Der folgende Beitrag wurde bereits am 03.08.2019 von Wolfgang Clement, dem ehemaligen Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit, in Welt veröffentlicht.
Ich stelle ihn hier ein, weil in letzter Zeit nur der Einmarsch der Russischen Armee in der Ukraine, und natürlich Putin, einfach für alles verantwortlich gemacht wird. Dass Deutschland bereits 2020 die weltweit höchsten Energiepreise hatte, wird einfach nicht mehr erwähnt und die meisten Bürger haben das, gemäß Regierungsbestreben, gehorsamst vergessen. Schließlich darf die jahrelange Manipulation durch die Mainstreammedien doch nicht ganz erfolglos sein.
Vielleicht erinnert sich der Ein oder Andere doch noch an die Zeit vor Corona, als vereinzelt noch kritische Berichte veröffentlicht werden durften und noch nicht nahezu alle Medien nur noch Regierungspropaganda verbreitet haben.
Es war die Zeit, bevor ein Trio aus einem Bankkaufmann, einem Tierarzt und einem Virologen die Regierungsgeschäfte übernahmen und mit dazu beitrugen, dass die Aktionäre der Pharmaindustrie vor Lachen nicht mehr zum Schlafen kamen.
Es war die Zeit, bevor sich die Gierigsten der vom Volk gewählten im eigenen Land, oder auch die Nichtgewählten in Brüssel, ihre eigenen Taschen so richtig großzügig, auf Kosten der Allgemeinheit füllten.
Hier beginnt der Artikel:
Energiewende im Alleingang hat Deutschland ins Hintertreffen gebracht
Die Energiewende im Alleingang gefährdet Deutschlands Versorgungssicherheit und die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie. Eine Flucht aus der Falle gelingt nur über eine europäische Klimapolitik. Für einige Zeit müssen wir offen sein für Kernenergie. Ist es nicht verrückt? Schon im Juni dieses Jahres haben die Netzbetreiber die Sicherheit der Stromversorgung in Deutschland nach eigenen Angaben „nur mit Unterstützung der europäischen Partner“ gewährleisten können. Was das heißt? Wir haben in dieser Zeit Atomstrom aus Frankreich oder der Tschechischen Republik oder Kohlestrom aus Polen bezogen. Und nun, da wir die selbstgesetzten und auch die von der EU vorgeschriebenen Klimaziele für das Jahr 2020 gerissen haben, wollen wir bis zum Jahr 2022 auch noch aus unseren letzten, europaweit als besonders sicher geltenden Atomkraftwerken und zudem auch noch aus ein paar mehr Kohlemeilern aussteigen. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird die Stromversorgungslage bis dahin aber nicht besser werden. Die zwingend notwendige Infrastruktur für den Transport von Windstrom aus dem Norden steht bis dahin noch lange nicht, sie wird für die Versorgung des deutschen Südens nicht vor 2025, eher noch später zur Verfügung stehen. Wir werden folglich, wenn sich daran nichts ändert, noch mehr Atom- und/oder Kohlestrom „der europäischen Partner“ einführen müssen! Das ist die Logik, wenn wir der gegenwärtigen Entwicklung ihren Lauf lassen. Sind wir wirklich so reich? Und so verrückt? Vom tschechischen Energieminister las ich kürzlich, sein Land werde weiterhin Atomstrom produzieren, denn aus Kohle- und Atomenergie gleichzeitig auszusteigen, das könne sich sein Land nicht leisten, das könne nur das reiche Deutschland. Sind wir wirklich so reich? Und so verrückt? Die rot-grüne Bundesregierung Schröder/Fischer hat im Jahr 2000 auf Vorschlag meines energiepolitisch äußerst versierten Vorgängers im Amt des Bundeswirtschaftsministers, des leider viel zu früh verstorbenen Werner Müller, erstmals einen Ausstieg aus der Kernenergie auf den Weg gebracht, der freilich recht kompliziert „gestrickt“ war. Er hätte sich für einzelne Kraftwerke über die 20er-Jahre hinweg erstrecken können, das letzte AKW wäre vermutlich 2032 abgeschaltet worden. Müller hat damals, als ich das Amt von ihm übernahm, immer wieder geradezu beschwörend deutlich zu machen versucht, dass wir uns mit dem Ziel einer CO2-Reduzierung um 40 Prozent bis zum Jahr 2020 industriepolitisch überheben würden. Das schwarz-gelbe Kabinett Merkel II (2009-2013) hat nicht nur diese Warnung in den Wind geschlagen, es hat zudem im Jahr 2011 – mit Unterstützung von SPD und Grünen – auch noch den endgültigen Ausstieg aus der einzigen nahezu CO2-freien konventionellen Energiequelle, und das ist die Kernenergie, um zehn Jahre vorgezogen. Das erweist sich heute als der schwerste Fehler der an Fehlsteuerungen wahrhaftig reichen deutschen Energiewende. Aus Gründen des Klimaschutzes und aus ökonomischer Sicht würde ein früherer Kohleausstieg Hand in Hand mit einer längeren Atomnutzung sehr viel mehr Sinn ergeben. Kernenergie spielt eine wesentliche Rolle Unsere deutsche Klimadebatte verläuft wie isoliert von den europäischen und erst recht von den internationalen Diskussionen und Entwicklungen. Denn da wird längst realisiert, dass eine wirksame, das 1,5-Grad-Ziel ernsthaft anvisierende Klimapolitik auf alle treibhausgasarmen Energieerzeugungsarten angewiesen ist. Die Kernenergie, in etwa so CO2-emissionsarm wie die Windenergie, gehört unzweifelhaft dazu. Ihr Anteil an der weltweiten Stromerzeugung liegt heute bei rund zehn Prozent. Sie spielt deshalb in den meisten Szenarien des Weltklimarates eine wesentliche, eher noch zunehmende Rolle. Ja, auch fossile Brennstoffe sind – allerdings unter der (hierzulande ebenfalls noch tabuisierten) Annahme der CO2-Verpressung per CCS-Technologie – in vielen Szenarien präsent. Wir mögen hierzulande noch eine Weile die Augen vor solchen Entwicklungen verschließen. Aber auch wir werden uns ihnen nicht entziehen können. Wollen wir bis dahin noch mehr Energie von unseren europäischen Partnern beziehen? Noch mehr Subventionen in die weltweit teuerste Energiewende investieren? Schauen wir uns um in Europa. Frankreich als eines der an nuklearer Power reichsten Länder Europas investiert weiterhin in die Kernenergie. Schweden als das in der Energiewende erfolgreichste Land Europas hat schon 2016 den Ausstieg aus dem Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen. Und unsere Nachbarn in der Schweiz, die sich durch eine spezifische, durch Volksentscheide fundierte Besonnenheit im Umgang mit komplexen Themen auszeichnen, wollen ihren Atomausstieg erst im Jahr 2034 finalisieren – ihr heutiger Kernenergieanteil liegt noch bei knapp 40 Prozent – und bis dahin die laufende Endlagersuche erfolgreich abgeschlossen haben. Es könnte einiges dafür sprechen, an diesem Beispiel Maß zu nehmen. Das hieße: Es bleibt beim Atomausstieg in Deutschland. Aber sein Enddatum wird – wie von der rot-grünen Bundesregierung Schröder/Fischer angesteuert– um zehn Jahre hinausgeschoben und auf das Jahr 2032 verlegt. Momentan bewegen wir uns mit der von Bundestag und Bundesrat nach vielen, ebenfalls sehr teuren Irrungen und Wirrungen auf den Weg gebrachten Endlagersuche um ein paar Zeiteinheiten hinter der Schweiz. Doch es sollte möglich sein, zur Eidgenossenschaft aufzuschließen und den Atomausstieg und die Endlagersuche wenigstens in etwa zeitgleich zu finalisieren. Die deutsche Politik steht vor einer Bewährungsprobe An dieser Erkenntnis führt jedenfalls kein Weg vorbei: Die im Alleingang durchexerzierte Energiewende hat unser Land in Europa aus klimapolitischer Sicht ins Hintertreffen gebracht – und im internationalen Kosten-Nutzen-Vergleich des World Economic Forum auf Rang 95 zurückgeworfen. Sie riskiert unsere Versorgungssicherheit und die Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrie. Der Ausweg aus dieser Falle geht nur über eine europäische Energie- und Klimapolitik, wie sie die EU-Kommission immer wieder anzuschieben versucht. Deutschland gehört an die Spitze dieser Bewegung. Sie muss prinzipiell offen sein für alle CO2-armen Technologien, jedenfalls für überschaubare Zeit auch für die Kernenergie. Sie muss zudem alle natürlichen Speichermöglichkeiten nach Kräften voran treiben – eine nationale, europäische und soweit wie möglich globale Aufforstungskampagne ist dringend. Und sie muss natürlich auch technologische Speicher nutzen. Dann ist mit einem möglichst europaweiten, irgendwann auch hoffentlich weltweiten Emissionshandel über alle Wirtschaftssektoren ein Ende des Kohlenstoffzeitalters tatsächlich zu schaffen. Die Erderwärmung gilt uns heute als „Jahrhundertfrage“. Der ist, wie die Kanzlerin kürzlich formulierte, wahrhaftig mit „Pillepalle“ nicht beizukommen. Die Politik muss auf einem Feld wie diesem die Meinungsführerschaft zurückgewinnen. Das verlangt weit mehr als einen Kompromiss zur Lebensverlängerung der gegenwärtigen Koalition. Ist die Anregung, die demokratischen Parteien könnten in dieser überragend wichtigen Thematik wenigstens versuchen, gemeinsam zu handeln, wirklich überhöht? Den Versuch wär’s wohl wert. Denn gefragt ist die Kraft, Fehlentwicklungen zu korrigieren. Und verlangt werden muss viel Mut, um auszusprechen, was ist und was nach dem heute mit bestem wissenschaftlichem Sachverstand Erarbeiteten und als unabweisbar notwendig Erkannten zu tun ist. Die deutsche Politik steht unmittelbar vor einer Bewährungsprobe, deren Wirkung weit über die gegenwärtige Legislatur hinausreicht. |
Wolfgang Clement war von 2002 bis 2005 Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit.
Quelle: WELT.de
https://www.welt.de/wirtschaft/article197849673/Wolfgang-Clement-zum-Atomausstieg-Sind-wir-wirklich-so-reich-Und-so-verrueckt.html
Veröffentlicht am 03.08.2019
Von Wolfgang Clement
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