Freitag, 18. Mai 2018

Pseudo-Intelligenz - die selbsternannte "Elite"

Thema: die selbsternannte "Elite"

Pseudo-Intelligenz
Das Establishment kann ungestraft Lügen verbreiten.


von Jochen Mitschka

Russische Giftgasangriffe. Babymorde im Irak. Einmarsch in Afghanistan, um Brunnen zu bauen und Frauen zu retten. Enteignung der Steuerzahler, um Banken zu retten… Die Etablierten lügen „wie gedruckt“, und obwohl einige ihrer Verdrehungen immer wieder auffliegen, kommen sie letztlich damit durch. Warum gibt es keinen Aufstand gegen diese Form der Verdummung; warum kommt es nicht zu Rücktritten, Strafprozessen oder zumindest einem angemessene „Karriereknick“ bei den Verantwortlichen? Allzu oft wird das Heil bei den Gebildeten und Intellektuellen im Land gesucht; diese sind aber nicht selten „verbildet“ durch intelligent gemachte Propaganda seitens der Täter. Vielleicht müssen wir neue Wege gehen, um diese endlich zur Rechenschaft zu ziehen.

Jeder wird sich erinnern: „Assad hat IS groß gemacht“ hieß es seitens der US-Politiker und in den Medien. Dabei waren es gerade die USA, die dessen Wachsen und seine Stärke möglich machten, die die IS-Krieger bewaffneten, von ihnen Öl kauften, um den Krieg zu finanzieren, und Waffen in das Gebiet schickten, Waffen die unzweifelhaft dem IS zufallen mussten.

„Russland missbraucht Kinder für Propaganda“, hieß es, als die meisten der angeblichen Opfer eines Giftgasangriffes in Douma, darunter auch Kinder, von Russland in Den Haag vorgestellt wurden und diese bestätigten, dass es keinen Giftgasvorfall gab, sondern dass alles nur gestellt war. Dabei haben jene, die das behaupteten, über Jahre ein Twitter-Konto und später auch das Kind selbst missbraucht, um Terroristenpropaganda in den Medien zu verbreiten.

Das Twittermädchen Bana al-Abed und der Junge Omran, der, in einem orangefarbigen Krankenwagensitz fotografiert, eine weitere Medien-Sensation im Westen war (1), sind wohl die schlimmsten Missbrauchsfälle von Kindern für Propagandazwecke seit der Brutkastenlüge im ersten US-Irakkrieg (5). Mal ganz abgesehen von den für Videos ermordeten oder bereits toten Kindern (2). Oder schauen wir uns die Desinformation der Bundestagsabgeordneten durch die Bundesregierung an, als es um die Frage des Ukraine-EU-Assoziationsvertrages ging. Ein ganz seltener Fall der Offenlegung von Argumenten, die sonst eher verdeckt gehalten werden, weil sie so leicht widerlegt werden können (6).

Die Beispiele könnten beliebig weitergeführt werden. Jeder wird sicher täglich auf Beispiele treffen, bei denen er sich am Hinterkopf kratzt und sich fragt, ob er denn so falsch informiert ist, wenn wieder ein Politiker das genaue Gegenteil dessen verbreitet, was man sich selbst durch Prüfung und Gegenprüfung mühsam angeeignet hat. Wie kann es sein, dass sie damit durchkommen?

Bildung macht anfällig für Propaganda

Warum können Politiker und Medienschaffende ungestraft lügen? Jacques Ellul hatte schon in den 1960er Jahren in mehreren Arbeiten darauf hingewiesen, dass nach seinen Untersuchungen die Empfänglichkeit für Propaganda mit der Bildung steigt, wenn die Propaganda in die gleiche Richtung deutet wie das, was diese Bildungsinhalte vermittelt haben. Darüber hinaus gibt es einen weiteren Effekt, den die Bildung verursacht.
Der „Gebildete“ nimmt an, dass er aufgrund seiner Kenntnisse stärker dafür prädestiniert ist, zu allen möglichen Themen eine Meinung zu vertreten.
Ich selbst habe in Thailand folgende Erfahrung gemacht: Ich war mit Studenten-Aktivisten der so genannten Rothemden (3) in Dörfern unterwegs gewesen, in denen die Menschen gerade so lesen und schreiben konnten. Die Studenten organisierten dort so genannte Volks-Universitäten, und eine der „Vorlesungen“ erklärte die Universalen Menschenrechte. Obwohl die Menschen vollkommen dem hierarchischen System des monarchistisch-militaristischen Establishments unterworfen worden waren, begriffen sie nach einigen Diskussionen die Macht dieser Menschenrechte, weil sie sie als etwas empfanden, was sie instinktiv für sich immer gesucht hatten. Als ich dann aber im Jahr 2008 mit Gelbhemden (4) diskutierte, die mindestens Mittelschulabschluss, meist Abitur oder sogar Studium absolviert hatten, traf ich auf großes Unverständnis und absolute, sogar feindselige Ablehnung. Thailand wäre etwas Besonderes, etwas ganz Einzigartiges, etwas auf das diese Regeln „des Westens“ nicht angewandt werden könnten. Nicht wenige Gelbhemden waren der Meinung, dass man „den Ungebildeten vom Land“ das Wahlrecht absprechen müsse. Alle vertraten die Meinung, dass eine Militärdiktatur besser als eine Demokratie wäre, wenn die Demokratie nicht die historisch gegebene hierarchische Ordnung verteidigen würde.
Für mich ist das Narrativ „Menschen müssen Bildung bekommen, nur dann können sie mit der Demokratie umgehen“ längst widerlegt. Ich halte Bildung sogar für besonders geeignet, die Menschen im Sinne des Establishments zu indoktrinieren.
Menschen verstehen sehr wohl – weil sie es am eigenen Leib spüren –, was sie benötigen, was gut für sie ist und was für sie schlecht ist. Daher ist ein Populismus, der hält, was er verspricht, das beste Rezept, um jene Menschen dauerhaft zu überzeugen, die eben nicht studiert haben. Natürlich kann Populismus auch missbraucht werden, aber genau ein solcher Missbrauch ist derzeit durch die Propaganda des Establishments zu beobachten.

Die Medien

Warum werden Lügner nicht mit der Lüge konfrontiert? Eine Demokratie kann natürlich nur so gut sein, wie die Nachrichten neutral sind. Wir alle wissen, dass das Zeitalter vorbei ist, in der gehofft wurde, dass die Medien die Politik kontrollieren. Nachdem wir durch Schübe der Kommerzialisierung, Zentralisierung, Globalisierung hindurchgegangen sind, erweisen sich Medien einfach nur noch als Werkzeuge zur Beeinflussung der Öffentlichen Meinung und damit zur Gestaltung der Ordnung in der so genannten repräsentativen Demokratie. Zu hoffen, dass sich die Medien reformieren und demokratisieren lassen, ist so naiv wie die Hoffnung, dass das globale Finanzwesen der Politik unterworfen werden könnte.

Auch die Hoffnung, dass das Internet als neues Medium die Lücke füllen kann, wird bald erloschen sein. Wir erlebten ein Zeitalter, in dem das Internet uns ein Fenster in die Welt verschaffte, aber dieses Fenster wird in wenigen Jahren geschlossen werden. Je stärker die Wirkung des Internets auf die öffentliche Meinung wird, desto stärker wird es reguliert und kontrolliert werden, bis es in den allgemeinen Medien aufgehen wird.

Die Macht der Zweifel

Im Film „Die Matrix“ wird der Hauptprotagonist vor die Wahl zwischen blauer und roter Pille gestellt. Wählt er die blaue Pille, kann er weiter in seiner Traumwelt leben, wählt er die rote, droht ein raues Erwachen, gesellschaftliche Ächtung bis hin zur Lebensgefahr. In vielen Gesprächen musste ich feststellen, dass insbesondere Akademiker, die einen guten Job hatten und Anerkennung, aber eben auch Schulden und Sorgen, zwar intellektuell in der Lage waren, Argumente einzuordnen, zu gewichten und zu verstehen, aber die letzte Konsequenz daraus nicht zu ziehen wagten. Vielfach wischten sie das, was sie erfuhren mit den Worten „die Lügen doch alle“ vom Tisch.

Mit anderen Worten: Das Establishment muss nicht überzeugen, es muss die Menschen nicht mit Fakten und Erklärungen zu kritischen Fragen informieren und Rede und Antwort stehen. Das Establishment muss nur den Zweifel erzeugen, dass „die anderen“ möglicherweise lügen.
Alleine der Verdacht, dass „das Neue“ unwahr sein könnte, führt dazu, dass Menschen, die eigentlich nicht existentiell gefährdet sind, zum „Altbewährten“ zurückkehren.
Auch wenn man unzufrieden ist, wenn Zweifel bestehen – schließlich weiß man was man hat, ungewiss ist jedoch, was man bekommen wird, wenn sich die Dinge ändern. Insbesondere die CDU, aber auch die SPD hatte bei vielen Wahlen genau diese Melodie gespielt.

Deshalb heißt es, äußerst vorsichtig im Umgang mit Informationen aus dem Internet umzugehen. Ich bin überzeugt, dass eine große Zahl von Agents Provocateurs unterwegs sind, die in erster Linie dazu dienen, durch Fake-News den Ruf des Internets und der dort agierenden alternativen Medien zu unterminieren. Wir wissen durch die Veröffentlichungen zur Operation Mockingbird (7), dass die Medien schon in den 1950er Jahren durch von Geheimdiensten gesteuerte Journalisten unterwandert waren. Warum sollte es im Internet anders werden?

Deshalb müssen wir vorsichtig sein gegenüber sogenannten „alternativen“ Medien, die entweder von Anfang an oder schleichend von Protagonisten des Establishments unterwandert wurden. Sie könnten nicht nur bewusst falsche Informationen in Umlauf bringen, sondern – basierend auf ihrem „rebellischen“ Ruf auch wirklich alternative, für das Establishment gefährlich gewordene Stimmen diskreditieren. Genau dies beobachten wir derzeit im Bereich der White Helmets. Mit einer Verleumdungskampagne, einer konzertierten Aktion der klassischen Medien mit Hilfe von Wikipedia, Google und anderen Meinungsmultiplikatoren des Establishments, sollen die kritischen Stimmen und die Wahrheit enthüllenden Berichte unabhängiger Journalisten (8) diskreditiert werden.

Nun wurden die Zweifel vieler Menschen aber infolge der Ängste und irrationalen Entscheidungen des deutschen Establishments immer größer und drohten so den Rahmen der erlaubten Diskussion zu sprengen.
Zum Glück für die Etablierten – stieß in dieses Vakuum die AfD. Sie geriert sich als Alternative, ohne aber die wirklichen Grundprobleme ernsthaft anzugreifen.
Etwa eine unbedingt notwendige Medienreform, die Regulierung der Finanzmärkte, die Überarbeitung des Geldsystems, die Beendigung der NATO-Mitgliedschaft Deutschlands und der Angriffskriege sowie das Problem sozialer Umverteilung von unten nach oben infolge so genannter Reformen, die meist auf Privatisierungen hinauslaufen. Statt dessen konzentrierte man sich auf eine Kritik der Symptome, etwa der Euro- und Flüchtlingskrise. Folglich ist von dieser Gruppierung auch keine wirkliche Veränderung zu erwarten.

Schlussfolgerung

Die Revolutionen der Vergangenheit lassen sich grob in zwei Grundformen teilen: in solche von „oben“, wie in Großbritannien, und in solche von „unten“, wie wir sie scheinbar in Frankreich erleben. Immer benötigte es aber einer kritischen Masse von Menschen und eines Auslösers, der das Leben der Menschen so schmerzhaft machte, dass die Sehnsucht nach Linderung größer wurde als die Angst vor den Folgen eines möglichen Aufbegehrens. Immer aber waren es Intellektuelle und Theoretiker, die den Boden, auf dem eine Revolution keimen sollte, über Jahre beackert hatten.
Daraus hatte das Establishment gelernt.
Zum Glück für die Etablierten – stieß in dieses Vakuum die AfD. Sie geriert sich als Alternative, ohne aber die wirklichen Grundprobleme ernsthaft anzugreifen.
Andererseits werden dissidente Intellektuelle oder Vordenker vehement bekämpft und das Verbreiten ihrer Ideen immer stärker unterbunden.

Bisher gehen die meisten Bemühungen von Dissidenten in diesem System dahin, eine interessierte und gebildete Schicht anzusprechen. Hier stoßen wir aber auf das auch von Hans-Joachim Maaz beschriebene „Mitläufersyndrom“ (9). Meiner Meinung nach wäre der Erfolg einer Aufklärung aber größer, wenn wir uns an jene wenden würden, die eben nicht das Privileg einer umfangreichen Bildung genießen durften.

Das große Problem ist, dass diese Schicht bereits von BILD & Co. entdeckt wurde und von diesen übermächtigen Medien beeinflusst wird. Diese Menschen gehen selten in die Volkshochschulen, zu Seminaren, Vorträgen oder politischen Veranstaltungen. Daher weiß ich auch nicht, wie man sie erreichen kann. Was mir spontan dazu einfällt, wäre lediglich „Klinkenputzen“, also das Gehen von Tür zu Tür und das mühsame Einzelgespräch. Aber dafür bräuchte es ein Heer von ausgebildeten Agitatoren, deren Iniative in den Angesprochenen den Wunsch nach weiterer Erklärung erzeugt. Diese könnten dann wiederum durch Internetseiten, Bücher, Vorträge und weiteres Informationsmaterial befriedigt werden.

Ohne eine populistische Bewegung wird es aber nicht möglich sein, eine ausreichend starke Bewegung der Neo-Aufklärung aufzubauen. Wer allein auf das Internet als Aufklärungsmedium setzt, dürfte in einigen Jahren sehr enttäuscht werden. Ich denke, wir müssen uns auch darauf vorbereiten, dass das Internet langsam aber sicher ausgebremst werden wird.


Quellen und Anmerkungen:

(1) Jochen Mitschka, Fakten spielen für die etablierten Medien offenbar keine Rolle mehr, 2018, online: https://www.rubikon.news/artikel/fakten-spielen-fur-renommierte-medien-keine-rolle, Seite zuletzt aufgerufen am 29.04.2018.
(2) Off-Guardian, White Helmets Video: „Macabre” Manipulation of Dead Children? 2017, online: https://off-guardian.org/2017/03/17/white-helmets-video-macabre-manipulation-of-dead-children/ Seite zuletzt aufgerufen am 29.04.2018.
(3) Der Name beziehungsweise die Farbe hatten nichts mit dem klassischen „Links“ zu tun, sondern stellte die Ampel-Farbe „Stop“ oder „Nein“ dar, mit der man einer Verfassung des Militärs nach dem Militärputsch von 2006 widersprach.
(4) „Gelb“ war damals die Farbe des Königs, das Zeichen der Monarchisten.
(5) YouTube, Die Wahrheit, 1990/2015, online: https://www.youtube.com/watch?v=EuDp5VM8QoQ Seite zuletzt aufgerufen am 30.04.2018. Die verantwortliche PR-Firma erhielt für diesen PR Stunt eine Auszeichnung. Niemand wurde für die Lüge bestraft.
(6) Jochen Mitschka, „AA erklärt Bundestag Politik: Zu 01.“ … bis „AA erklärt Bundestag Politik: Zu 18.“, 2015, online: https://jomenschenfreund.blogspot.de/search/label/AA%20erkl%C3%A4rt%20Bundestag%20Politik Seite zuletzt aufgerufen am 30.04.2018. Oder siehe auch die vollständige Widerlegung der Ukraine-Narrative unter „Das Ukraine Narrativ“, online: https://www.academia.edu/28606903/Das_Ukraine-Narrativ Seite zuletzt aufgerufen am 30.04.2018.
(7) Wikipedia, Operation Mockingbird, online: https://en.wikipedia.org/wiki/Operation_Mockingbird Seite zuletzt aufgerufen am 30.04.2018.
(8) Jens Bernert, Die Lügen der „Weißhelme“, 2017, online: https://www.rubikon.news/artikel/die-lugen-der-weisshelme Seite zuletzt aufgerufen am 30.04.2018.
(9) Hans-Joachim Maaz, Selbstentfremdung: Wie der Mensch zum Mitläufer wird, https://youtu.be/1bFfH2bKAvI Seite zuletzt aufgerufen am 29.04.2018.


Jochen Mitschka, Jahrgang 1952, veröffentlichte unter verschiedenen Pseudonymen Artikel und Bücher über Südostasien, nach 2009 auch über die Piratenpartei. In letzter Zeit schreibt er vorwiegend unter eigenem Namen und übersetzt politische Bücher. So etwa „Der schmutzige Krieg gegen Syrien“ von Tim Anderson und „Der Abschuss – Flug MH17, die Ukraine und der kalte Krieg“ von Kees van der Pijl. Jo Menschenfreund bloggt er über Demokratie, Medien sowie internationale Krisen.

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