Prozess, der hoffen lässt, dass es doch noch Grenzen für die Berliner Polizei gibt, findet am Donnerstag, dem 9. März 2023 um 10:00 Uhr im Gerichtsgebäude des Amtsgerichtes Tiergarten, Kirchstraße 6, 10557 Berlin, im Raum 1101 statt.
Dass es überhaupt zur Anklage kommen konnte, hat das Video
auf Youtube ansehen Polizeiangriff mit Pfefferspray, Berlin, 21.04.2021
Zwischen Brandenburger Tor und Potsdamer Platz wurde das Opfer Peter K. mit einer Pfefferspraydose vom Polizisten BE 14301 an den Kopf geschlagen und bekam danach eine volle Ladung Pfefferspray ab. Er erlitt daraufhin einen schweren epileptischen Anfall, der zunächst nur unzureichend medizinisch behandelt wurde. Bis heute hat er unter den Folgen dieses Übergriffs zu leiden, was ihn aber nicht davon abgehalten hat, den Verantwortlichen anzuzeigen und alle Hebel in Bewegung zu setzen, dass es fast zwei Jahre später zu einem Prozess kommt.
Der Angeklagte ist kein unbeschriebenes Blatt. Der Künstler Björn Banane hatte mehrfach „Kontakt“ mit ihm, wurde mindestens sechsmal von ihm in Maßnahmen genommen und hatte schon den Eindruck, BE 14301 sei auf ihn angesetzt worden, da er ihm auch außerhalb von Berlin begegnete. In seinem Telegram-Kanal weist Björn bereits im Januar 2022 BE 14301 darauf hin, dass gewalttägige Polizisten zur Rechenschaft gezogen werden. Jetzt ist es soweit — dank Peter K., der mir im Gespräch von seinen Erfahrungen mit den Polizisten und den Gerichten erzählte.
Andrea Drescher: Können Sie sich kurz vorstellen?
Peter K.: Ich bin Peter, 65 Jahre alt, habe zwei Töchter, demnächst 10 Enkel und wohne in Hamburg. Ich bin aufgrund verschiedener Erkrankungen seit 12 Jahren nicht mehr arbeitsfähig und lebe von einer kleinen Rente beziehungsweise Aufstockung durch die Behörden.
Sie haben mehrere Erkrankungen?
Ja. Ich bin zu 90 Prozent (B und G) schwerbehindert. In einem Attest steht, dass ich multimorbid erkrankt bin — mit zahlreichen Diagnosen, die das internistische, orthopädische, HNO-ärztliche, neurologische und psychiatrische Fachgebiet betreffen. Ich bin Epileptiker und wurde schon vor dem Vorfall psychisch betreut. Ich hatte unter anderem zwei Schlaganfälle und leide an schwerer Arthritis. Alles Wichtige ist in meinem Behinderten-Ausweis dokumentiert, den ich selbstverständlich immer bei mir trage.
Sie waren am 21. April 2021 in Berlin Opfer von Polizeigewalt?
Ja. Das ist richtig. Ich hätte dabei umkommen können. Das kann ich bis heute nicht vergessen. Es lässt mich nicht los, ich kann keine Nacht mehr richtig schlafen.
Was ist passiert?
Wir waren im Park, wurden weggedrängt, fast durch die Polizei gejagt. Es war aber eine friedliche Gruppe, mit der ich unterwegs war. Ständig wurden um uns herum Menschen verhaftet, es wurde gekesselt, besonders betroffen waren die Trommler.
An einen Typen erinnere ich mich, der forderte mit Lautsprecher auf, durchzubrechen und die Polizei zu überrennen. Der wurde seltsamerweise nicht verhaftet. Dann wurde es auf einmal eng. Vor uns stand ein Trupp Polizisten und wir konnten nicht weiter. Genau dort stand übrigens auch eine öffentlich/rechtliche Fernsehkamera. Alle gingen zurück, es gab wohl lautes Geschrei, von dem ich aber mangels meiner Hörgeräte nichts mitbekommen habe. Der Polizist kam auf mich zu und griff mich frontal an. Das Bild verfolgt mich bis heute, aber was danach kam, weiß ich nicht. Ich bin erst im Krankenwagen wieder aufgewacht. Was passiert ist, habe ich selbst erst durch das Video von Markus Hoffmann erfahren.
Sie hatten einen epileptischen Anfall, wissen Sie das nicht mehr?
Nein, es wurde mir erst klar, dass ich einen Anfall hatte, als man im Krankenwagen von Zungenbiss sprach. Ein Zungenbiss ist für mich bei der Epilepsie besonders gefährlich, da ich aufgrund meiner Herzprobleme schwere Blutverdünner schlucke. Wenn ich dann bewusstlos liege und das Blut schlucke, kann ich daran sterben. Und die Polizei hat mich zunächst wirklich einfach liegen lassen.
Im Video von Markus Hoffmann sieht man genau, was passiert ist. Ich blieb mehrere Meter vor der plötzlichen Polizeiabsperrung stehen. Als der Polizist mit der Nummer BE 14301 auf mich zukam, nahm ich instinktiv als Zeichen der Kooperationsbereitschaft beide Hände hoch.
Er zielte mit der spitzen Seite des Pfefferspray-Behälters direkt auf meinen Kopf, erwischte mich aber nur an der Schläfe. In dem Bereich sind Narben in meinem Gehirn aufgrund der Schlaganfälle, sodass das den epileptischen Anfall ausgelöst hat. Aber der Schlag hat ihm wohl nicht gereicht, er hat mir dann noch eine volle Ladung Pfefferspray verpasst.
Und dann kam der massive Anfall, ohne dass seitens der Polizei eingegriffen wurde. Ein Arzt, der helfen wollte, wurde zurückgedrängt, obwohl er rief, „der Mann könnte sterben“. Auch andere, die mir zu Hilfe kommen wollten, wurden durch die Polizei bedroht. Es gab keine stabile Seitenlage - nichts, was man in dieser Situation sofort hätte machen müssen. Erst als ein Polizist aus einer Einheit aus NRW mitbekam, wie schlecht es mir ging, und Hilfsmaßnahmen einleitete, kam auch seitens der 14-er Einheit Unterstützung. Niemand hat in meinen Notfallausweis reingeschaut. Wofür trage ich das Ding denn mit? Dann wurde ich auch noch über den Boden gezerrt, sodass ich eine Wunde am Knie bekam, die später im Krankhaus behandelt wurde.
Jeder, der das Video gesehen hat, ist entsetzt, wie seitens der Polizei mit einem völlig hilflosen Menschen in dieser lebensbedrohlichen Situation umgegangen wurde.
Aber davon habe ich nichts mitbekommen. Im Krankenwagen haben mich die Sanitäter mit leichten Ohrfeigen wieder zurückgeholt, mir die Augen ausgespült und mich dann in die Charité gebracht. Erst ab diesem Zeitpunkt erinnere ich mich überhaupt wieder an die Vorfälle.
Wie ging es im Krankenhaus weiter?
Ich kam mit Blaulicht dort an — und zu meinem Entsetzen war dort aber auch ein Polizist, der mich nach der Behandlung in Gewahrsam nehmen sollte. Er blieb neben meinem Bett — eine ständige Drohung, dass ich ins Gefängnis gehen muss, was mir sehr viel Angst machte. Seitens des Krankenhauses wusste man durch die Übergabe des Krankenwagens, dass ich geschlagen worden war und deshalb einen epileptischen Anfall hatte. Die Behandlung war aber bestenfalls oberflächlich. Es gab keine neurologische Untersuchung, nur ein paar Pflaster. Die wollten mich wohl so schnell wie möglich loswerden. Das bestätigt auch der Abschlussbericht in dem steht: „Es soll ein Zungenbiss stattgefunden haben.“ Hätte es eine Untersuchung gegeben, hätten sie das ja selbst feststellen können.
Wurden Sie dann verhaftet?
Nein. Der Polizist, der mich bewachte, erhielt einen Anruf. Ich hörte etwas von „Zeugen“ und auf einmal war das Thema mit der Verhaftung vom Tisch. Er begleitete mich dann noch bis zur Tür — und ich war auf mich allein gestellt. Dass ich nicht wusste, wie ich nach Hause kommen kann, hat keinen interessiert. Ich hatte meine Begleitperson verloren, war ziemlich desorientiert und wusste nicht, wie ich das mit meiner Behinderung allein bewerkstelligen sollte. Aber das war denen egal. Ich habe es dann irgendwie geschafft, mit dem letzten Bus so gegen 22 Uhr nach Hamburg zu fahren.
Wurden Sie später nochmals untersucht?
Ja. Da meine Augen die ganze Nacht gebrannt haben, bin ich ins Bundeswehrkrankenhaus gegangen und habe mich untersuchen lassen. Dort wurde ich gut behandelt, vernünftig untersucht und bekam Augentropfen gegen die Wirkung des Reizgases.
Sie haben dann Anzeige gegen den Polizisten gestellt?
Ja. Am 2. Mai 2021 habe ich bei der Staatsanwaltschaft Hamburg Anzeige wegen schwerer Körperverletzung erstattet. Das war mir möglich, da ich nicht nur verschiedene Zeugen auf meiner Seite hatte, sondern auch auf das Video von Markus Hoffmann aufmerksam gemacht worden war. Ich wollte das so schnell wie möglich hinter mich bringen, auch um mit der Traumatisierung durch diesen Übergriff besser fertig zu werden. Aber Sie sehen ja: Es hat fast zwei Jahre gedauert, bis es zu dem Verfahren kam.
Noch im Februar 2022 wurde dann aufgrund einer Gegenanzeige gegen mich wegen eines angeblichen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte ermittelt.
Das ist nun wirklich absurd, der Täter wird zum Opfer. Das kann doch nicht wahr sein?!
Ist es aber leider. Ich habe über die innere Abteilung in Hamburg erfahren, dass ich angezeigt worden war. Bei einem Termin dort habe ich der Mitarbeiterin das Video von Markus Hoffmann gezeigt. Ihre Reaktion war bezeichnend: „Wir haben hier ein ganz anderes Video von den Kollegen bekommen!“ — und sie holte gleich ihren Chef dazu. Man stellte dann sehr schnell fest, dass das Polizei-Video an den entscheidenden Stellen geschnitten worden war.
Die Hamburger Polizei ist anders als ihre Kollegen in Berlin, sie schätzen dieses Verhalten überhaupt nicht und waren entsetzt über diese Anzeige. Sie haben mich daher gleich beruhigt, dass ich mir keine Gedanken machen muss und mir nichts passieren werde. Als dann das offizielle Ermittlungsverfahren kam, lag zwar auch das Polizei-Video vor, aber nachdem ich dem ermittelnden Beamten mein Video zeigte, wurde dieser sehr freundlich.
Es ist doch völlig lächerlich. Angeblich soll ich den Polizisten festgehalten haben. Meine Finger waren kurz vorher operiert, ich habe künstliche Gelenke. Ich kann nicht mal ein Baby richtig halten, geschweige denn einen ausgebildeten Kampfroboter aus einer Einsatzeinheit.
Das Verfahren gegen mich wurde daher Ende März offiziell eingestellt.
Fälschung von Beweismitteln ist meines Erachtens strafbar. Wurde das verfolgt?
Ob es ein Verfahren gegen denjenigen gab, der durch den verfälschenden Schnitt diese sinnlose Anzeige überhaupt möglich gemacht hat, weiß ich leider nicht. Diese sollte meines Erachtens aber unbedingt passieren, ich habe aber leider noch nichts gehört.
Auch die Kollegen von BE 14301 müssen zur Verantwortung gezogen werden. Sie hätten erkennen müssen, dass BE 14301 gewalttätig war, sie hätten sagen müssen: „So geht das nicht. Der Kollege hat Mist gemacht, da stehen wir nicht dahinter.“ Sie hätten ihn anzeigen müssen. Aber durch ihr Schweigen beziehungsweise vermutliche Falschaussagen sollte alles unter den Teppich gekehrt werden, wenn nicht das Video aufgetaucht wäre.
So wurde wenigstens der Fall der Körperverletzung vorangetrieben. Am 9. März ist ja die Verhandlung.
Ja. Ich habe mehrfach nachgefasst, bis es jetzt endlich soweit ist. Die zwei Jahre Wartezeit haben mir gar nicht gut getan, auch wenn ich durchgängig in therapeutischer Behandlung bin. Meine psychische Situation hat sich so verschlechtert, dass ich auf starke Antidepressiva angewiesen bin.
Mein Bruder bringt mich mit dem Auto am 8. März nach Berlin. Die Hotelkosten werden übernommen, da ich als Nebenkläger und Zeuge auftrete und nicht mehr allein reisen kann. Die Bundespolizei am Berliner Bahnhof löst bei mir Panikattacken aus, ich kann also nicht mehr mit der Bahn oder Bussen fahren.
Werden Sie im Verfahren anwaltlich vertreten?
Bis zum 1. März 2023 sah es so aus, dass ich ohne Anwalt im Gerichtssaal stehe, da ich mir bei meiner kleinen Rente keinen Anwalt leisten kann. Aber dank der Kontakte von Markus Hoffmann unterstützt mich jetzt ein Berliner Strafrechtsexperte.
Was erwarten Sie sich von der Verhandlung?
Weder Markus Hoffman noch meine Begleitperson sind als Zeugen geladen, das verunsichert mich. Ich wünsche mir natürlich, dass der Polizist verurteilt wird und ich das alles hinter mir habe. Aber das Wichtigste ist, dass die Öffentlichkeit wachgerüttelt wird, dass die Menschen erfahren, was da wirklich passiert. Es sind schon seltsame Zufälle, dass die Medien genau dort auftauchen, wo es zufällig aggressiv wird und derjenige, der mit Lautsprecher die Menschen aufgeheizt hat, nicht verhaftet wird. Auch die Presse hat ja berichtet, die „bösen Querdenker“ hätten die Polizei angegriffen, und die Leser glauben dann, die Querdenker machen nur Randale. Dabei war es bei uns genau umgekehrt. Und das muss der Bevölkerung klar gemacht werden.
Warum tun Sie sich das an? Sie sind schwer behindert, seit dem Übergriff noch stärker belastet und kämpfen einen sehr mühsamen Kampf für Gerechtigkeit. Was treibt Sie an?
Indem „die“ ihre Macht demonstrieren, wollen sie erreichen, dass wir aufgeben. Das funktioniert nicht, wir geben nicht auf. Als ich jung und noch gesund war, war ich ein guter Sportler, ein Einzelkämpfer, der gelernt hat, nicht aufzugeben. Man kann und darf nicht wegschauen. „Die“ dürfen nicht mit ihren Gemeinheiten durchkommen, sonst hört das nie auf.
Es ist ein Unding, dass dieser Polizist immer weitere Einsätze durchführen darf, obwohl ich seine Vorgesetzten und den Innensenator schriftlich auf sein Fehlverhalten aufmerksam gemacht habe. Meines Wissens hat er am 1. August 2021 erneut einen Demonstranten verletzt, einen Mann mit der Faust auf den Kopf geschlagen. Er muss für sein Verhalten zur Verantwortung gezogen werden.
Und nicht nur er. Alle Verantwortlichen bis zum damaligen Innensenator müssen sich für die Übergriffe gegen friedliche Demonstranten rechtfertigen und die Konsequenzen tragen. Sie dürfen sich nicht aus der Verantwortung stehlen. Nur so können wir sicherstellen, dass das in Zukunft nicht mehr passiert. Ich habe den vollen Rückhalt meiner Familie, wenn man soweit ist wie ich, muss man das durchziehen.
Danke für Ihren Mut und viel Erfolg am 9. März 2023!
Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Dann unterstützen Sie Rubikons Arbeit mit einer Spende.
Jetzt spenden oder klicken Sie hier oder senden Sie einfach eine SMS mit dem Stichwort Rubikon5 oder Rubikon10 an die 81190 und mit Ihrer nächsten Handyrechnung werden Ihnen 5 oder 10 Euro in Rechnung gestellt, die abzüglich einer Gebühr von 17 Cent unmittelbar unserer Arbeit zugutekommen. |
Andrea Drescher, Jahrgang 1961, lebt seit Jahren in Oberösterreich. Sie ist Unternehmensberaterin, Informatikerin, Selbstversorgerin, Friedensaktivistin, Schreiberling und Übersetzerin für alternative Medienprojekte sowie seit ihrer Jugend überzeugte Antifaschistin. Zuletzt erschien von ihr „Menschen mit Mut“. |
Dieses Werk ist unter einer Creative Commons-Lizenz (Namensnennung - Nicht kommerziell - Keine Bearbeitungen 4.0 International) lizenziert. Unter Einhaltung der Lizenzbedingungen dürfen Sie es verbreiten und vervielfältigen. |
Der Artikel ist erschienen bei :Rubikon-News
Keine Kommentare :
Kommentar veröffentlichen
Der Kommentar erscheint manchmal erst nach Freigabe