Nachdem Wolodymyr Selenskyj die Russen direkt der Bombardierung Polens bezichtigte, wächst im Westen der Zweifel an der ukrainischen Administration.
Zeigt sich etwa jetzt geistige Aufhellung — ausgerechnet im bisherigen Herzen der Finsternis, also bei der Führung der USA? Während vor zwei Wochen für deutsche Medien und Politiker die Sache recht schnell klar war, nämlich, dass Russland Polen angegriffen hatte, äußerten sich die US-Administration, die NATO und auch Polen selbst zurückhaltender. Sie wiesen voreilige Schlüsse zurück. Für sie war es schlechterdings ein russischer Irrgänger, wahrscheinlich aber sogar eine ukrainische Rakete, die „falsch abbog“. Wenn auch diese Zurückhaltung nicht als Signal an Russland gelesen werden sollte, zeigt sich doch eines: Die westlichen Bündnispartner hegen mittlerweile ganz offenbar Zweifel an der ukrainischen Führung und deren Interpretationsansätzen.
Endlich — möchte man da sagen. Und dabei sorgenvoll auf die
Am 24. Februar 2022 war Wolodymyr Selenskyj schlagartig rehabilitiert. Bis zu jenem Tag äußerte sich die westliche Presse durchaus kritisch zu jenem ukrainischen Präsidenten, der recht kurios, nämlich mit der finanziellen Hilfe eines Oligarchen und Mäzens, an die Macht gelangte. Korruption und Vorteilnahme wurden vor jenem Stichtag noch thematisiert — und auch kritisiert. Selenskyj galt als denkbar schlechtester Präsident, der gegen die am Boden liegende Ukraine nachtrat und sein eigenes Volk enttäuschte.
Dann kam jener Donnerstag im letzten Februar: Von einem Moment auf den anderen wandelte sich sein Image. Kein Wort mehr über Machenschaften und Seilschaften. Stattdessen lud man den ukrainischen Präsidenten und Befehlshaber zu jeder passenden und unpassenden Gelegenheit ein: Wenn er schon nicht persönlich vor Ort sein konnte, dann doch wenigstens via Zoom. Man applaudierte jenem Mann, der eben noch als Totengräber seines Landes galt. Die Vogue fotografierte ihn und seine Ehefrau: Gut sahen beide aus. Krieg konnte sexy sein, wenn man ihn und seine Feldherrn nur ins rechte Licht setzte.
Wolodymyr Selenskyj galt seit jenen Tagen im Februar als der Sexiest Warrior Alive: Plötzlich galten Camouflage-Shirts und Khaki-Hemden als ganz besonders chic. Egal was seine Administration in die Welt hinausposaunte, man lauschte dem Gesagten ehrfürchtig.
Zweifel vermied man. Wenn jemand, der im Krieg steht, etwas behauptet, so lautete scheinbar die Parole der Stunde, dann dürfe man nicht skeptisch sein: Das wäre unfreundlich — man müsse einfühlsam sein, unreflektiert glauben. Menschen im Kriege verdienen es, dass man sie nicht hinterfragt.
Nichts konnte falscher sein als dieser Ansatz. Im Krieg gibt es wenig Wahrheit. Wer überleben will, dem muss zwangsläufig jedes Mittel recht sein. Die Lüge ist in diesem Szenario keine Sünde, kein zu ächtender Vorgang, sondern schlicht eine Option, um die eigenen Ziele zu erreichen. Sie ist demnach Normalität. Man kann sie im Grunde niemandem vorwerfen, der in einem Krieg steckt: Denn die Logiken der Menschlichkeit und des Anstandes sind dann außer Kraft gesetzt.
William T. Sherman prägte jenen bekannten Ausspruch, wonach Krieg die Hölle sei. Denn im Krieg werden die nobelsten Gemüter zu Monstern. Das müssen sie auch. Überleben funktioniert in so einem Szenario nur, wenn man seinen moralischen Kompass einfriert. Sherman wusste wovon er spricht: Er war General der Nordstaaten im amerikanischen Bürgerkrieg. Zwar verabscheute er den Krieg, machte sich aber während der blutigen Jahre selbst schuldig. So hinterließ er beispielsweise „verbrannte Erde“ und sorgte so für Hunger und Entbehrung. In seiner eigenen Armee war er als Schlächter verschrien.
Der General of the Army war quasi ein Insider: Er hat im Krieg nicht einfach seine Moral verloren — aber er hat sie hintangestellt. Denn wer sich im Krieg befindet, nimmt dessen verfluchte Logik an. Krieg ist der totale Sittlichkeitsverlust. Auf allen Ebenen, an jeder Front wird sie verdrängt. Wer sich hier ziert, verliert nicht einfach nur eine Schlacht und landet als Verlierer im Geschichtsbuch: Nein, er verliert sein Haus, seinen Hof, riskiert das Leben seiner Liebsten — und ja, auch sein eigenes Leben.
Allerlei reine Seelen sind im Krieg schon zu Bestien geworden. Sherman hatte das mit eigenen Augen gesehen, er verabscheute den Krieg, aber als General konnte er seine Abneigung nicht zum Programm machen: Er war der Kriegslogik unterworfen. Selbst wenn der Kriegsgrund gerecht sei, so betrachtete er es, der Krieg selbst sei es nicht. Jungen Männern, die mit Elan in den Krieg zogen, die dem Ruhm nachliefen, den man auf dem Schlachtfeld erwerben konnte, erklärte er nochmal, was Krieg wirklich ist: Die Hölle nämlich.
Menschen im Krieg vorzuwerfen, sie würden jeden Trick, jede Verdrehung anwenden, rein um ihres eigenen Vorteils willen, ist daher sehr bequem. Im Krieg gelten nicht andere, es gelten gar keine — jedenfalls kaum noch — Regeln. Das trifft für Soldaten im unmittelbaren Feindkontakt ebenso zu wie für verantwortliche Oberbefehlshaber in ihren Hauptquartieren.
Auch deshalb ist der Krieg als Mittel zu ächten: Seine Logik lässt keine Menschlichkeit, keine Aufrichtigkeit mehr zu. Er ist eine sittliche Abwärtsspirale, aus der es kaum Befreiung gibt.
Die letzten Sätze sind bitte nicht als Freifahrtschein für den ukrainischen Präsidenten gemeint. Als Persilschein, ihn jetzt doch als Popstar bei Zoom-Konferenzen platzieren zu dürfen, weil er ja für die Dynamiken des Krieges nichts könne. Die Verantwortung liegt in diesem Falle aber nicht bei ihm, sondern bei denen, die ihm applaudieren, ermutigen, für die Vogue auftakeln. Dass Selenskyj das mitmacht, um seinen Nutzen zu mehren, liegt auf der Hand. Es ist die andere Seite, die Distanz wahren sollte, ja sogar müsste: Die westliche Gesellschaft nämlich, die ihn ermutigt und zu einer Ikone verklärt.
Der Mann ist ein Warlord. Und er wird aufgrund dieses Status‘ täglich unberechenbarer. Wer ihn vor die Kamera zerrt, ihn bei Buchmessen oder Preisvergaben einblendet, der lässt einen, der in der Hölle steckt, mit einem Publikum fraternisieren, das von dieser moralische Perversion nichts weiß, ja auch gar nichts wissen will. Sollte man mit dem Führer einer kriegsführenden Nation so offen und ungeniert sympathisieren, sich an ihn schmiegen?
Krieg ist ein Verbrechen. Und in jedem Krieg geschehen Verbrechen. Eine moralisch einwandfreie Kriegsführung existiert nicht. Man unterbreitet diese Theorie jedoch gerne dem Publikum, um Zuspruch einzufahren.
In dem Moment, wo man mit jemandem, der im Krieg steckt, auf Tuchfühlung geht, nimmt man dessen durch die Ereignisse pervertierten Werte an. Man steigt mit ihm hinab in die Hölle. Und man verliert den nüchternen Blick. In Deutschland spürt man das an der Tatsache, dass die Rhetorik vieler Menschen bereits so klingt, als befänden auch sie sich direkt im Kriegsgebiet.
Nein, man sollte sich diese Kriegsfürsten und Feldherren lieber auf Abstand halten. Und holt sie nur zu sich, wenn sie sich an einen Verhandlungstisch setzen wollen, wo sie der Hölle abzuschwören bereit sind. Selenskyj kann man jedenfalls nur schwerlich dafür verantwortlich machen, dass er die Medienpräsenz im Westen nutzt: Sie ist für ihn Teil der Kriegsführung.
Die, die ihm diese Kriegsführung gewähren: Mit denen muss man hart ins Gericht gehen. Denn sie platzieren einen unter uns, der keinen moralischen Kompass mehr hat, auch gar nicht haben kann. Sie stacheln ihn damit ja auch noch an, sorgen dafür, dass die Hölle sich verewigt. Wer ihm ein Forum gibt, hält den Krieg am Leben und überführt die, die in ihm leben müssen, langsam aber sicher in den Tod.
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Roberto J. De Lapuente,, Jahrgang 1978, ist gelernter Industriemechaniker und betrieb acht Jahre lang den Blog ad sinistram. Seit 2017 ist er Mitherausgeber des Blogs neulandrebellen. 2012 wurde er Kolumnist beim Neuen Deutschland und seit 2018 schreibt er regelmäßig für Makroskop. De Lapuente hat eine Tochter und wohnt mit seiner Lebensgefährtin in Frankfurt am Main. Im März 2018 erschien sein Buch „Rechts gewinnt, weil links versagt“. |
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Der Artikel ist erschienen bei :Rubikon-News
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