Thema: TTIP
vorab erschienen im Stern Nr. 11 vom 5.3.2015 auf Seite 60
Die Freihandelslüge
Warum TTIP uns allen schadet
Beim geplanten Freihandelsabkommen zwischen Europa und den USA wird bislang um die unwichtigen Fragen gestritten, sagt Foodwatch-Chef Thilo Bode.
Auf dem Spiel stehe der Schutz der Verbraucher und sogar die Demokratie.
Wenn es um TTIP geht ist viel vom „Chlorhühnchen“ die Rede. Oder von der Frage, ob wegen des geplanten transatlantischen Freihandelsabkommens bald Nürnberger Rostbratwürstchen aus Kentucky auf Grills in Europa landen könnten. Darum aber geht es nur ganz am Rande.
Mit TTIP, so wie es jetzt geplant ist und derzeit verhandelt wird, wollen globale Konzerne ein Regelwerk etablieren, das fast ausschließlich ihren Interessen dient, das zulasten der großen Mehrheit geht zu lasten von Verbrauchern, Arbeitnehmern und vielen kleinen und mittleren Unternehmen, zulasten der Umwelt, der Souveränität der Länder, der Demokratie.
Das Freihandels- und Investitions- schutzabkommen TTIP zwischen den USA und der Europäischen Union muss gestoppt, ein neues Verhandlungsmandat muss aufgesetzt werden. Wer das fordert ist weder grundsätzlich gegen Freihandel, noch leiten ihn Antiamerikanismus oder antieuropäische Absichten. TTIP wäre ein weiterer verhängnisvoller Schritt in Richtung jener „marktkonformen Demokratie“ in der sich alles den Freiheits- und Gestaltungsansprüchen globaler Konzerne unterordnen soll.
Wir brauchen aber das Gegenteil: Wir brauchen starke Zivilgesellschaften und starke Parlamente, die auf der Grundlage eines fairen Interessenausgleichs transparent debattieren und dann entscheiden, nachwelchen Regeln internationaler Handel funktionieren soll.
Wer die Debatte um TTIP verfolgt, dem fällt auf, dass die Befürworter des Freihandelsabkommens nie davon sprechen, dass Standards mithilfe von TTIP verbessert werden könnten. Politiker und Wirtschaftsvertreter lassen sich stets nur mit der Aussage zitieren, bestehende Verbraucher-,Umwelt- und Sozialstandards seien durch TTIP nicht gefährdet. Das ist entlarvend und empörend, denn ganz offenkundig wollen sie sich damit begnügen, den Status quo zu erhalten. Wenn aber der Status quo angeblich schon ausreicht, dann brauchen wir keine gewählten Parlamentarier mehr, dann genügen Behörden, die den Status quo nur noch verwalten.
Wir wollen aber keine „eingefrorene“ Demokatie, keine degradierten, entmachteten Parlamente, nicht in Europa und nicht in den Vereinigten Staaten. Autos würden heute womöglich mehr CO², und Feinstaub ausstoßen, wenn die Hersteller nicht durch Gesetze gezwungen worden wären, die Emissionen immer weiter zu reduzieren. Diese Entwicklung muss weitergehen, auch neue wissenschaftliche Erkenntnisse über die Gefahren durch Chemikalien müssen in neuen Regeln fortgeschrieben werden.
Die Lebensmittelgesetze in Deutschland, in Europa und in den USA sind alles andere als gut, viele Informationsregeln für Behörden und Unternehmen sind geradezu vordemokatisch. Verbraucher werden systematisch getäuscht, wider das Transparenzgebot werden ihnen Informationen für eine selbstbestimmte Entscheidung vorenthalten, etwa bei gentechnisch veränderten Lebensmitteln. In der Landwirtschaft, vor allem in der Tierhaltung, sind manche Regeln katastrophal schlecht.
Tierrechte stehen lediglich auf dem Papier. Anstatt die Haltungsbedingungen den Tieren anzupassen, werden die Tiere dem System angepasst die Praxis ist oftmals reine Tierquälerei.
Die europäische Agrarpolitik doktert seit Jahrzehnten an Symptomen herum und forciert zugleich weiterhin einen Wettbewerb, der möglichst billige exporttaugliche Lebensmittel hervorbringen soll, aber auf Kosten der Boden- und Wasserqualität ausgetragen wird. Für die Reparatur der Schäden muss am Ende - siehe Finanzkise - wieder die Allgemeinheit geradestehen.
TTIB so wie es sich jetzt darstellt ist darauf angelegt durch eine „Annäherung der Gesetzgebung“ in Europa und den USA jeden neuen regulatorischen Eingriff abzuwägen, zu verwässern, möglichst lange zu verzögern. Dringend erforderliche neue Gesetze und Regelungen werden dann nur noch Gültigkeit erlangen, wenn sie TTIP- konform sind, wenn sie die Handelsinterressen europäischer und US-amerikanischer Konzerne nicht einengen. Um die Interessen der global agierenden Unternehmen durchzusetzen, bekommen diese zusätzliche rechtliche Möglichkeiten in die Hand. Mit der institutionalisierten Zusammenarbeit der Regulierungsbehörden beiderseits des Atlantiks in einem Regulierungsrat wird ein großes Einfallstor für die Konzernlobby geschaffen - und die Rechtssetzung von Anfang an entsprechend beeinflusst. Mit privaten Schiedsgerichten zum Schutz von Investoren bestehen abschreckende Klagemöglichkeiten von Konzernen gegen Staaten, wenn diese gesetzliche Maßnahmen im Sinne des Allgemeinwohls planen.
Kurz gesagt: Mit TTIP würden sich Europäer und Amerikaner die Verrechtlichung von Konzern- Interessen einhandeln sowie eine weitere Ökonomisierung gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse. Die ohnehin fragile demokratische Legitimation der Europäischen Union würde weiter geschwächt. Europa würde sich durch die völkerrechtliche Bindung eines umfassenden Freihandelsabkommens an die USA als „Gestalter der Globalisierung“ selbst abschaffen.
In ihren Aussagen pro TTIP bedienen sich die Befürworter einer Täuschung: Sie erzählen die „gute Story“ von der Angleichung technischer Vorschriften hüben wie drüben, mal werden unterschiedliche Farben bei Autorückblinkern bemüht, mal unnötige doppelte Zertifizierungen für diverse Geräte. Gegen die Vereinheitlichung technischer Standards kann vernünftigerweise kein Mensch argumentieren, solange dadurch nicht geringere Sicherheit oder schlechtere Qualität erkauft wird; wenn die Unternehmen auf diese Weise Kosten sparen, die sie in niedrigeren Preisen an die Verbraucher weitergeben, umso besser.
Für eine solche Angleichung technischer Standards bedarf es aber keines völkerrechtlichen Vertrags, der im Streitfall europäisches und US-amerikanisches Recht aushebeln kann; dafür genügen normale Abkommen zwischen Interessen- und Branchenverbänden, moderiert von Ministerien und Fachbehörden wie sie schon in der Vergangenheit abgeschlossen wurden. Diese „gute Story“ wird zur schlechten, ja zur falschen Story wenn sie technische Standards in einen Topf rührt mit gesellschaftlichen Meinungsbildungs- und Entscheidungsfindungsprozessen, kurzum : demokratischen Standards.
Keine Frage: Umweltschutzgesetze, Arbeitnehmer-, Verbraucher- oder Tierschutzrechte kosten auch, aber ihre Dimension reicht weit darüber hinaus. Das Diktat der Kostenrechner darf nicht nahtlos von den Vorstandsbüros an die Parlamente durchgereicht werden.
Die Politik muss auch in Zukunft die Freiheit haben, Entscheidungen zu treffen, die etwas kosten weil wir es uns leisten müssen oder wollen. Auch Öttl-Befürworter in der Politik und in der Wirtschaft müssen die Europäische Union beim Wort nehmen, sprich bei den Zahlen: Die im Auftrag der EU-Kommission errechneten Zuwächse bei Wachstum und Jobs basieren auf Gutachten, die wissenschaftliche Husarenstücke sind, ihre Prognosen sind im besten Fall höchst bescheiden, Arbeitsplatzverluste sogar wahrscheinlich.
Es braucht also ein neues TTIP-Mandat, eines, das auf Transparenz, auf Ehrlichkeit und Ausgleich gesellschaftlicher Interessen gründet, ein Mandat mit parlamentarischer Rückbindung, die dafür garantiert, dass die Gestaltung gesellschaftspolitischer Standards auch in Zukunft demokratisch entschieden wird.
Zwei Fragen bleiben für mich auch nach intensiver Beschäftigung mit dem Thema unbeantwort.
Warum lassen sich unsere Volksvertreter durch ein Freihandelsabkommen in ihren demokratischen Rechten so sehr einschränken ja entmachten?
Und warum unterstützen so viele Politiker mit einem befremdlichen Sendungsbewusstsein und Enthusiasmus ein Projekt, das so viele substanzielle Risiken und Unwägbarkeiten mit sich bringt, aber so wenig belegbare Vorteile?
Bürger, die genauso ratlos sind wie ich, möchte ich bitten und ermutigen: Fragen Sie Ihre Abgeordneten im Bundestag und im Europaparlament Wie haltet ihr es mit TTIP?
Mittwoch, 11. März 2015
Thilo Bode: Die Freihandelslüge - Warum TTIP uns allen schadet
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