Freitag, 3. Juni 2022

Rubikon - Albtraum „Künstliche Intelligenz“ - Teil 2

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Albtraum „Künstliche Intelligenz“
KI-gestützte Systeme werden als Lösung aller gesellschaftlichen Probleme angepriesen, doch sie dürften uns unfreier machen denn je. Teil 2/2.
von Simone Hörrlein

Manche Menschen sind der Meinung, Künstliche Intelligenz (KI) werde unser aller Leben verbessern. Selbstfahrende Autos würden schon bald die Sicherheit im Straßenverkehr erhöhen, Logistik würde sicherer, schneller und verlässlicher, und auch der Traum von intelligenten Städten könne Realität werden. Andere dagegen sind fest davon überzeugt, dass KI sämtliche Arbeitsplätze Schritt für Schritt wegrationalisieren und uns alle zu Bittstellern eines wie auch immer gearteten Grundeinkommens machen wird. Wieder andere glauben, KI sei Zukunftsmusik, eine Technologie, die noch lange nicht marktreif sei und sie deshalb nicht beträfe. Während die ersten beiden Gruppen zumindest im Ansatz recht haben, liegt die dritte leider voll daneben. Die KI, die für die meisten Menschen eine Blackbox ist und dies auch für immer bleiben wird, ist nicht nur längst unter uns, sie wird auch immer übergriffiger und ist deshalb brandgefährlich: für unsere Freiheitsrechte, unsere Privatsphäre, unsere körperliche Integrität und letztlich sogar für unser physisches Leben.

Überwachungstechnologie so weit das Auge reicht

Trotz aller Bedenken bezüglich der immer invasiver werdenden
Überwachungstechnologien wächst der Markt für die Identifizierung von Menschen mithilfe von KI. Schon heute zeichnen die neuen Fahrzeuge das individuelle Fahrprofil ihres Besitzers auf, ohne dass dieser etwas davon bemerkt: Beschleunigung, Bremsen, Geschwindigkeit, Reaktion auf Hindernisse, all das lässt eindeutige Rückschlüsse auf den Fahrer zu. Offiziell heißt es zwar, diese Daten würden lediglich erhoben, um mögliche Unfälle rekonstruieren zu können beziehungsweise die Leistung des Fahrzeuges zu optimieren, doch das dürfte nur die halbe Wahrheit sein.

Die Ergebnisse eines Projektes, das Menschen allein an ihrem Herzschlag erkennen will, wurden jüngst auf der Website der Universität Carlos III in Madrid veröffentlicht. Gemeinsam mit der Shahid Rajaee Teacher Training University im Iran haben die spanischen Forscher eine Software entwickelt, die zur Identifizierung die individuellen Merkmale des Herzschlags nutzt, die einem einfachen Elektrokardiogramm (EKG) entnommen werden können.

Aus diesen Merkmalen analysiert der Algorithmus Dynamik, Rhythmus, Klangfarbe, Tonhöhe und Tonalität — also Faktoren, die üblicherweise zur Charakterisierung von Audiodateien verwendet werden. Die Kombination dieser Parameter sollen für jede Person einzigartig sein und eine Genauigkeit von 96,6 Prozent besitzen. Dieses relativ einfache Konzept wäre bereits heute umsetzbar: Hätte jeder die neueste Apple Watch, die bereits ein einfaches EKG aufzeichnen kann, am Handgelenk, müsste in die Uhr lediglich der Identifizierungsalgorithmus integriert werden.

Doch bei Wearables wie Fitnesstrackern und Uhren wird es wohl nicht bleiben, sie dürften lediglich eine Übergangstechnologie sein und in absehbarer Zeit obsolet werden. Wohin die Reise geht, zeigt die in Austin, Texas, ansässige Firma Chaotic Moon Studios. Die Firma, die 2015 von Accenture übernommen wurde, einer weltweit tätigen Managementberatung mit mehr als 336.000 Mitarbeitern, will mit ihren Tech Tats — elektronische Tätowierungen — schon eine geräteunabhängige Alternative zur totalen Überwachung entwickelt haben.

Ein besonders interessanteres Tattoo, das hervorragend in die geplante Gesundheitsdiktatur passen würde, basiert auf einer Technik, die Informationen aus dem menschlichen Körper analysieren und sammeln kann. Das Spezial-Tattoo lässt sich mithilfe leitfähiger Tinte sogar in die Haut einbetten. Die leitfähige Farbe ermöglicht die Schaffung eines Schaltkreises, der Gesundheits- und andere biometrische Daten aus dem Körper und der Umgebung aufnimmt.

Der in 2015 vorgestellte Prototyp kann, wie FitBit, Jawbone oder die Apple Watch, Daten über die Gesundheit und die Umgebung des Trägers sammeln, in die Cloud laden und an jedes Gerät oder jede Einrichtung senden. Wen wundert es, dass bei dieser Art von Technologie auch Bill Gates nicht weit ist. Gates glaubt, die Technologie von Chaotic Moon Studios könnte in absehbarer Zukunft Smartphones ersetzen.
 

Digitaler Albtraum — der digitale Zwilling

Ich muss gestehen, auch ich war ein Fan solcher Applikationen, doch das hat sich geändert, seit ich realisiert habe, dass KI-Anwendungen keine Grenzen kennen, dass sie übergriffig werden, und dass sie mit großer Wahrscheinlichkeit nicht für, sondern gegen uns eingesetzt werden. Wenn es nur um unser aller Wohlergehen ginge, weshalb diskutieren wir dann nicht offen darüber? Weshalb gibt es über diese Dinge, die derart in unser Privatleben eingreifen wollen, keine gesellschaftliche Debatte? Und aus welchen Gründen blenden wir die Nachteile und Gefahren dieser Technologien vollständig aus? KI ist ähnlich einem Krebsgeschwür, es fängt klein an und weitet sich zu einem riesigen Problem aus, einem digitalen Albtraum, wie beispielsweise den digitalen Zwilling.

Was in der Industrie schon länger Standard ist — und dort bis zu einem gewissen Grade wohl auch seine Berechtigung hat —, soll nun auch in der Medizin vorangetrieben werden: ein mithilfe von KI und Big Data geschaffenes Abbild eines jeden Menschen.

Offiziell geht es — wie bei allen Innovationen im Bereich von Industrie 4.0 — ausschließlich um Verbesserungen und Kosteneinsparungen. Doch das ist leider nur eine Seite der Medaille. Denn um ein digitales Abbild eines menschlichen Körpers zu erschaffen, müssen sämtliche Daten des menschlichen Körpers frei zugänglich sein.

Sollte sich diese Übergriffigkeit durchsetzen, können wir uns von Datenschutz und Privatsphäre ein für alle Mal verabschieden. Und die Chancen, dass sie sich durchsetzen wird, stehen ziemlich gut. Dass die proklamierten Vorteile bezüglich Diagnostik, Therapie und Kosten die Nachteile aufwiegen, wage ich persönlich zu bezweifeln. Denn das Wissen um die Funktion unserer Organe, die Kenntnis unseres Genoms, unseres Proteoms und unseres Metaboloms, ermöglicht nicht nur die immer wieder beschworene „personalisierte“ Therapie, sondern öffnet auch Diskriminierung, Falsch- und Zwangsbehandlungen Tür und Tor.

Beim Betrachten der Grundrechtseinschränkungen und Übergriffe, die sich im Rahmen der Coronakrise ereignet haben und noch immer ereignen, ist die Aussicht auf einen digitalen Zwilling ein wahres Horrorszenario. Wie sieht es beispielsweise aus, wenn wir einen „sozial unerwünschten“ Lebensstil pflegen? Wenn wir „falsch“ essen, rauchen, keinen Sport treiben, zu wenig schlafen, Alkohol trinken oder als nicht solidarisch eingestuft werden?

Und da Kosteneinsparungen ein wichtiges Argument für die totale Digitalisierung im Gesundheitssystem sind, stellt sich die Frage, wie es sich verhält, wenn ein bestimmter Lebensstil zusätzliche Kosten für die Solidargemeinschaft generiert? Wird uns dann womöglich ein „sozial verträglicher“ Lebensstil diktiert, wie dies in Ansätzen bei der Diskussion um den Fleischverzehr bereits ersichtlich wird? Werden uns bestimmte Produkte dann einfach verweigert, was mittels digitaler Währung ein Leichtes wäre?

Dass solche weitreichenden Eingriffe in unser Leben früher oder später real werden könnten, zeigt ein Artikel bei Investment Watch, in dem die englische Zentralbank davon spricht, dass digitales Geld so programmiert werden könnte, dass es nur für bestimmte Dinge ausgegeben werden kann.

Befürworter des chinesischen Überwachungsstaates

Wie die nahe Zukunft aussehen könnte, zeigt ein Ausblick der chinesischen Telekommunikationsfirma Huawei: Der Geburtsbericht legt den Grundstock für den digitalen Zwilling, der von den Eltern mit Daten gefüttert wird. Sämtliche Krankheiten, Allergien, Impfungen, ärztliche Untersuchungsergebnisse werden im System gespeichert. Im Erwachsenenalter übernimmt jeder dann selbst die Pflege seines Avatars. Ab einem bestimmten Alter trägt jeder Mensch seine Smartwatch, die kabellos kontinuierlich alle Vitaldaten an den digitalen Zwilling übermittelt.

André Nemat, Chirurg und Gründer des Instituts für die digitale Transformation der Gesundheitsbranche an der Universität Witten/Herdecke, geht das nicht weit genug. Der Mediziner plädiert dafür, dass alle jemals von einer Person erhobenen Daten in ihren digitalen Zwilling einfließen sollen. Also nicht nur Gesundheitsdaten, sondern sämtliche elektronischen Daten zum Lebensstil sowie alle E-Mails und Online-Suchen, die wir jemals getätigt haben. Nemat glaubt tatsächlich, dass wir alleine durch das Sammeln ausreichend privater Daten gesundheitliche Probleme erkennen könnten, noch bevor diese akut würden.

Eine solche Aussage kann nur von einem Chirurgen kommen, einem Handwerker, der den menschlichen Körper mit einer Maschine gleichsetzt und von der menschlichen Psyche nicht den Hauch einer Ahnung besitzt. Die Psyche eines Menschen, die nicht durch Daten abzubilden ist, hat, wie wir heute von Disziplinen wie beispielsweise der Psychoneuroimmunologie wissen, einen großen Einfluss auf die Gesundheit und ist an der Entstehung einer Vielzahl von Erkrankungen beteiligt.

Zu glauben, dass sich einzig und alleine durch große Datenmengen Krankheiten verhindern ließen, wird sich als das herausstellen, was es ist: materialistischer Irrglaube.

Rolf Schwartmann, Leiter der Kölner Forschungsstelle für Medienrecht an der Technischen Hochschule Köln und Mitglied der Datenethikkommission der Bundesregierung, will sogar, dass wir den gigantischen Datenschatz unseres gesamten Lebens nach unserem Tod mittels eines Spenderausweises der Forschung zur Verfügung stellen.

Ein derart degeneriertes Gesundheitssystem, dass vor allem auf Prävention setzt — also Menschen behandeln will, bevor sie Symptome entwickeln —, muss angesichts der Tatsache, dass es in den nächsten Jahren einen gigantischen Boom erfahren soll, zur Zwangsbehandlung eines jeden gesunden Menschen führen.

Seit Klaus Schwab und seine internationalen Freunde vom Weltwirtschaftsforum (WEF) die totale Digitalisierung ausgerufen haben und diese von sämtlichen Regierungen und Nichtregierungsorganisationen wie der Europäischen Union (EU) tatkräftig unterstützt wird, überschlagen sich die Wachstumsprognosen. Das globale Wirtschaftsforschungsunternehmens Medi-Tech Insights, das auf den Sektor Biowissenschaften/Gesundheitswesen fokussiert ist, spricht von 30 bis 50 Prozent CAGR (Compound Annual Growth Rate; deutsch: jährliche Wachstumsrate) für den globalen Markt digitaler Zwillinge im Gesundheitswesen.

Doch beim digitalen Zwilling wird es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht bleiben, dafür sprechen zahlreiche seriöse Abhandlungen. So die 2020 erschienene Broschüre des WEF mit dem Titel „Shaping the Future of the Internet of Bodies“; die Broschüre von der Rand Corporation „The Internet of Bodies“; die vom Thinktank des EU-Parlaments 2018 herausgegebene Studie “The Use of Chip Implants for Workers sowie die vom deutschen und britischen Militär in Kooperation verfasste 2021 Broschüre „Human Augmentation — The Dawn of a New Paradigm“.

Vor diesem Hintergrund wird auch verständlich, weshalb sich zahlreiche Unternehmen in diesem lukrativen Markt positioniert haben: Philips Healthcare, Siemens Healthineers, Twin Health und Faststream Technologies sind nur einige Firmen, die von den gigantischen Wachstumsvorhersagen der Technokraten und Transhumanisten profitieren wollen.

EU ebnet den Weg zur totalen Kontrolle durch KI

Um diese Wachstumsprognosen auch Realität werden zu lassen, arbeitet die EU mit Hochdruck an den dazu notwendigen Regulierungen und hat zahlreiche Projekte ins Leben gerufen. Das EU-Vorzeigeprojekt „DigiTwins“ ist eine internationale Initiative aus mehr als 200 Partnern in 32 Ländern.

Ziel dieses Projektes: Der vollständig „virtuelle Patient“

Doch nicht nur in der Medizin, auch in allen anderen Lebensbereichen soll KI bald die alleinige Autorität zugesprochen werden. Sie glauben das nicht? Dann befassen Sie sich einmal im Detail mit den zahlreichen Websites der EU. Die Europäische Kommission will, dass jährlich 20 Milliarden private und öffentliche Investitionen in KI-Technologien fließen und das Europäische Parlament beschäftigt sich bereits mit der Etablierung von KI-Regeln.

Auf der Website heißt es:

„Der digitale Wandel ist zu einem großen Teil vom Einsatz künstlicher Intelligenz (KI) geprägt. Es ist bereits schwierig, sich ein Leben ohne die Nutzung von KI vorzustellen, und in Bereichen wie Jobs, Wirtschaft, Finanzen, Gesundheit, Sicherheit und Landwirtschaft wird die Nutzung von KI-Tools in Zukunft noch weitere Veränderungen mit sich bringen. KI ist auch für die Umsetzung des europäischen Green Deals und die wirtschaftliche Erholung nach Covid-19 von zentraler Bedeutung.“

Für die Erarbeitung der erwähnten KI-Regeln wurde sogar ein Sonderausschuss für künstliche Intelligenz im digitalen Zeitalter ins Leben gerufen. Außerdem wird mit Hochdruck an einer Europäischen Datenstrategie gearbeitet. Das Parlament hat am 25. März 2021 Vorschläge für diese Datengesetzgebung angenommen.

Leitprinzip, so die EU-Abgeordneten, müsse der freie Datenfluss sein, und angesichts der Pandemie solle dies ganz besonders für Gesundheitsdaten gelten. Ziel müsse es sein, das gigantische Datenpotenzial in der EU auszuschöpfen und dieses Unternehmen wie Forschern zur Verfügung zu stellen.

„Vertrauensvoller“ Datenaltruismus

Am 30. November 2021 erzielten das Parlament und der Rat eine informelle Einigung über das Daten-Governance-Gesetz.

Wörtlich heißt es:

„Der Data Governance Act (DGA) zielt darauf ab, das Vertrauen in die gemeinsame Nutzung von Daten zu stärken, schafft neue EU-Vorschriften zur Neutralität von Datenmarktplätzen und erleichtert die Wiederverwendung bestimmter Daten, die sich im Besitz des öffentlichen Sektors befinden, zum Beispiel bestimmte Gesundheits-, Agrar- oder Umweltdaten.“

Immer wieder geht es darum, „Vertrauen zu schaffen“, denn das Zauberwort heißt schließlich Datenaltruismus. Menschen sollen ihre Daten selbstlos abgeben — selbstverständlich freiwillig und ausschließlich zur Unterstützung von Forschung, Gesundheitswesen und dem Kampf gegen den Klimawandel. Dass die Phrase von „Vertrauen schaffen“ nichts anderes ist als ein Nudging-Instrument, das ausschließlich dazu dient, an alle privaten Daten zu gelangen, geht aus der europäischen Datenstrategie hervor: Dort ist nämlich die Rede von Datenmarktplätzen, von Exklusivvereinbarungen zur Weiterverwendung von Daten und von limitierten Verträgen. Neue Verträge sollen dabei auf zwölf Monate, bestehende auf zweieinhalb Jahre begrenzt werden.

Nicht zu vergessen der EU Artificial Intelligent Act, der EU-Bürger, so heißt es vordergründig, vor KI-Technologien schützen soll. Wie ernst dieser Schutz gemeint ist, erkennt man am folgenden Satz: „Letztlich bleiben Anwendungen, die nicht ausdrücklich verboten oder als risikoreich eingestuft sind, weitgehend unreguliert.“

Es geht hier also mitnichten um irgendeinen Schutz, sondern ausschließlich darum, Sicherheit und ein keineswegs gerechtfertigtes „Vertrauen“ vorzugaukeln.

Wer verstehen will, weshalb das Projekt totale Digitalisierung in der EU eine derart hohe Priorität besitzt, der sollte sich etwas genauer mit der Vita Ursula von der Leyens auseinandersetzen. Die EU-Kommissionspräsidentin ist nämlich nicht nur Mitglied des Kuratoriums des WEF und hat damit einen handfesten Interessenkonflikt, wenn es um Industrie 4.0 geht, sie hat auch die Ideologie der London School of Economics (LSE) aufgesaugt.

Dabei muss man wissen, dass die LSE keine normale Lehranstalt ist, sie wurde von den eugenikbegeisterten Marxisten der Fabian Society gegründet und dient, wie wir auf der Website lesen können, der Ausbildung talentierter Mitglieder der globalen Elite. Für wen also arbeitet Ursula von der Leyen?

Dass es bei den immer heftiger werdenden Angriffen auf den Datenschutz, unsere Rechte und unsere Selbstbestimmung um das Wohl der Gesellschaft geht, ist äußerst unwahrscheinlich. Es sieht eher danach aus, als wenn die immer übergriffiger werdenden digitalen Technologien — von der totalen Überwachung im öffentlichen Raum über den digitalen Zwilling bis zum Internet of Bodies — nur zwei weitere Schritte auf dem langen Weg in eine vollständig von KI kontrollierte Welt wären.

Denn das ultimative Ziel der totalen Digitalisierung ist eine „dekarbonisierte“ Welt, die von Technokraten wie Klaus Schwab, Bill Gates und vielen anderen immer beschworen wird. Dekarbonisierung bedeutet, dass Handlungen und Prozesse, durch die Kohlenstoffdioxid (CO2) freigesetzt wird, durch Prozesse abgelöst werden, bei denen diese Freisetzung unterbleibt. Konsequent zu Ende gedacht, würde dies das Verschwinden aller Lebewesen, die im Rahmen ihres Stoffwechsels Kohlendioxid produzieren, bedeuten, und damit wohl auch das Ende des Menschen so wie wir ihn kennen.

Die Überwindung des Todes

Und die Abschaffung des Menschen passt perfekt in das Weltbild der Transhumanisten, die, wie der US-amerikanische Neurowissenschaftler David Eagleman, hoffen, dem Tod ein Schnippchen zu schlagen. In einem Artikel auf seiner Website lässt uns Eagleman an seiner Gedankenwelt partizipieren. Unter dem Titel Silicon Immortality: Downloading Consciousness into Computers (deutsch: Silizium-Unsterblichkeit: Bewusstsein in Computer herunterladen) lesen wir dort:

„Noch bevor wir verstehen, wie Gehirne funktionieren, werden wir daher in der Lage sein, die Struktur des Gehirns digital zu kopieren und das Bewusstsein in einen Computer zu laden. (…) Das Wichtige an Gehirnen, so die Theorie, ist nicht die Struktur, sondern die Algorithmen, die auf der Struktur aufbauen. Wenn also das Gerüst, das die Algorithmen unterstützt, nachgebildet wird — selbst in einem anderen Medium —, dann sollte der daraus resultierende Geist identisch sein. Wenn sich dies als richtig erweist, ist es fast sicher, dass wir bald über Technologien verfügen werden, die es uns ermöglichen, unsere Gehirne zu kopieren und herunterzuladen und für immer in Silizium zu leben. Wir werden nicht mehr sterben müssen.

Stattdessen werden wir in virtuellen Welten wie der Matrix leben. Ich gehe davon aus, dass es Märkte geben wird, auf denen man verschiedene Arten von Nachleben kaufen und mit verschiedenen Leuten teilen kann — das ist die Zukunft der sozialen Netzwerke. Und wenn man einmal in einen Computer geladen ist, kann man vielleicht sogar den Tod des eigenen Körpers in der realen Welt mitverfolgen, so wie wir einen interessanten Film sehen würden.“

Wie nah Genie und Wahnsinn doch zusammenliegen, lässt sich Eaglemans eindrucksvollem Werdegang entnehmen: Er ist Neurowissenschaftler an der Stanford University, internationaler Bestsellerautor und Mitbegründer der Unternehmen Neosensory und BrainCheck. Darüber hinaus leitet er den Center for Science and Law, ein nationales „Non-Profit“-Institut, sitzt im Vorstand der American Brain Foundation, der The Long Now Foundation, und ist wissenschaftlicher Chefberater der Mind Science Foundation.

Was Eagleman beschreibt, ist nichts anderes als vor Hybris strotzender Materialismus, der den Geist verleugnet und den Menschen mit einer primitiven Rechenmaschine gleichsetzt. Dass seine Ansätze zum Gehirn reine Theorie sind, stört Eagleman nicht. Für ihn steht fest, dass das Herunterladen des Bewusstseins in einen Computer noch zu seinen Lebzeiten Wirklichkeit werden wird.

Leben in der Matrix

David Eagleman ist mit diesen wahnwitzigen Ideen nicht alleine, auch Tesla-Gründer Elon Musk, der Google-Mitarbeiter Ray Kurzweil sowie der Historiker und Schwabeinflüsterer Yuval Noah Harari gelten als fanatische Anhänger dieser Ideologie. Während Musks Firma Neuralink seit 2016 an der Entwicklung von Gehirn-Computer-Schnittstellen arbeitet und gegenwärtig am ersten universellen, zweibeinigen, humanoiden Roboter bastelt, prognostiziert Kurzweil die bald eintretende Singularität, also den Moment, an dem künstliche Intelligenz sich selbst weiterentwickeln kann. Menschenverachtung in Reinstform kommt dagegen von Harari, der die Eliten als künftige Götter sieht, dem normalen Menschen jeglichen freien Willen abspricht und ihn als seelenloses hackbares Tier bezeichnet.

Wohin uns diese transhumanistische Psychose einiger weniger führen könnte, zeigt der Science-Fiction-Film Ready Player One aus dem Jahr 2018, der unter der Regie von Steven Spielberg entstand. Spielbergs Dystopie spielt im Jahr 2045: Ein großer Teil der Menschheit nutzt, um der Trostlosigkeit einer nicht mehr lebenswerten Realität zu entkommen, die Virtual-Reality-Simulation OASIS. Dass uns OASIS schneller einholen könnte, als wir glauben, dafür sprechen die Ideen Mark Zuckerbergs.

Zuckerberg ist davon überzeugt, dass die Menschheit in einer nicht allzu fernen Zukunft ausschließlich im virtuellen Raum leben wird. In einem Interview mit der Daily Mail sagt Zuckerberg, dass er in fünf bis zehn Jahren eine virtuelle Welt erschaffen will, die Gerüche, Berührungen und Geräusche einschließt, damit sich die Menschen in dieser virtuellen Realität verlieren können.

Und damit seine Fantasie real wird, baut er aktuell den schnellsten KI-Supercomputer AI Research SuperCluster (RSC), der schon bis Mitte 2022 fertiggestellt sein soll. Zuckerberg meint, es wird einen Punkt geben, an dem wir mehr Zeit in der virtuellen als in der realen Welt verbringen:

„Wir werden aufwachen, das Headset aufsetzen und mit diesem mehr Zeit verbringen als ohne — wir werden im Metavers einkaufen gehen, uns verabreden, arbeiten und in der virtuellen Welt zur Schule gehen.“

Was mit unserem Körper geschieht, wenn sich dieser kaum mehr in der realen Welt bewegt, lassen Zuckerberg und seine Transhumanistenfreunde leider offen. Was geschieht beispielsweise mit unseren Muskeln, wenn wir den Großteil des Tages ausschließlich über einen Avatar agieren, was mit unserem Stoffwechsel und den für das Gehirn wichtigen visuellen und haptischen dreidimensionalen Erfahrungen?

Unser Körper dürfte Schritt für Schritt degenerieren, wenn wir ihn nicht mehr nutzen, frei nach dem Motto: Use it or loose it!

Aber möglicherweise ist das ja gerade das finale Ziel, immerhin wäre es ein weiterer Schritt in Richtung Dekarbonisierung. Vielleicht sollen wir gar keinen Körper mehr besitzen, sondern, wie von Eagleman vorgeschlagen, nur unser Gehirn in die Matrix laden. Das hätte für die Eugeniker und Menschenhasser einige handfeste Vorteile: Die vermeintliche Problematik der Überbevölkerung, die immer wieder beschworene Ressourcenknappheit sowie das Dogma der menschengemachten Klimaerwärmung würden sich auf einen Streich in Luft auflösen.

Will die Menschheit nicht in die Dystopie der Transhumanisten abgleiten— und diese Gefahr ist angesichts der aktuellen Entwicklungen leider real, sollten wir uns die Worte des Computerwissenschaftlers Joseph Weizenbaum (1923 bis 2008) ins Gedächtnis rufen. Der Vater der modernen KI sagte im Januar 2008 auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos: “Wenn wir die Industrie 4.0 realisieren, werden unsere Kinder die Toten beneiden.“

In seinem Buch „Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft“ warnt Weizenbaum uns vor der Hybris der Naturwissenschaften. Ganz besonders geht Weizenbaum, der jahrelang Professor am Massachusetts Institute of Technology (MIT) gewesen war, mit denjenigen ins Gericht, die uns weismachen wollen, dass der Mensch nichts anderes sei als ein informationsverarbeitendes System, das vollständig mit einem leistungsstarken Computer simuliert werden könnte. In denjenigen, die diese Ansicht vertreten, sieht Weizenbaum die Quintessenz naturwissenschaftlicher Borniertheit:

„Die Frage der künstlichen Intelligenz ist nach meiner Überzeugung die Kernfrage der gesamten Computerentwicklung, über die viel Unsinniges geschrieben wird: Menschliche Erfahrung ist nicht übertragbar. Menschen können lernen. Das heißt: Neues schöpfen. Nicht aber Computer. Die können lediglich Strukturen und Daten nach vorgegebenen Mustern erweitern oder verdichten.“

Ich kann Weizenbaum zu 100 Prozent zustimmen, befürchte aber, angesichts der Fortschritte in dieser Disziplin und der Apathie und Ignoranz großer Teile der Bevölkerung, dass sich diese Fehlentwicklung nur schwer aufhalten lassen wird.


Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien am 24. Mai 2022 unter dem Titel „Albtraum ‚Künstliche Intelligenz‘ — Teil 2“ im Blog NomoNoma.



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Simone Hörrlein, Simone Hörrlein,, ist Lebensmittelchemikerin und Wissenschaftsjournalistin. Nach ihrem Studium an der TU München war sie mehrere Jahre in der medizinischen Forschung tätig und arbeitete zuletzt in der Wissenschaftskommunikation des Kompetenzzentrums für Ernährung. Neben den Naturwissenschaften interessiert sie sich für Finanz- und Geopolitik. Aktuell lebt sie in Kanada.
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Der Artikel ist erschienen bei :Rubikon-News

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