Mittwoch, 17. August 2016

Taliban erobern mit neuer Spezialeinheit erfolgreich in Afghanistan

Thema: Afghanistan

«Sara Chitta»
Taliban-Elitetruppe sorgt für Angst und Schrecken

von M. Khan und L. O'Donnell, AP - In der afghanischen Provinz Helmand haben die Taliban enorme Geländegewinne erzielt. Besonders gefürchtet ist eine neue Spezialeinheit der islamistischen Kämpfer.

Der Vorstoss ist beängstigend: Innerhalb weniger Wochen haben die Taliban weite Teile der Provinz Helmand erobert. Sogar die Provinzhauptstadt Laschkar Gah steht kurz vor dem Fall. Die Verluste auf Seiten der afghanischen Sicherheitskräfte sind enorm — seit Ende Juli wurden mehrere hundert Soldaten und Polizisten getötet. Die militärischen Erfolge der Extremisten haben vor allem mit einer Verfeinerung ihrer Taktik zu tun. Kern der Strategie ist eine neue Eliteeinheit.

Nach Angaben der Behörden in Helmand sind die Aufständischen in der Region besser organisiert und ausgebildet als je zuvor. Aus Kreisen der Taliban wurde die Existenz einer neuen Spezialeinheit bestätigt. Es handele sich um etwa 300 Kämpfer, sagte ein Kommandeur, der unter Zusicherung von Anonymität mit der Nachrichtenagentur AP sprach. «Wir haben mit dieser Truppe gute Ergebnisse erzielt und überlegen daher, ob wir noch stärker auf solche Einheiten setzen sollen.»

«Sara Chitta» heisst übersetzt «Gefahr-Gruppe»

Der Name der neuen Eliteeinheit ist dem Kommandeur zufolge «Sara Chitta», was in der Sprache der Paschtunen «Rote Gruppe» oder «Gefahr-Gruppe» bedeutet. Weitere Informationen wollte der Taliban-Kämpfer nicht geben.

Auch die afghanischen Streitkräfte halten sich bedeckt. In Helmand selbst gehen die Behörden aber davon aus, dass die Truppe von Hadschi Nassar geleitet wird, der früher der operative Anführer der Taliban in den Provinzen Kandahar und Sabul war. Die Einheit sei zunächst im Bezirk Sangin im Nordosten von Helmand eingesetzt worden, sagt Abdul Madscheed Achonsada, Vizechef des Provinzrates. «Sie sind sehr gefährlich und sehr erfolgreich.»

Taliban ändert Methoden

Die Entwicklung zeigt, dass die radikalen Islamisten immer besser in der Lage sind, ihre Strategie je nach örtlichen Begebenheiten anzupassen. In der nördlich angrenzenden Provinz Urusgan hatten sie sich zuletzt darauf spezialisiert, wichtige Landstrassen zu blockieren und damit einzelne Städte und Dörfer nach und nach von der Versorgung abzuschneiden. Durch diese Taktik konnten sie mit nur wenigen direkten Angriffen auf Polizeiposten auch hier grosse Geländegewinne erzielen, ohne allzu grosse eigene Verluste zu riskieren.

Die «Rote Gruppe» ist unterdessen auch in der östlich angrenzenden Provinz Kandahar aktiv. «Wir können nicht leugnen, dass die Taliban gerade ihre Methoden ändern und dass diese neue Truppe Teil ihres neuen Vorgehens und ihrer neuen Taktik ist», sagt General Abdul Rasik, der Polizeichef der Provinz. «Sie sind gut ausgerüstet und schwer bewaffnet.»

Gruppe mit modernster Technik ausgerüstet

Bei den jüngsten Angriffen auf Regierungstruppen in Helmand hat die «Rote Gruppe» reguläre Taliban-Kämpfer mit Scharfschützen unterstützt. Sobald die «Fusssoldaten» ein Ziel unter Kontrolle hatten, zogen die Elitekämpfer weiter zum nächsten Einsatz. Auf diese Art konnten die Islamisten zum Teil mehrere Angriffe in einer einzigen Nacht ausführen. Die afghanischen Streitkräfte waren dadurch gezwungen, ihre Einheiten weiträumig zu streuen. Gleichzeitig konnten sich die einzelnen Posten bei einem Angriff nicht mehr gegenseitig Verstärkung leisten.

Die Behörden in Helmand gehen ausserdem davon aus, dass die «Rote Gruppe» über modernste Nachtsichttechnik verfügt. «Deswegen greifen sie nachts an. Und deswegen können sie unsere Männer sehen, aber unsere Männer sie nicht», sagt Achonsada vom Provinzrat. Die Ausrüstung hätten die Taliban vermutlich bei früheren Überfällen auf Posten der Polizei oder der Streitkräfte erbeutet.

Nicht nur in Kabul, sondern auch in Washington ist man angesichts der neuen Effektivität der Taliban besorgt. Nach Angaben des für die US-Streitkräfte im Land zuständigen Generals John Nicholson wurden im vergangenen Jahr etwa 20 000 afghanische Sicherheitskräfte getötet. In diesem Jahr sei die Verlustrate etwa 20 Prozent höher, sagte er im Juli. US-Präsident Barack Obama hatte daher bereits im Juni angekündigt, dass die amerikanischen Soldaten vor Ort jetzt auch bei Angriffsmissionen wieder enger mit den afghanischen Truppen zusammenarbeiten würden.

Mehr Engagement der Regierung gefordert

Gerade in Helmand wird ein verstärktes Engagement der Streitkräfte dringend benötigt. Nach Angaben des Provinzratsleiters Kareem Atal wurden hier allein seit Ende Juli mindestens 586 Polizisten und Soldaten sowie mindestens 250 Zivilpersonen getötet oder verletzt.

«Helmand ist inzwischen zu 80 Prozent unter der Kontrolle der Taliban», sagt Atal. «Unsere Funktionäre sind korrupt und unfähig, die Provinz zu kontrollieren. Unsere Streitkräfte sind nicht geeint und sie kämpfen nicht in einer koordinierten und geschlossenen Art.»

Am vergangenen Donnerstag hätten die Extremisten die Aussenbezirke der Provinzhauptstadt Laschkar Gah erreicht, sagt Atal weiter. «Ständig bitten wir die Regierung, etwas gegen die aktuelle Lage zu tun — wenn die Regierung nicht hilft, warum sollen wir die Taliban dann bekämpfen?», fragt er. «Wenn wir uns auf die Seite der Taliban stellen würden, dann würden wenigstens die Kämpfe endlich aufhören und wir hätten Frieden.»

Mit freundlicher Genehmigung von 20min.ch

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