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NSU
Demonstranten greifen Polizisten vor Gericht an
Nach mehr als fünf Prozessjahren sind Beate Zschäpe und ihre vier Mitangeklagten vom Oberlandesgericht München verurteilt worden.
Die Hauptangeklagte im NSU-Prozess, Beate Zschäpe, ist am Mittwoch wegen zehnfachen Mordes, der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und schwerer Brandstiftung schuldig gesprochen worden. Richter Manfred Götzl verhängte die Höchststrafe und verurteilte die 43-Jährige zu lebenslanger Haft. Er stellte die besondere Schwere der Schuld fest.
Zschäpes Anwälte Mathias Grasel und Wolfgang Heer kündigten an, Revision gegen das Urteil einzulegen. Über die Revision muss der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe entscheiden.
Chaos vor dem Gerichtssaal
Nach den Urteilen brachen vor dem Gerichtssaal Tumulte aus, wie «Focus Online» berichtet. Linke Demonstranten prügelten sich mit Polizisten und riefen: «Nazis morden und der Staat macht mit. Der NSU war nicht zu dritt.»
Der Angeklagte Ralf Wohlleben, der dem NSU eine Waffe beschaffte, erhält zehn Jahre Haft. Auch dessen Anwälte wollen Revision einlegen. Holger Gerlach und Carsten Schultze wurden zu drei Jahren Gefängnis verurteilt.
Rechtsextreme applaudieren nach Urteil
Am Ende der Urteilsbegründung hob das Oberlandesgericht München am Mittwoch den Haftbefehl gegen den zuvor zu lediglich zweieinhalb Jahren Haft verurteilten Neonazi André Eminger auf. Eine Gruppe anwesender Rechtsextremer reagierte mit Applaus und Jubel auf die Entscheidung des Gerichts, es kam zu kurzzeitigen Tumulten.
Die vier Männer aus der ostdeutschen Neonazi-Szene waren wegen Beihilfe zum Mord und Unterstützung des NSU angeklagt. Die Bundesanwaltschaft hatte härtere Strafen für die Männer gefordert, insbesondere für Eminger. Für den bekennenden Nationalsozialisten waren zwölf Jahre Haft gefordert worden.
Zehn Morde, 437 Verhandlungstage
Der Prozess dauerte mehr als fünf Jahre und 437 Verhandlungstage. Er gilt als einer der grössten politischen Prozesse in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.
Es ging um zehn Morde aus rassistischen und staatsfeindlichen Motiven aus den Jahren 2000 bis 2007. Neun der Opfer waren Einwanderer – acht türkischstämmig und einer griechischer Herkunft –, eines war eine deutsche Polizistin. Der NSU soll ausserdem zwei Bombenanschläge in Köln mit Dutzenden Verletzten verübt haben. Ihm werden darüber hinaus 15 Raubüberfälle zur Last gelegt.
In der Schweiz gekaufte Tatwaffe
Zschäpe stammt aus dem ostdeutschen Jena und hatte fast 14 Jahre mit den mutmasslichen NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos im Untergrund gelebt, bevor die Terrorzelle im November 2011 aufflog.
Mundlos und Böhnhardt nahmen sich das Leben, als die Polizei nach einem missglückten Sparkassenüberfall anrückte. Zschäpe zündete die gemeinsame Fluchtwohnung im sächsischen Zwickau an, bevor sie sich der Polizei stellte. In den Trümmern der Wohnung wurde eine der Tatwaffen gefunden, eine in der Schweiz gekaufte Ceska-Pistole.
Zschäpe ist die einzige Überlebende des NSU, der laut oberster Anklagebehörde nur aus diesen drei Personen bestand. Auch wenn sie selber nicht geschossen hat, macht die Bundesanwaltschaft Zschäpe für alle Gewalttaten des NSU voll mit verantwortlich.
Falsche Fährten und Mängel
Es hatte lange gedauert, bis die Rechtsterroristen aufflogen. Nach den Morden in sieben deutschen Städten hatten die Behörden viele Jahre lang falsche Fährten verfolgt und den rechtsextremen Hintergrund der Taten verkannt. Von «Döner-Morden» war die Rede, weil einige der Opfer Döner-Imbisse betrieben. Verdächtige wurden in den Reihen der Familien gesucht, die trauernden Angehörigen somit zu Mittätern gemacht.
Der «NSU-Skandal» schlug dann gewaltige Wellen in Deutschland. Untersuchungsausschüsse des Bundestages und mehrerer Landtage wurden eingesetzt, einige führende Geheimdienstler mussten ihren Hut nehmen.
Verhandlungen begannen vor fünf Jahren
Die Untersuchungen brachten die mangelhafte Zusammenarbeit zwischen den Verfassungsschutzämtern der Bundesländer, dem Bundesamt für Verfassungsschutz (Inlandsgeheimdienst) und den Polizeibehörden ans Licht. Weil die meisten der Morde in bayerischen Städten verübt worden waren, wurde als Gerichtsort München gewählt. Im Mai 2013 begannen die Verhandlungen.
In einer ihrer seltenen Äusserungen distanzierte sich Zschäpe am vergangenen Dienstag von den Verbrechen. «Bitte verurteilen Sie mich nicht stellvertretend für etwas, was ich weder gewollt noch getan habe», sagte sie. Den Angehörigen sprach sie ihr Mitgefühl aus. Zuvor hatte sie schon erklärt, von den Morden und Anschlägen immer erst im Nachhinein erfahren zu haben. (mlr/sda/afp)
Mit freundlicher Genehmigung von 20min.ch
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