28 03. 2012
Zu den aktuellen Entwicklungen im Europaparlament rund um
ACTA – ein Kommentar von Rick Falkvinge,
Gründer der ersten Piratenpartei:
Nach einer hitzigen Debatte in Brüssel hat das zuständige
Komitee des Europaparlaments heute entschieden, ACTA nicht an den Europäischen
Gerichtshof zu verweisen sondern weiterzumachen und die endgültige Entscheidung
gleich zu fällen. Das bedeutet, dass die Entscheidungsschlacht über ACTA ab
sofort stattfindet und vor dem Sommer abgeschlossen sein wird.
Nach den großen Protesten in ganz Europa in letzter Zeit, die
die Politiker überrascht hatten, hat die Europäische Kommission versucht, die
Initiative zurückzugewinnen indem sie versprach, ACTA durch den Europäischen
Gerichtshof überprüfen zu lassen. Im Rahmen der Überprüfung wollte die
Kommission das Gericht feststellen lassen, ob dieses repressive Gesetzespaket
kompatibel mit den Menschenrechten und den bestehenden Europäischen Verträgen
ist. Da dies zu einer Verzögerung von mindestens einem Jahr geführt hätte,
beruhigten sich die Aktivisten wieder: durch diesen Schritt wäre die endgültige
Entscheidung noch mindestens zwei Jahre entfernt gewesen.
Dies scheint auch das Kalkül der Europäischen Kommission
gewesen zu sein – den Protesten die Energie zu entziehen indem man die
Nachricht verbreitet, dass die endgültige Entscheidung um etwa zwei Jahre
vertagt worden sei. Das Europaparlament hätte dann auch genug Gelegenheit
gehabt, den Europäischen Gerichtshof zu ACTA zu befragen um damit
sicherzustellen, dass das Gericht auch die richtigen und relevanten Aspekte
beleuchtet.
Aber plötzlich – mit der Entscheidung des Komitees, die
Entscheidung des Parlaments möglichst bald herbeizuführen statt dem Vorschlag
der Kommission zu folgen – befindet sich ACTA wieder auf dem direkten Weg zu
einer Entscheidung durch das Europaparlament unabhängig davon, ob die
Kommission es noch durch den Europäischen Gerichtshof prüfen lässt. Es soll an
dieser Stelle jedoch auch darauf hingewiesen werden, dass die Kommission bisher
noch keine formelle Entscheidung gefällt hat, den Gesetzentwurf durch das
Gericht überprüfen zu lassen – die Aussage, dies tun zu wollen kann also
durchaus nur ein Ablenkungsmanöver gewesen sein.
WER IST WER IN DER EUROPÄISCHEN BÜROKRATIE?
Eine kurze Beschreibung mehrerer Institutionen mit ähnlichen
Namen: die Europäische Kommission ist in etwa analog zur Exekutive in Europa,
das Europäische Parlament in etwas äquivalent zur Legislative und der
Europäische Gerichtshof das höchste Gericht in der Union. Hinzu kommen einige
Kuriositäten wie die Tatsache dass das Europaparlament keine eigenen Gesetze
entwerfen kann sondern nur entsprechende Entwürfe verabschieden oder verwerfen
kann und anderes mehr.
Unabhängig davon wird ACTA nun zügig in den
unterschiedlichen Komitees des Europaparlaments bearbeitet, beginnend mit INTA
(dem Komitee für Internationalen Handel, das zuständig ist für ACTA und das
heute entschieden hat, ACTA nicht an das Gericht zu verweisen), dann durch
weitere zwei oder drei Komitees im April und Mai um dann irgendwann im Juni dem
ganzen Parlament zur Abstimmung vorgelegt zu werden – möglicherweise aber nicht
notwendigerweise im Zeitraum zwischen dem 11 und 14 Juni.
Wir haben also insgesamt zehn Wochen.
Falls ACTA vom Europaparlament abgelehnt wird, ist der
Vertrag endgültig tot und die Monopol-Lobbyisten führen ab sofort einen
deutlich schwierigeren Kampf. Geht ACTA hingegen durch, erhalten die selben
Monopolisten massig neue Befugnisse. Die Gelegenheit für den Gesetzgeber, eine
dringend nötige Reform des Urheber- und Patentmonopolrechts durchzuführen, wäre
damit auf absehbare Zeit vertan.
Unabhängig davon ist es jetzt da das Parlament wieder aktiv
wird durchaus denkbar, dass die Europäische Kommission zugibt, dass alles nur
ein Bluff war und dass sie ACTA gar nicht an den Gerichtshof verweisen wird,
dass das alles nur ein Schachzug war, um den Aktiviten die Energie zu nehmen.
Sollte die Kommission sich hingegen entscheiden, ACTA doch an den Europäischen
Gerichtshof zu verweisen, könnte dies zu einer etwas ungewöhnlichen Situation
führen falls das Parlament dem Gesetzentwurf zustimmt und das Gericht später
feststellt, dass nicht mit den europäischen Verträgen vereinbar ist – dann
hätte das Parlament einem illegalen Gesetzentwurf zugestimmt. Daher ist es
jetzt absolut sicher, gegen ACTA zu stimmen.
Dies ist der Kampf, den wir gewinnen müssen. An dieser
Stelle müssen wir den Druck auf das Europaparlament erhöhen, der Ort an dem die
Schlacht um die nächste Generation an Bürgerrechten im Verlauf der kommenden
zehn Wochen in Form von vielen kleineren aber wichtigen Kämpfen stattfinden
wird bis es dann am Ende zur Entscheidungsschlacht kommt: der Abstimmung im
Plenum des Europaparlaments.
Dies ist sie, die Entscheidungsschlacht. Dies ist der
Kampf, den wir gewinnen müssen. Die Abstimmung im Europaparlament ist der
entscheidende Moment nicht nur für ACTA sondern für viele wichtige Trends in
den kommenden Jahrzehnten.
Die Entscheidungsschlacht um ACTA beginnt jetzt und wenn wir
Aktivisten dazu nicht antreten, werden wir verlieren. Wir hatten einen guten
Start im Februar, der Beben nach Brüssel gesendet hat. Jetzt müssen wir unsere
Nachricht laut genug wiederholen um Gehöhr zu finden – auf alle Arten, die wir
finden können – für die kommenden zweieinhalb Monate.
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